Nicht nur Corona
Das sind die fünf größten Baustellen an den Schulen
Die Corona-Krise hat viele Probleme an den Schulen aufgedeckt und manche verschärft. Langfristig gibt es fünf große Probleme, die dringend gelöst werden müssen, warnen GEW und VBE.
Die Coronapandemie hat die bestehenden Probleme an deutschen Schulen wie unter einem Brennglas vergrößert. Mit Blick auf die Bundestagswahl und die kommenden vier Jahre fordern die Bildungsgewerkschaften in einer gemeinsamen Stellungnahme, diese fünf Großbaustellen im Schulsystem unbedingt zu bearbeiten: Fachkräftemangel beheben, Investitionsstau beseitigen, Digitalisierung voranbringen, Vision von Schule ausfinanzieren und qualitätsvoll aufstellen, Corona-Folgen abmildern.
„Lehrkräftemangel ist dramatisch“
„Der Lehrkräftemangel ist in Deutschland seit Jahren dramatisch“, erklären die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) werden bis 2030 an den allgemeinbildenden Schulen zusätzlich 40.000 Lehrkräfte gebraucht, an berufsbildenden Schulen fast 160.000 und wenn der Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung für Grundschulkinder beschlossen wird kommen noch einmal mindestens 50.000 hinzu.
Als Gegenmaßnahme fordern die Gewerkschaften, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um mehr Menschen für den Beruf zu gewinnen. Konkret: die Bezahlung aller Lehrkräfte mit Hochschulabschluss nach Tarif A13 bei Beamten und nach E13 bei Angestellten. Viele Lehrkräfte an Grundschulen werden etwa schlechter bezahlt als ihre Kolleginnen und Kollegen an weiterführenden Schulen.
VBE und GEW setzen sich außerdem für bessere Arbeitsbedingungen durch „multiprofessionelle Teams“ an Schulen und die Einstellung qualifizierter Verwaltungs-und IT-Fachkräfte ein.
„Zehn-Jahresprogramm“ für Modernisierungen
Marode Turnhallen, kaputte Schultoiletten oder Fenster in Klassenräumen, die sich nicht öffnen lassen, sind ein Dauerthema. 2017 hatte die damalige große Koalition ein Schulsanierungsprogramm aufgelegt: 3,5 Milliarden Euro für Schulgebäude in finanzschwachen Kommunen. Doch die Bildungsgewerkschaften sehen weiterhin einen „Modernisierungs- und Sanierungsstau“ und verweisen auf Zahlen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), wonach es bei den Schulen einen „Investitionsrückstand“ von 46,5 Milliarden Euro gibt. GEW und VBE fordern daher ein „Zehn-Jahresprogramm“ für die Modernisierung der Schulen.
Zu den Toiletten oder Turnhallen kommen nun noch die Luftfilteranlagen hinzu, die durch Corona auf die Bau-Liste gekommen sind. Das Umweltbundesamt empfiehlt langfristig Wärmetauschanlagen, bei denen Frischluft von außen angesaugt und gleichzeitig durch die nach außen strömende Abluft erwärmt wird (Wärmerückgewinnung). Das sei die nachhaltigste Lösung für den Abtransport von Viren, Kohlendioxid und Feuchte.
Qualität der Bildung darf nicht vom Wohnort abhängig sein
Um die notwendigen Milliardenbeträge in Bildung investieren zu können und dem Bund eine dauerhafte Finanzierung des Bildungssystems zu ermöglich, muss zum Beispiel das Kooperationsverbot in der Bildung endlich komplett gestrichen und in ein Kooperationsgebot umgewandelt werden, durch das die gemeinsame Finanzierung von Bund, Ländern und Kommunen gesichert wird. Zudem müssen die sozialen Ungleichheiten im Bildungssystem verringert werden, indem finanzschwache Kommunen und Schulen in schwierigen Lagen nach Sozialindex zusätzliche Mittel erhalten. Die Qualität des Bildungsangebotes darf nicht vom Wohnort abhängig sein.
„Erhebliche Aufstockung“ der Mittel zur Digitalisierung
In der Pandemie wurden Leihlaptops für bedürftige Schüler angeschafft und Dienstgeräte für Lehrkräfte. Dabei ging es aber vor allem darum, dass der sogenannte Fernunterricht halbwegs funktionierte. Bei der Schuldigitalisierung steht vor allem die Infrastruktur in den Schulen im Mittelpunkt: schuleigenes Wlan, Smartboards statt Kreidetafeln, Tablets für interaktiven Unterricht. Der Bund hatte ein massives Förderprogramm mit mehr als fünf Milliarden Euro (Digitalpakt Schule) aufgelegt, um das voranzutreiben. Das reicht jedoch nicht.
VBE und GEW fordern eine „Verstetigung“ und „erhebliche Aufstockung“ der Mittel und mehr Fortbildungsangebote für Lehrkräfte in der Digitalisierung. Die Technik muss schließlich auch bedient und im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden können. Beide Gewerkschaften sind außerdem dagegen, dass Bildungsplattformen von privaten Anbietern genutzt werden.
Stattdessen müsse sich der Staat um „datenschutzkonforme und hoch leistungsfähige Plattformen zum Lehren, Lernen und Kommunizieren“ kümmern. 2,5 Milliarden Euro pro Jahr seien nötig, um Systeme und Geräte auf aktuellem Stand zu halten.
Schule qualitätsvoll aufstellen
Alle Aufträge, die an Schule übertragen werden, vom inklusiven Lernen, über das Ganztagsversprechen bis hin zu Demokratieerziehung, müssen ausfinanziert und personell glaubwürdig unterlegt werden. Es braucht die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams, zu denen neben Lehrkräften und weiterem pädagogischen Personal, wie Sonder-und Sozialpädagog:innen, auch Fachkräfte aus der Psychologie un dem Gesundheitswesen gehören. Gelingende Schulsozialarbeit muss Maßstab für schulische Entwicklung sein, wofür auch die Einbindung weiterer Akteure in Netzwerke wie Jugendämter, Poliz oder Verbände essenziell ist.
Corona-Aufholprogramm nur „Tropfen auf heißen Stein“
Und auch Corona fehlt nicht in der Liste der Baustellen, denn so schnell dürften die Folgen an den Schulen nicht verdaut sein. VBE und GEW kritisieren, das bisher aufgelegte zwei Milliarden Euro schwere Aufholprogramm des Bundes zur Finanzierung von Nachhilfekursen, Sozial- und Freizeitangeboten sei nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Es müsse grundsätzlich mehr Geld ins System Schule fließen für eine langfristige Ausrichtung auf individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen.