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Bildungsgewerkschaften in Namibia

„Das Leben hier ist noch schwieriger geworden“

In Windhoek fand ein erster Austausch mit den Bildungsgewerkschaften zu den Herausforderungen im namibischen Bildungssystem statt. Unterstützt wurde dieser von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).

Das Recht auf Bildung ist in der namibischen Verfassung verankert. Entsprechend ist seit 2013 die Grundbildung kostenfrei, 2016 folgte auch die Befreiung des weiterführenden Schulbesuchs. Dies soll allen Schülerinnen und Schülern die Bildungsbeteiligung ermöglichen. Allerdings – so berichten Schülerinnen und Schüler aus dem Genade Kinderheim in Katutura sowie Vertreterinnen und Vertreter der Bildungsgewerkschaften – sind die öffentlichen Schulen unterfinanziert und auf Zusatzleistungen der Eltern angewiesen.

Ungleiche Bildungschancen

Diese werden häufig um Spenden gebeten in Form von Schreibmaterial, Putzmittel oder Toilettenpapier. Viele Familien beteiligen sich, weil sie sonst Nachteile befürchten, auch wenn sie sich die Beiträge nicht leisten können. Große Klassengrößen mit bis zu 50 Schülerinnen und Schülern sind keine Seltenheit.

Daneben existiert eine zunehmende Zahl von Privatschulen, für die hohe Schulgebühren gezahlt werden müssen. Die Bildungschancen sind auch 32 Jahre nach dem erfolgreichen Kampf gegen die Apartheid und der Unabhängigkeit Namibias weiterhin vom sozioökonomischen Status und – damit verbunden – der Hautfarbe abhängig.

„Es fehlt an Solidarität und gesellschaftlichem Zusammenhalt.“ (Rinaani Musutua)

Nach Angaben der Weltbank leben in Namibia aktuell 1,6 Millionen Menschen in Armut. Das entspricht rund zwei Drittel der Bevölkerung. Die Covid-19 Krise hat die Situation vieler Familien drastisch verschärft: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung versuchen, sich mit Tätigkeiten im informellen Sektor ihr Überleben zu sichern. „Das Leben hier ist noch schwieriger geworden. Es fehlt an Solidarität und gesellschaftlichem Zusammenhalt“, berichtet Rinaani Musutua vom Economic and Social Justice Trust Fund (ESJT).

Dementsprechend gewinnt die Forderung nach einer Grundsicherung (Basic Income Grant) für die Bevölkerung sowie einem nationalen Mindestlohn in Namibia wieder an Fahrt. Dafür engagiert sich der ESJFT, eine Organisation, die vor allem junge Aktivistinnen und Aktivisten zusammenbringt.

Kampf um Lohnerhöhungen

Im Zentrum des Besuchs in Windhoek stand der Austausch mit den beiden Bildungsgewerkschaften in Namibia. Jackson Kavari ist Schulleiter einer öffentlichen Schule in Namibia und Mitglied im Vorstand der Namibia National Teachers Union (NANTU). Die größte Bildungsgewerkschaft befindet sich aktuell in Tarifverhandlungen mit der Regierung. Lehrkräfte und andere Beschäftigte des öffentlichen Diensts haben seit vier Jahren keine Lohnerhöhung erhalten. Die Gewerkschaften fordern fünf Prozent, um zumindest die Inflation auszugleichen. Ein Streik im öffentlichen Dienst wurde bereits angedroht.

Ein weiteres wichtiges Thema ist für NANTU, die ebenso wie die GEW Mitglied in der Bildungsinternationale ist, die professionelle Entwicklung und Unterstützung der Lehrkräfte. Ein Spannungsfeld, das sich für NANTU in politischen Auseinandersetzungen ergibt, ist ihre weiterhin bestehende Nähe zur Regierungspartei SWAPO.

Arbeit mit jungen Mitgliedern

Davon unterscheidet sich die zweitgrößte Bildungsgewerkschaft Teachers Union of Namibia (TUN), die sich als politisch unabhängig versteht. Der Generalsekretär Mahongora Kavihuha berichtet, dass TUN auf die Gewinnung junger Mitglieder setzt und sich besonders für die gewerkschaftliche Studierendenarbeit interessiert. Angesichts einer hohen Jugendarbeitslosigkeit in Namibia, ist ebenfalls die Stärkung der beruflichen Bildung für TUN von besonderem Interesse.

Auch das Thema Dekolonialisierung von Bildung bleibe aus gewerkschaftlicher Sicht wichtig. Besonders präsent sei dieses für die Lehrkräfte, die aus den vom deutschen Völkermord zu Beginn des 20. Jahrhunderts betroffenen Gebieten stammen.

Koloniales Erbe und Völkermord thematisieren

Das besondere Anliegen von Naita Hishoono, der Leiterin des Namibia Institute for Democracy, ist es, Schülerinnen und Schülern in Deutschland und Namibia die Folgen des Kolonialismus und der deutschen Kolonialverbrechen nahe zu bringen. Im damaligen Deutsch-Südwestafrika wurden zwischen 1904 und 1908 mindestens 75.000 Ovaherero und Nama getötet. Die grundsätzliche Anerkennung dieses Völkermords durch die deutsche Bundesregierung erfolgte erst im Jahr 2021.

„Dieser Teil der Geschichte und die Verbrechen der Kolonialzeit dürfen nicht in Vergessenheit geraten.“ (Naita Hishoono)

Naita Hishoono engagiert sich seit vielen Jahren dafür, namibische und deutsche Schülerinnen und Schüler bei Schulbesuchen zusammenzubringen. Dabei will sie auf das jüngst erschiene Buch „Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte. Postkolonialer Reisebegleiter in die deutsche Kolonialgeschichte“ des GEW-Kollegen Bernd Heyl zurückgreifen, das sich auch gut für den Einsatz im Unterricht eignet. Eine englischsprachige Übersetzung ist in Arbeit. „Es kommt gerade auf die jüngere Generation an, die oft wenig über die eigene Kolonialgeschichte weiß – in Deutschland und in Namibia“, so Hishoono. „Dieser Teil der Geschichte und die Verbrechen der Kolonialzeit dürfen nicht in Vergessenheit geraten.“