Die AfD und die Bildungspolitik
„Das schärfste Schwert der KMK“
Die Kultusministerinnen und -minister fürchten, bald könnte ein AfD-Minister auch in ihren Reihen Platz nehmen. Was tun? Es gibt Überlegungen für den Fall der Fälle.
Noch ist in Brandenburg, Thüringen und Sachsen nicht gewählt. Doch das gegenwärtige AfD-Umfragehoch weckt berechtigterweise Sorgen. Eine bundesländer-übergreifende Bildungspolitik war bisher schon kein leichtes Unterfangen und stets mit viel Kompromissbereitschaft zwischen Union und SPD verbunden – zumal der Bund als Geldgeber bei vielen Programmen seine Vorstellungen obendrein ebenfalls berücksichtigt sehen will. Was passiert aber, wenn plötzlich ein AfD-Minister Einzug in die Kultusministerkonferenz (KMK) hält? Für die Rechtspopulisten sei die Bildungspolitik eine der zentralen Kampfarenen, um den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts zu verschieben, argumentiert Mark Rackles, früher SPD-Bildungsstaatssekretär in Berlin und langjähriges Mitglied der KMK-Amtschefkonferenz.
„Wenn eine rechtsextreme Partei das Kultusministerium hat, dann wird sie versuchen, die Schule im Sinne ihres rechtsextremen Denkens zu verändern.“ (Felix Hanschmann)
Der Hamburger Jura-Professor Felix Hanschmann pflichtet ihm bei: „Die Schule ist der Bereich, in dem Regieren auf Mentalität, auf Denken trifft. Und wenn eine rechtsextreme Partei das Kultusministerium hat, dann wird sie versuchen, die Schule im Sinne ihres rechtsextremen Denkens zu verändern.“ Konkret gehe es im Unterricht etwa darum, welche Bücher die Schülerinnen und Schüler im Fach Deutsch lesen – „ob das Bertolt Brecht ist oder Ernst Jünger – und welche Ausflüge es geben wird: Fährt man zum Hermannsdenkmal oder in ein ehemaliges Konzentrationslager?“. Das alles seien Entscheidungen, die im Ministerium und in den Schulen getroffen würden und nicht in den Parlamenten.
Beamte des Ministeriums könnten über Inhalte bestimmen, indem sie zum Beispiel festlegten, welche Schulbücher verwendet und welche Fächer in welchem Umfang unterrichtet werden. Hanschmann: „Politikunterricht, Geschichte, Ethik – das sind alles Bereiche, in denen rechtsextreme Kreise Einfallstore sehen, um Kinder zu indoktrinieren.“
Debatte um das Einstimmigkeitsprinzip
Was aber tun? Die KMK hat sich ohnehin für dieses Jahr eine große Strukturreform verordnet. Neben der Verschlankung ihrer Gremienstruktur ist einer der zentralen Punkte die Abkehr vom bisherigen Einstimmigkeitsprinzip im KMK-Plenum. Die Idee ist nicht neu, wurde in früheren Debatten aber stets wieder verworfen. Gleichwohl ist durch das aktuelle Erstarken der AfD neuer Druck entstanden. Aber was könnte es konkret bewirken, wenn die Kultusminister wichtige Beschlüsse nicht mehr einstimmig fassen müssen?
Fällt zum Beispiel ein Bildungsministerium unter AfD-Regie zu sehr vom bisherigen Länderkonsens über die Abiturinhalte oder andere KMK-Vorgaben ab und installiert dafür rechtslastige Inhalte im Unterricht, könnte eine Mehrheit in der KMK diesem Bundesland die bundesweite Anerkennung der Abschlusszeugnisse verweigern. Für Rackles wäre dies „das schärfste Schwert der KMK“.
„Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, dass nicht einzelne Länder den notwendigen Fortschritt in der Bildungspolitik blockieren können.“ (Karin Prien)
In der KMK ist den Sprecherinnen der Unions- und SPD-geführten Länder der Gedanke, das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen, nicht fern. Die CDU-Partei-Vize und Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien, sagt: „Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, dass nicht einzelne Länder den notwendigen Fortschritt in der Bildungspolitik blockieren können.“ Ihre SPD-Amtskollegin Stefanie Hubig aus Rheinland-Pfalz wird konkreter: „Wir müssen uns die Frage nach dem Einstimmigkeitsprinzip stellen.“ Dies könne bedeuten, dass einzelne Länder ihren eigenen Weg gehen, „um nicht die große Mehrheit aufzuhalten“.
Bisher galt das Einstimmigkeitsprinzip bei wichtigen KMK-Entscheidungen stets als sakrosankt. Ewig wurde in den 1970er-Jahren zwischen Union und SPD über einen Kompromiss zur bundesweiten Anerkennung der Gesamtschul-Abiturzeugnisse gestritten, wie später auch um den Mittleren Schulabschluss. Ob das Einstimmigkeitsprinzip fällt, ist nicht sicher. Denn es gibt auch skeptische Stimmen, die fragen, ob sich heute angesichts eines mobiler gewordenen Arbeitsmarktes eine solche Ausgrenzung in der Praxis überhaupt noch realisieren lässt.
1. Überwältigungsverbot
Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d. h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.
Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich, warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden. Um ein bereits genanntes Beispiel erneut aufzugreifen: Sein Demokratieverständnis stellt kein Problem dar, denn auch dem entgegenstehende andere Ansichten kommen ja zum Zuge.
3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren,
sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein, was eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten Prinzipien ist. Der in diesem Zusammenhang gelegentlich erhobene Vorwurf einer „Rückkehr zur Formalität“, um die eigenen Inhalte nicht korrigieren zu müssen, trifft insofern nicht, als es hier nicht um die Suche nach einem Maximal-, sondern nach einem Minimalkonsens geht.
Das hat der Beutelsbacher Konsens damit zu tun
Wenn über (Politik-)Unterricht in der Schule diskutiert wird, ist oft vom Beutelsbacher Konsens die Rede. Dessen Empfehlungen sind aber nicht mit politischer Neutralität zu verwechseln! Der Beutelsbacher Konsens besagt, dass kontroverse Themen auch kontrovers behandelt werden müssen. Lehrkräfte dürfen ihre eigene Sicht ausdrücken, aber nicht als allgemeingültig darstellen. Sie müssen die unterschiedlichen Perspektiven und alle wichtigen Argumente vorstellen, damit sich die Schüler*innen ein eigenes Urteil bilden können.
Der Beutelsbacher Konsens ist ein in den 1970er-Jahren formulierter Minimalkonsens für den Politikunterricht in Deutschland, der folgende drei Prinzipien festlegt: das Überwältigungsverbot (keine Indoktrination), das Gebot der Kontroversität (Beachtung kontroverser Positionen in Wissenschaft und Politik im Unterricht) und die Schülerorientierung (Befähigung der Schüler*innen, in politischen Situationen ihre eigenen Interessen zu analysieren).