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Transformation der Sozialen Arbeit

Das Ende einer Erfolgsgeschichte?

Der Fachkräftebedarf in der Kindertagesbetreuung ist nach wie vor bei weitem nicht gedeckt. Der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschulkinder ab 2026 erfordert einen weiteren Ausbau. Doch woher sollen die Fachkräfte kommen?

In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist das System der Kindertagesbetreuung in Deutschland stark ausgebaut worden. (Foto: Kay Herschelmann)

Seit Jahren ist ein immenses Wachstum der Kindertagesbetreuung zu beobachten. Allein zwischen 2006 und 2023 hat in den Kitas ein Zuwachs von fast 400.000 Personen stattgefunden. Aktuell sind dort rund 745.000 Menschen pädagogisch tätig. Einen vergleichbaren Bedeutungs- und Personalzuwachs hat es in nahezu keinem anderen Bereich gegeben.

Die Gründe für diesen Ausbau sind vielfältig: Die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, der zum 1. August 2013 in Kraft trat, und immer mehr Eltern, die sich einen Platz in der Kindertagesbetreuung für ihr Kind wünschen. Zudem ist die Zahl der Kinder unerwartet stark gestiegen. Darüber hinaus haben die Debatten um die Bedeutung der Arbeit in den Kitas – beispielsweise, um die Ungleichheiten im Bildungssystem zu verringern – dazu beigetragen, dass es zu Qualitätsverbesserungen gekommen ist. So sind unter anderem die zeitlichen Ressourcen für Leitungstätigkeiten ausgeweitet oder die Personal-Kind-Schlüssel verbessert worden.

Angespannte Lage in den Kitas

Nach wie vor ist das System der Kindertagesbetreuung – insbesondere in Westdeutschland – jedoch noch nicht so ausgestattet, dass alle Familien, die dies wünschen, einen Kita--Platz erhalten. Ein zentraler Grund dafür sind die fehlenden Fachkräfte. Obwohl diese Situation schon seit Jahren andauert, sind die Diskussionen um den Fachkräftemangel aktuell intensiver und die Rufe nach konstruktiven Lösungen für die Fachkräftekrise lauter denn je.

Verschiedene Entwicklungen haben die Situation noch einmal verschärft, und Analysen belegen, dass die Lage in den Kitas sehr angespannt ist. So zeigen -Befragungen, dass der Anteil der Träger, die offene Stellen nicht innerhalb eines halben Jahres mit qualifiziertem Personal besetzen können, steigt. Die Arbeitslosenquote in den relevanten Berufsgruppen lag zuletzt unter 2 Prozent, gleichzeitig übersteigt die Zahl der offenen Stellen die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen. Das bedeutet: Es gibt für das Arbeitsfeld mehr offene Stellen als qualifiziertes Personal.

Die wachsende Zahl der Krankmeldungen des Personals verschärft die Lage zusätzlich. So zeigen Daten der Krankenkassen, dass zwischen 2021 und 2022 in Nordrhein-Westfalen (NRW) die krankheitsbedingten Fehltage pro Fachkraft von 23 auf 30 gestiegen sind – und hierbei sind Kinderkrankentage und Ausfälle wegen Schwangerschaft noch nicht einmal berücksichtigt. Folglich machen es nicht nur vakante Stellen, sondern auch die zunehmenden Ausfälle der Angestellten schwierig, ein hochwertiges Angebot in den Kitas aufrechtzuerhalten.

Ausbildungssystem ausgebaut

Neben dieser Situation in der Praxis beunruhigen zwei weitere Entwicklungen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wurden in den vergangenen beiden Jahrzehnten Strategien verfolgt, die zu hohen Erfolgen bei der Gewinnung zusätzlichen Personals geführt haben. So wurde beispielsweise das Ausbildungssystem unter anderem für Erzieherinnen und Erzieher sowie Sozialassistentinnen und -assistenten massiv ausgebaut, zudem sind früh- und kindheitspädagogische Studiengänge eingeführt worden. Gleichzeitig sind vielfach junge Frauen nach der Familienphase frühzeitig wieder für die Tätigkeit in den Kitas eingestiegen. Vergleichsweise lange Ausstiegszeiten wurden damit deutlich reduziert. Mittlerweile ist diese sogenannte stille Reserve aber ausgeschöpft, und auch das Ausbildungssystem scheint an seine Grenzen zu kommen. Neue, vergleichbar erfolgreiche Strategien, die auf qualifiziertes Personal setzen, sind bislang nicht entwickelt worden.

Weiterer Personalbedarf durch Rechtsanspruch

Schließlich ging man bis vor wenigen Jahren davon aus, dass die demografische Entwicklung – also die Veränderung der Zahl der Kinder in der Bevölkerung – dazu beitragen würde, dass ein Ende dieser schwierigen Situation in Sicht ist. Entsprechend jüngster Vorausberechnungen für die Kindertagesbetreuung ist dies nicht zu erwarten. Vielmehr steigt der Personalbedarf im kommenden Jahrzehnt in Westdeutschland voraussichtlich noch weiter – bis zum Jahr 2030 werden 51.000 bis 88.000 Fachkräfte fehlen, sofern keine erfolgreichen Maßnahmen eingeleitet werden.

Darüber hinaus erzeugt der ab dem Schuljahr 2026/27 stufenweise in Kraft tretende Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung, Betreuung und Förderung für Grundschulkinder weitere Personalbedarfe. Diese sind jedoch bei weitem nicht so hoch wie in der Kindertagesbetreuung. Zudem gibt es bislang noch keine bundesweit geltenden Regelungen zu den Qualifikationsanforderungen. Allerdings dürften die Träger zunächst einmal versuchen, Fachkräfte wie ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und -pädagogen oder ähnliche Berufsgruppen zu gewinnen.

Dieser extrem schwierigen Situation begegnen die Länder derzeit insbesondere mit zwei Strategien, die jeweils mit der Qualifikation des Personals in Verbindung stehen. Im Fokus der ersten steht das Ausbildungssystem, in dem Zugangsvoraussetzungen reduziert und die Ausbildungsdauer (beispielsweise durch Ausweitung der Anrechnungsmöglichkeiten) verkürzt werden.

Die zweite Strategie richtet sich auf die Fachkräftekataloge, also auf die formalen Qualifizierungsabschlüsse der Beschäftigten, die für die Arbeit mit Kindern erforderlich sind. Diese sollen zunehmend geöffnet werden. Welchen Beitrag diese Maßnahmen künftig leisten, um den Personalmangel zu verringern, und welche Veränderungen durch die sich anbahnende Reduzierung der Fachlichkeit entstehen, lässt sich aktuell schwer abschätzen. Hier wird es auch darauf ankommen, wie gut Parallelmaßnahmen zur Weiterqualifikation und Praxisanleitung implementiert, finanziert und vorangetrieben werden.

Regionale Unterschiede

Enorm wichtig ist, dass sich diese Situation in den kommenden Jahren nicht auf die ostdeutschen Flächenländer ausweitet. Hier ist das Kita- und Ganztagssystem grundsätzlich bereits heute deutlich bedarfsgerechter ausgebaut, allerdings der Personal-Kind-Schlüssel viel schlechter als im Westen des Landes. Die seit ein paar Jahren sinkende Zahl der Kinder führt schon heute dazu, dass nicht mehr alle Kitas voll ausgelastet sind. Diese Entwicklung wird sich im kommenden Jahrzehnt weiter fortsetzen.

Sollten die ostdeutschen Flächenländer jetzt nicht – wie immer wieder zu Recht gefordert – die Gelegenheit nutzen und in die Verbesserung der Qualität investieren, indem sie beispielsweise den Personal-Kind-Schlüssel verbessern, sondern freiwerdende Stellen nicht mehr (in vollem Umfang) nachbesetzen, dann wird gut qualifiziertes Personal zunehmend häufiger arbeitslos. Damit deuten sich zwei völlig unterschiedliche Entwicklungen in Deutschland an, die zu noch größeren Unterschieden im Kita- (und Ganztags-)System zwischen den Ländern führen; das Ziel, gleichwertige Bildungs- und Betreuungschancen in ganz Deutschland anzubieten, dürfte dadurch in weite Ferne rücken.