„Warum noch lernen?“
Das Lernen ins Zentrum stellen
Der Lehrer und Blogger Bob Blume plädiert für einen Umbau des Bildungssystems. E&W sprach mit dem Bildungsinfluencer, der an einem Gymnasium bei Baden-Baden unterrichtet und jüngst sein zweites Buch veröffentlichte.
- E&W: Nach „10 Dinge, die ich an der Schule hasse“ nun „Warum noch lernen?“. Was wollten Sie der Kritik aus Ihrem ersten Werk hinzufügen?
Bob Blume: Als ich „10 Dinge, die ich an der Schule hasse“ geschrieben habe, kam diese Liste aus dem Bauch heraus. Das war ein wütendes Buch, eine von den Erfahrungen aus der Zeit der Corona-Pandemie geprägte Abrechnung, die nicht aus einem organischen Gedanken entstanden ist. Ein paar Monate danach habe ich einen TED-Talk (ein TED-Talk ist ein kurzer Videovortrag, der online verbreitet wird, Anm. d. Red.) mit dem Titel „Warum lernen!?“ gehalten. Ein Argument war: Das Warum muss ins Zentrum des Lernens. Aus dieser Aussage, die empirisch belegt ist, wollte ich auch ein Buch machen. Während der Arbeit daran bin ich zu der Auffassung gelangt, nicht nur das Warum muss ins Zentrum des Lernens, sondern das Lernen muss ins Zentrum der Schule gestellt werden.
- E&W: In beiden Büchern fordern Sie ein anderes Bildungssystem. Welcher Punkt ist Ihnen dabei am wichtigsten?
Blume: Hauptsächlich verfolgt meine Argumentationslinie das Ziel, zu sagen, Lehrkräfte werden in der Form, wie sie aktuell ausgebildet werden, eigentlich nicht mehr gebraucht. Natürlich brauchen wir Lehrkräfte. Und natürlich benötigen wir viel mehr, als wir haben. Aber die bis zu 1,4 Milliarden Euro, die Eltern jedes Jahr für Nachhilfe ausgegeben, sind der Beweis dafür, dass es Schule anscheinend nicht schafft, die vorgegebenen Inhalte an die Kinder zu bringen. Wenn man als Lehrkraft arbeitet, muss man sich für die Kinder und Jugendlichen und ihren Lernfortschritt interessieren. Wissensträgerin oder Wissensträger zu sein, ist in einer Informationsgesellschaft weniger relevant. Man muss Lernexpertin oder -experte sein und Schülerinnen und Schülern ermöglichen, mit Wissen umzugehen.
- E&W: Wie beantworten Sie selbst Ihren Buchtitel „Warum noch lernen?“
Blume: Diese Frage haben alle Eltern schon mal gehört, die mit ihren Kindern Hausaufgaben machen: Warum tue ich das? Die Antwort scheint erstmal trivial: Damit du die Prüfungen schaffst, damit du einen Abschluss hast, damit dir die Türen offenstehen. Wichtiger ist aber, dass man im Lernen den Kern davon findet, ein glückliches oder bedeutsames Leben zu führen, das es ermöglicht, sich weiterzuentwickeln. Für sehr viele Kinder ergibt sich diese Antwort nicht. Und das ist ein Problem in einer Gesellschaft, die kompliziert und komplex ist. Es gibt derzeit mehr als 20.000 Studiengänge. Wenn Lernen keine sinnstiftende Tätigkeit für mich ist, dann resigniere ich oder sage: Dann halt Betriebswirtschaftslehre (BWL). Nichts gegen BWL. Aber wer wird erfolgreich darin sein: Derjenige, der sagt, irgendwas mit Geld wird schon passen – oder derjenige, der sagt, ich brenne dafür?
- E&W: Was sollte eine Lehrkraft aus der Lektüre Ihres Buches vor allem mitnehmen?
Blume: Ich wünsche mir einen Nudge, einen kleinen Schubser, hin zu dem Gedanken: Ich kann individuell schon Dinge anders machen, wenn ich meine Prioritäten so setze, dass die Kinder und ihr Lernen in den Mittelpunkt rücken. Dazu braucht man allerdings den Mut, zu sagen: Liebe Eltern, wir sind ein Kapitel weniger weit gekommen. Die Kinder wissen nicht, was ein Präpositionalobjekt ist. Aber sie haben Bock zu schreiben. Und wer Lust dazu hat, wird nach der Schule weiterschreiben und innerhalb einer Viertelstunde lernen, was Prädikat und Objekt sind. Wir brauchen eine aktive und konzeptionelle Auseinandersetzung mit der Frage: Wie gehen wir mit redundanten Vorgaben und Inhalten um, was kann weg? Die Inhalte, die bei der Beantwortung der zentralen Frage „Warum lernen“ keine Rolle spielen, sollten radikal infrage gestellt werden.
- E&W: Zu den aktuell großen Fragen zählt auch der Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) in Schulen …
Blume: Die große Problematik ist für mich auch eine Ressourcenfrage. Man kann zwar in eine Verwaltungsvorschrift schreiben, die Schüler dürften KI benutzen – aber dafür müssten sie diese Technologie auch zur Verfügung haben. Es gibt zwar bereits Angebote, zum Beispiel das KI-Feedbacktool Fiete.ai an vielen Schulen in Sachsen, aber es wird wegen des Bildungsföderalismus‘ nicht flächendeckend eingesetzt. Ebenfalls noch nicht beantwortet ist die Frage, wie Lehrkräfte für den Einsatz von KI qualifiziert werden sollen. Und inwiefern wird diese Qualifizierung vergleichbar sein, wenn in einem Bundesland dies und in einem anderen das passiert?
- E&W: Sie formulieren in Ihrem Buch zehn Utopien. Schwingt in dem Begriff mit, dass es kaum möglich sei, etwas zu ändern?
Blume: Nein. Utopien sind für mich eine abstrakte Form von Zielsetzung, eine Leitlinie auf dem Weg, etwas zu erreichen. Nehmen wir zum Beispiel die Notengebung. Es ist utopisch, zu sagen, ab jetzt geben wir keine Noten mehr. Aber es ist nicht utopisch, zu sagen: Wir wissen, dass das eigentlich sinnvoll wäre, also machen wir uns Gedanken darüber, wie Gelingensnachweise konstruktiv rückgemeldet werden können. Eine Utopie ist dieser Silberstreif am Horizont, zu dem man möglicherweise nicht gelangt, der aber wichtig ist, um die Orientierung zu behalten.