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Islamische Religionspädagogik

„Das ist eine große Aufgabe“

In Deutschland gibt es an sieben Hochschulen Zentren für Islamische Theologie oder Islamische Studien. Sie sollen auch künftige Imaminnen und Imame ausbilden. Die jüngste Einrichtung ist das Institut an der Berliner Humboldt Universität.

Tuba Işık wurde 1981 in Mainz geboren und studierte in Göttingen Rechtswissenschaften und Pädagogik. 2013 promovierte sie an der Uni Osnabrück im Fach Komparative Theologie. Zeitgleich studierte sie Katholische Theologie in Paderborn und an der päpstlichen Universität Urbaniana. Seit Oktober 2020 hat sie den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik und Praktische Theologie am Zentralinstitut Islamische Theologie an der Berliner Humboldt Universität inne. (Foto: Matthias Heyde)

Ein Gespräch mit Prof. Tuba Işik über den dortigen neuen Lehramtsstudiengang Islamische Religionspädagogik.

  • E&W: Frau Professorin Işik, Sie haben im vergangenen Herbst den Bachelor-Lehramtsstudiengang Islamische Religionspädagogik für Grundschulen „aus der Taufe gehoben“. Wie war der Start?

Prof. Tuba Işik: Aktuell studieren am Berliner Institut für Islamische Theologie 147 junge Menschen. Davon haben im Oktober 2020 elf mit dem neuen Studiengang begonnen. Die meisten kommen aus Berlin. Die Hintergründe sind sehr unterschiedlich, sowohl was ihre ethnische Herkunft angeht als auch ihre religiöse Prägung. Als Studierende für das Grundschullehramt sind sie zusätzlich zu Islamischer Theologie für zwei weitere Fächer eingeschrieben.

  • E&W: Der islamische Religionsunterricht ist in Deutschland noch sehr unterschiedlich geregelt. Während in Berlin etwa der Unterricht in alleiniger Verantwortung eines Verbandes, der Islamischen Föderation, liegt, ist in Bayern allein der Staat zuständig. In anderen Bundesländern gibt es Kooperationsmodelle oder gleich gar keinen islamischen Religionsunterricht.

Işik: Das liegt daran, dass bundesweit keine islamische Religionsgemeinschaft de jure als solche anerkannt ist wie die evangelische oder katholische Kirche. Deswegen gibt es vielerorts noch Pilotprojekte mit einzelnen Trägern oder Kommissionen auf Länderebene. Der Unterricht in Berlin ist auch schon besonders, weil das Fach nicht versetzungsrelevant, eine Teilnahme nicht verpflichtend ist. Der Unterricht landet häufig am Rand der Stundentafel, die Lehrerinnen und Lehrer sind oft nicht besonders integriert in die Kollegien. In anderen Bundesländern wird der Unterricht nicht so stiefmütterlich behandelt.

  • E&W: Als Sie hier begonnen haben, sagten Sie, „islamische Religionspädagogik“ sei „eine deutsche Erfindung“. Was meinen Sie damit?

Işik: Der klassische Wissenskanon des Islam kennt keine eigene Disziplin, die sich Religionspädagogik nennen ließe. Diese hat sich im Auftrag der Politik im Zuge der Entstehung islamisch-theologischer Standorte entwickelt, um Lehrkräfte für den Islamischen Religionsunterricht auszubilden. Sicherlich wollte man damit auch vermeiden, dass – ähnlich zu den Imamen in vielen Moscheegemeinden – die Lehrkräfte aus dem Ausland geholt werden. Die fachdidaktische Ausbildung im Rahmen von Islam-Studien ist deshalb etwas Neues.

  • E&W: Was lernen die Studentinnen und Studenten bei Ihnen?

Işik: Ganz klassisch geht es zum einen um fachwissenschaftliche Grundlagen: Koran, islamisches Recht, Ideengeschichte, islamische Systematik, Philosophie und Mystik. An unserem Institut wird auf die Ambiguität theologischer Meinungen Wert gelegt. Sie alle sind natürlicher Bestandteil wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Zum anderen geht es um die fachdidaktische Ausbildung: Mein Lehrstuhl hat die Aufgabe, den künftigen Lehrkräften das didaktische Handwerkszeug und entscheidende Grundhaltungen für den Islamischen Religionsunterricht zu vermitteln.

  • E&W: Hat der fünfköpfige Institutsbeirat, in dem unter anderem Vertreterinnen und Vertreter des Zentralrates der Muslime, der Islamischen Föderation in Berlin und der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden sitzen, einen Einfluss auf die Lehrinhalte?

Işik: Selbstverständlich nicht, sonst wäre die Freiheit für Forschung, Lehre und Wissenschaft nicht gewahrt.

  • E&W: Wie sieht die Zusammenarbeit mit den christlichen Theologien an der Uni aus?

Işik: Kooperationsprojekte befinden sich in Planungsphasen. Ab diesem Sommersemester beginnen wir, interreligiöse Lehrveranstaltungen im Team-Teaching anzubieten. Das zielt jetzt nicht nur auf die Studierenden hier an der Uni, sondern auch auf künftiges „interreligiöses Lernen“ im Klassenverband in der Schule.

  • E&W: Könnten die Lehramtsstudentinnen und -studenten später mit dieser Ausbildung auch in einer Gemeinde als Imamin oder Imam arbeiten?

Işik: Wir müssen zwischen dem klassischen Studium Islamische Theologie und der zusätzlichen Option der Lehramtsausbildung unterscheiden. An unserem Institut gibt es keine Imam-ausbildung, die würde primär in der Verantwortung einer Religionsgemeinschaft liegen. Denn zu einer Imamausbildung gehört auch, religiöse Praxis wie die Predigtlehre, praktische Erfahrungen in der Gemeindearbeit, der Totenwaschung oder der Leitung eines Gebets möglich zu machen.

  • E&W: Stand hinter der Idee der Zentren für Islamische Theologie in Deutschland, gerade diese Ausbildung unter staatliche Kontrolle zu bringen und damit dem Einfluss einzelner Moscheegemeinden oder Islamverbände zu entziehen?

Işik: Die Politik möchte, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden. Das braucht Zeit, denn in der Bundesrepublik sind die Moscheegemeinden noch überwiegend ethnisch heterogen geprägt – und ob ein universitär ausgebildeter Imam unmittelbar eingestellt würde, ist bislang umstritten. In Osnabrück wurde das Islamkolleg gegründet, wo zum ersten Mal bundesweit Imame ausgebildet werden sollen. Hierfür wird mit einigen kleinen Gemeinden kooperiert, um die praktischen Anwendungsbereiche abzudecken. Das wird in größerem Rahmen erst funktionieren, wenn die Religionsgemeinschaften entsprechende Ausbildungskonzepte entwickeln und mit den theologischen Instituten kooperieren.

Der Ball liegt eigentlich bei den Gemeinden und Verbänden. Mein Wunsch ist, die Einsatzmöglichkeiten von Theologinnen und Theologen, also die Berufsfelder unserer Absolventinnen und Absolventen zu erweitern: Also nicht nur Imame oder Lehrkräfte, sondern auch Museumspädagoginnen und -pädagogen, Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger oder Referentinnen und Referenten auszubilden.

  • E&W: Sie haben in einem Interview einmal gesagt, der Islam sei ein eigener Wissenschaftskosmos. Das macht ja die Aufgabe für Ihre Studentinnen und Studenten nicht unbedingt einfacher, wenn sie sich erst in neue Denkmodelle einarbeiten müssen.

Işik: Wir versuchen, die Vielfalt der islamischen Theologietraditionen zu lehren: von orthodoxen über mystische bis hin zu liberalen und modernen Stimmen des Islams. Es ist tatsächlich ein eigener Kosmos. Die Wissensbestände sind wie komplexe Systeme, die in ihren eigenen kulturellen und historischen Kontexten erwachsen sind, aber nicht in einem Vakuum, sondern in Wechselwirkung mit bereits präsenten Ideen und Traditionen, beispielsweise dem antiken griechischen Erbe. Im Weiteren gilt es unter anderem, die Brücke in die Gegenwart zu schlagen. Wenn wir wollen, dass unsere Theologie einen Beitrag für die Gesamtgesellschaft leistet, müssen wir diese religiöse Binnensprache übersetzen und für Fachfremde verständlich machen. Das ist eine große Aufgabe.

  • E&W: ... der sich auch die anderen Theologien stellen müssen.

Işik: Wenn wir wollen, dass muslimische Kinder religionsmündig werden – also eine reflektierte Sicht auf ihre Religion haben, nicht etwas repetitiv blind übernehmen, sondern dass sie über religiöse Inhalte reflektieren und sich zu ihrer Religion verhalten können – dann brauchen wir gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer.

  • E&W: Aber für diese Uniabsolventen muss es dann auch die Möglichkeit geben, zu unterrichten. Sind Sie für einen verpflichtenden Religionsunterricht an Schulen?

Işik: Nein. Auch wenn das Interesse an Religion, die Suche nach Sinn- und Deutungsmustern wächst. Religion sollte immer ein freiwilliges Fach sein.

Tuba Işik wurde 1981 in Mainz geboren und studierte in Göttingen Rechtswissenschaften und Pädagogik. 2013 promovierte sie an der Uni Osnabrück im Fach Komparative Theologie. Zeitgleich studierte sie Katholische Theologie in Paderborn und an der päpstlichen Universität Urbaniana. Seit Oktober 2020 hat sie den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik und Praktische Theologie am Zentralinstitut Islamische Theologie an der Berliner Humboldt Universität inne.