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Berichte aus der Praxis

Das Bleiben möglich machen

Laut Studien verlassen (zu) viele der für die pädagogische Kita-Arbeit Ausgebildeten vorzeitig den Beruf. Warum? Die „E&W“ hat bei zwei Kita-Leiterinnen nachgefragt.

Yvonne Schöder / Foto: Kay Herschelmann

„Es fehlen Aufstiegschancen“

Yvonne Schöder, Leiterin der Billy-Kita, Verein Querwege, Jena:

„Wenn Fachkräfte unsere Einrichtung verlassen, geschieht das meist nur aus einem Grund: Ihnen fehlen Aufstiegschancen. Bei uns arbeiten viele Akademiker. Nach dem Studium wollen sie in unserer Kita die Praxis kennenlernen, Erfahrungen sammeln. Und ich habe noch nie jemanden erlebt, dem die Arbeit mit den Kindern hier keinen Spaß gemacht hat. Doch auf Dauer in der Gruppe arbeiten? Nein. Lieber suchen sie sich etwas Neues, wollen eine Kita leiten oder wechseln in einen ganz anderen Job. Viele, die ein Studium gemacht haben, hören Sprüche wie: ‚Und um Kindern den Hintern abzuwischen, hast du studiert?‘ Das gilt erst recht für männliche Fachkräfte. Fünf unserer 14 Fachkräfte sind Männer. Sie schätzen die Arbeit in unserem offenen Haus, den Teamgeist, die Möglichkeit, sich selbst weiterentwickeln zu können. Doch in ihrem Freundeskreis werden sie meist belächelt. ‚Willst du dort für immer arbeiten?‘, heißt es.

Politik müsste frühkindlicher Bildung mehr gesellschaftliche Anerkennung verschaffen. Wer Bildungspläne verfasst, aber trotzdem von ‚Betreuungsangeboten‘ spricht, darf sich nicht wundern, wenn der Nachwuchs keine Lust auf solche Jobs hat. Und: Politik müsste ein klares Signal setzen, indem sie für bessere Rahmenbedingungen sorgt, die sich an den Belangen der Kinder und Fachkräfte orientieren. Stattdessen stellt sie die Bedürfnisse der Eltern in den Vordergrund und setzt auf beitragsfreie Kita-Jahre. Unter den gegenwärtigen Umständen sind die Belastungen einfach zu groß, als dass Erzieherinnen und Erzieher bis 67 Jahre durchhalten könnten. Auf den Knien herumrutschen, Kinder hochheben, den Lärm und die ständigen kleinen Streitereien im Alltag aushalten, zerrt am Nervenkostüm.

Um Fachkräfte im Beruf zu halten, müssen sie die pädagogische Arbeit mitgestalten können.

Um Fachkräfte im Beruf zu halten, müssen sie die pädagogische Arbeit mitgestalten können. Ich sehe bei uns immer wieder, wie sehr es diesen am Herzen liegt, den Kindern Werte mitzugeben, die wichtig sind: etwa, respektvoller Umgang mit der Natur und den Mitmenschen. Eigenständigkeit und Verantwortung sind gefragt. Das geht nur, wenn alles transparent ist: von den Entscheidungsprozessen bis hin zu den Finanzen.

Der Träger lässt uns großen Spielraum. Für das E&W-Gespräch um Erlaubnis fragen? Absurd. Das Vertrauen in uns ist die Grundlage dafür, dass wir uns selbst vertrauen. Wenn wir Fehler machen, reden wir offen darüber und lernen daraus. Ohne diese Fehlerkultur könnten wir unser pädagogisches Konzept nicht kreativ weiterentwickeln. Das ist Fachkräften wichtiger als Geld. Sie wollen auf qualitativ hohem Niveau arbeiten. Dafür braucht es Zeit zur gemeinsamen Reflexion, an der es leider oft mangelt. Sich nach acht Stunden Kita-Alltag zur Teambesprechung hinzusetzen, bringt wenig. Daher machen wir einmal im Monat freitags um 12.30 Uhr zu. Den Eltern haben wir das erklärt: Diese Zeit ist nötig, um gute Arbeit mit ihren Kindern zu machen. Es erstaunt vielleicht, aber wenn man offen damit umgeht, ist das kein Problem.“

Ulrike Tönnies / Foto: Kay Herschelmann

„Teamkultur muss stimmen“

Ulrike Tönnies, Leiterin des INA-Kindergartens Lüneburger Straße, Berlin-Moabit:

„Den Job als Erzieherin oder Erzieher hält man auf Dauer nur durch, wenn die Teamkultur stimmt und in der Einrichtung gut zusammengearbeitet wird. Zum Glück ist das unsere Stärke. Obwohl wir mit 90 Kindern recht groß sind, kennen sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut. Eine hatte einmal gekündigt, weil ihr der Weg zur Kita zu lang war. Nach drei Monaten stand sie wieder vor der Tür. Sie vermisste das gute Arbeitsklima. Fluktuation gibt es fast nur schwangerschaftsbedingt.

Noch etwas hält die Leute bei uns: Wir haben altershomogene Gruppen. Jede Fachkraft begleitet ‚ihre‘ Kinder vom ersten Kita-Tag bis zur Einschulung. Zu sehen, wie sich die Förderung der Anfangsjahre auszahlt, motiviert unglaublich.

Ich höre immer wieder, dass die geringen Aufstiegschancen den Beruf auf Dauer unattraktiv machen. Das beobachte ich nicht. Zumindest in der Generation der unter 30-Jährigen rangiert eine befriedigende Aufgabe klar vor Karriere. Für sie zählen auch Freiheit bei der Arbeit und das Ausleben vielfältiger Interessen, Künstlerisches oder Tanz zum Beispiel. Und vor allem Bachelorabsolventinnen und -absolventen möchten sich vertieft mit der Pädagogik auseinandersetzen.

Auch der bescheidene Verdienst macht unseren Job nicht attraktiv.

Ich glaube, manche Fachkräfte hält es nicht lange im Beruf, weil oft mehrere Faktoren zusammenkommen: Die Arbeit ist unglaublich anstrengend, gerade in offenen Gruppen, die sich immer wieder neu zusammensetzen. Der pädagogische Anspruch steigt, aber die Rahmenbedingungen sind schlecht. Der Personalpuffer ist in vielen Einrichtungen lächerlich. Wenn mehrere Fachkräfte krank sind, steht eine Erzieherin schon mal mit 26 Kindern da. Das zehrt.

Auch der bescheidene Verdienst macht unseren Job nicht attraktiv. Vor allem wer einen Studienabschluss hat, müsste besser bezahlt werden. Ganz schlimm ist es in Großstädten wie Berlin, in denen die Mieten steigen. Eine Mitarbeiterin weiß zum Beispiel schon heute, dass sie angesichts ihrer Staffelmiete in zwei Jahren aus dem Bezirk wegziehen muss. Auch als Leiterin ist der Verdienst nicht überragend. Ich leite eine Einrichtung mit 16 Beschäftigten, das entspricht einem kleinen mittelständischen Unternehmen. Als Geschäftsführerin eines Betriebs bekäme ich ein Vielfaches.

Auch die elterngerechten Öffnungszeiten machen den Beruf zunehmend unattraktiv. Viele Einrichtungen haben von 6.30 Uhr bis 17 oder 18 Uhr auf, manche sogar länger. Die Eltern bringen schon Einjährige acht, neun Stunden zu uns. Der neuen Elterngeneration ist sehr wichtig, Zeit für sich zu haben. Für mich ist die Ausdehnung der Öffnungszeiten ein Grund, früher aufzuhören. Ich bin jetzt 63 Jahre alt, am Ende dieses Kita-Jahres ist Schluss. Ich hoffe, dass sich die Situation für meine Nachfolger verbessert. Mit dem ‚Gute-Kita-Gesetz‘ soll sich ja der Personalschlüssel verbessern, auch um die Belastung der Fachkräfte zu reduzieren und sie im Beruf zu halten.“