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Das Versprechen einfordern

Mitte Juli fand in Los Angeles der Kongress der ‚American Federation of Teachers‘ statt. Die Gewerkschaft kämpft gegen Privatisierungen im US-Bildungswesen und gegen Leistungsbeurteilungen von Lehrkräften aufgrund von Schülertests. Für die GEW war Marlis Tepe der Einladung nach Kalifornien gefolgt.

Fotos: Manfred Brinkmann

Das Verhältnis der US-Bildungsgewerkschaften zur Obama-Regierung war schon mal besser. In den letzten Präsidentschaftswahlkämpfen zählten die beiden großen Bildungsgewerkschaften National Education Association (NEA) und American Federation of Teachers (AFT) noch zu den Unterstützern Obamas. Doch inzwischen sind die Lehrerinnen und Lehrer enttäuscht über die Bildungspolitik ihrer Regierung. Sie werfen ihr vor, das öffentliche Schulsystem zu vernachlässigen und gleichzeitig die Förderung privater ‚Charter Schools‘ zu forcieren.

Kritik an Bildungsminister Arne Duncan

Besonders in der Kritik steht US-Bildungsminister Arne Duncan. Doch so weit wie die Delegierten der zweiten großen US-Bildungsgewerkschaft NEA, die Anfang Juli auf ihrem Kongress in Denver den Rücktritt des Bildungsministers gefordert hatten, wollte die AFT auf Ihrem Kongress vom 10. – 14. Juli 2014, der unter dem Motto ‚Reclaiming the promise‘ stand, nicht gehen. Dennoch ist der Initiativantrag, den die AFT in Los Angeles zur US-Bildungspolitik beschlossen hat, ein deutlicher Warnschuss in Richtung Obama-Regierung, dass es so nicht weitergehen kann.

Zahlreiche Themen, die auf dem AFT Kongress behandelt wurden, beschäftigen auch uns in Deutschland: Belastungen von SchülerInnen und Lehrkräften durch standardisierter Tests an Schulen, das Unterrichten in Klassen mit ethnisch heterogener Schülerschaft, der Ausbau der frühkindlichen Bildung, die Gefahr von Entprofessionalisierung und Ansehensverlust des LehrerInnenberufs, Privatisierungen im Bildungswesen oder das geplante TTIP-Freihandelsabkommen zwischen USA und EU.

Zeichen für Respekt und Toleranz

Dennoch ist vieles anders im Land unter dem Sternenbanner. Das die USA ein tief religiöses Land sind wurde gleich zu Anfang des Kongresses deutlich. Die AFT hatte zwei Geistliche eingeladen, einen Baptisten und einen Iman, um vor den Delegierten zu sprechen. In ihren Predigten unterstrichen beide die Bedeutung eines öffentlichen Bildungswesens für die amerikanische Gesellschaft und werteten die religiöse und ethnische Vielfalt in den USA als großen Reichtum. AFT-Präsidentin Randi Weingarten nutzte in ihrer anschließenden Eröffnungsrede die Gelegenheit, gleich noch ein weiteres Zeichen für Respekt und Toleranz zu setzen: „Nachdem nun ein Christ und ein Muslim zu euch geredet haben, möchte ich euch auch noch meine Partnerin vorstellen, eine jüdische Rabbinerin aus New York.“

Weingarten, die auf dem Kongress als AFT-Präsidentin bestätigt wurde, kritisierte die Angriffe auf den LehrerInnenberuf und auf das öffentliche Schulsystem in den USA. „Wir haben es mit einer koordinierten und finanziell hervorragend ausgestatteten Kampagne gegen Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften sowie gegen die öffentliche Bildung und öffentliche Dienstleistungen insgesamt zu tun. Dagegen setzen wir uns zur Wehr. Und wir gehen voran. Wir fordern das Versprechen Amerikas ein, denn dieses Versprechen ist bisher nicht Wirklichkeit.“

Hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad

Die AFT vertritt Beschäftigte in Schulen, Kindergärten, Universitäten und auch in Krankenhäusern. Neben Lehrkräften, Erziehungs- und Pflegepersonal organisiert die AFT auch SekretärInnen, HausmeisterInnen oder BusfahrerInnen, soweit sie für Bildungseinrichtungen tätig sind. Beide großen US-Bildungsgewerkschaften, die AFT und die etwa doppelt so viele Mitglieder zählende NEA, repräsentieren zusammen mehr als neunzig Prozent der ArbeitnehmerInnen im US-Bildungswesen. „Trotz schwierigster Umstände, mit denen wir Gewerkschaften jemals konfrontiert waren, ich bin stolz darauf euch mitzuteilen, dass wir seit unserem letzten Kongress vor zwei Jahren gewachsen sind. Heute sind wir mit 1,6 Millionen Mitgliedern größer als jemals zuvor“, so Weingarten zu den Delegierten.

AFT fordert neues Einwanderungsgesetz

Rund 3.000 AFT-Delegierte waren in die Westküstenmetropole gereist, um ihren Vorstand zu wählen und gewerkschaftliche und bildungspolitische Positionen zu diskutieren. Eingeladen waren auch vierzig internationale Gäste von Bildungsgewerkschaften aus fünfzehn Ländern, darunter die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe und der GEW-Referent für Internationales, Manfred Brinkmann. Mehr als neunzig Resolutionen und Initiativanträge lagen den Delegierten zur Beschlussfassung vor.

Wie in Deutschland müssen auch die Lehrkräfte in den USA eine zunehmend heterogene Schülerschaft unterrichten, deren Muttersprache oft nicht die offizielle Landessprache Englisch ist. In der Millionenstadt Los Angeles etwa spricht jedes zweite Schulkind als Familiensprache Spanisch. Ein besonderes Problem ist die große Zahl von Migrantenkindern, die ohne legalen Aufenthaltsstatus in den USA leben. Nach Schätzungen gibt es etwa 2.5 Millionen ‚undocumented‘ Kinder und Jugendliche in den USA, die meisten aus Lateinamerika.

Nicht selten werden Kinder ohne Begleitung Erwachsener über die mexikanische Grenze in die USA geschmuggelt in der Hoffnung, dass sie dort ein besseres Leben erwartet. Wie schon zuvor der US-Gewerkschaftsbund AFL-CIO forderten daher auch die AFT-Delegierten von der Obama-Regierung ein neues Einwanderungsgesetz.

Schlechte Erfahrungen mit standardisierten Tests

Heftig diskutiert wurde über die Einführung der neuen gemeinsamen Mindeststandards (Common Core State Standards - CCSS) in Mathematik und Englisch, auf die sich die Mehrzahl der US-Bundesstaaten unter Mitwirkung der Bildungsgewerkschaften verständigt hat. Die AFT hält zwar an gemeinsamen Bildungsstandards für die USA fest, kritisiert jedoch deren Umsetzung, die insbesondere zu einer weiteren Zunahme von Tests an den Schulen geführt hat. Die Lehrkräfte in den USA haben keine guten Erfahrungen mit standardisierten Tests. Nicht selten werden Testergebnisse der Schüler missbraucht, um die Leistung von Lehrkräften zu beurteilen, was wiederum Auswirkungen auf deren Bezahlung hat.

In verschiedenen Redebeiträgen wurde betonten, wie wichtig die Zusammenarbeit der Gewerkschaft mit Eltern- und Bürgerrechtsorganisationen, kommunalen Initiativen, ethnischen Gruppen und auch mit Glaubensgemeinschaften zur Durchsetzung des Versprechens einer guten Bildung für alle sei. Massenschließungen öffentlicher Schulen bei gleichzeitiger Neugründung privater ‚Charter Schools‘, wie in Detroit und Chicago geschehen und in Pennsylvania geplant, erteilten die Delegierten eine Absage. „Das hat eine klar rassistische Ausprägung, weil es vor allem farbige Kinder betrifft“, so ein AFT-Kollege aus Chicago.

Rückenwind für öffentliche Bildung in New York und Los Angeles

Nicht nationale Politiker, sondern die neu gewählten Bürgermeister der beiden größten US-Metropolen New York und Los Angeles, Bill de Blasio und Eric Carcetti, sind Hoffnungsträger für eine bildungspolitische Wende. Bildungspolitik findet in den USA auf drei Ebenen statt: Neben der nationalen Regierung in Washington und den Regierungen der US-Bundesstaaten haben auch die Kommunen ein wichtiges Wort mitzureden und tragen zur Finanzierung des öffentlichen Bildungswesens bei.

Michael Mulgrew, Vorsitzender der New Yorker Lehrergewerkschaft, berichtete, dass es unter dem neuen Bürgermeister de Blasio, dessen Kind eine öffentliche Schule besucht, erstmalig seit Jahren wieder möglich geworden sei, in Dialog zu treten und einen Tarifvertrag abzuschließen. De Blasio will insbesondere auch kommunale Angebote zur frühkindlichen Bildung ausbauen.

Die AFT-Gewerkschaften in New York und in Los Angeles hatten 2013 durch ihr Engagement in den Kommunalwahlkämpfen zu den Erfolgen der beiden neuen demokratischen Bürgermeister beigetragen. Eine Stärkung des öffentlichen Bildungswesens und eine neue Ära progressiver Schulreformen ist das Versprechen, an dem die Bürgermeister der zwei US-Städte jetzt gemessen werden. Eric Carcetti kann für Los Angeles auf Unterstützung durch die Landesregierung rechnen. Dessen Gouverneur Jerry Brown erhielt von den Delegierten reichlich Applaus für die Einführung einer Millionärssteuer in Kalifornien und die Zusage, mehr Geld an solche Schulen zu geben, die unter schwierigen Bedingungen arbeiten.