Coronapandemie in England
Gewerkschaften begrüßen Flexibilität bei den Prüfungen
England verzichtet in diesem Jahr auf externe Abschlussprüfungen. Die Bildungsgewerkschaften begrüßen das, fordern aber, das Arbeitsvolumen für die Durchführung und Korrektur der Prüfungen im Deputat abzubilden.
Angesichts der anhaltenden Coronapandemie kündigte der englische Bildungsminister Gavin Williamson überraschend an, auf die Expertise der Lehrerinnen und Lehrer bei den Abschlussprüfungen zu vertrauen. Die von den Lehrkräften vergebene Zensur soll als mittlerer Abschluss (GCSE-Prüfung) und als Abitur (A-Level) anerkannt werden. Sie setzt sich aus den Noten der Schülerinnen und Schüler im laufenden Schuljahr und einer internen Abschlussprüfung zusammen.
Diesen Schritt begrüßen die Bildungsgewerkschaften grundsätzlich. Denn: Im letzten Jahr hatte sich das Bildungsministerium erst durch die Proteste der Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen und Schülern von den standardisierten Prüfungsergebnissen abbringen lassen, die viele Schülerinnen und Schüler benachteiligten.
Enormer Zeitaufwand für die Lehrkräfte
Der Bildungsminister hat damit jedoch zugleich die Verantwortung und Organisation der Prüfungen vom Ministerium auf die einzelnen Schulen verlagert. Bislang wurden die Prüfungsaufgaben von externen Prüfungsausschüssen geplant, von den Schulen gekauft und an national festgesetzten Terminen, unter Aufsicht der Lehrkräfte geschrieben. Korrigiert wurden sie durch bezahlte Beauftragte des Ausschusses.
Die internen Prüfungen und Korrekturen müssen nun von den Lehrkräften geleistet werden. Der enorme Zeitaufwand für die Vorbereitung und Korrektur der Prüfungen ist dabei nicht im Deputat der Lehrkräfte abgebildet. Zudem setzt das Bildungsministerium die Schulen unter Druck, eine ‚Inflation‘ von guten Zensuren zu verhindern. Bei zu guten Ergebnissen droht einzelnen Schulen eine Überprüfung.
Bildungsgewerkschaften fordern klares Konzept
Mary Bousted, die Ko-Vorsitzende der National Education Union (NEU) bezeichnete den Plan des Bildungsministers als den „am wenigsten schlimmen“. Auch Patrick Roach, der Vorsitzende der NASUWT, bescheinigt der Regierung, eine große Chance verspielt zu haben, um ein zuverlässiges und durchführbares Konzept vorzulegen. Dabei helfe auch die angekündigte Verlängerung des Prüfungszeitraums um zwei Wochen nicht. Eine klare Orientierung der Regierung und die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften seien nötig, um eine Strategie für die kommenden Jahre zu erarbeiten.
Debatte um das Aufholen von Bildungsdefiziten
In England sind die Schulen seit dem 8. März wieder geöffnet. Die Bildungsgewerkschaften sind besorgt um den Gesundheitsschutz, denn trotz sinkender Covid-19-Infektionszahlen sind diese immer noch dreimal höher als bei den Schulöffnungen im letzten September.
Politik und Gewerkschaften beschäftigt zudem die Frage danach, wie Bildungsdefizite aufgeholt und Bildungsungleichheiten reduziert werden können. Dazu hat die Regierung mit dem ‚Education Recovery Commissioner’ sogar ein eigenes Amt geschaffen und grundlegende Veränderungen angekündigt.
Tutorenprogramme werden ausgeweitet
Entschieden ist bereits, dass die Tutorenprogramme, mit denen in Kleingruppen oder Einzelunterricht Versäumtes nachgeholt wird, ausgeweitet werden. Das Spektrum der Tutoren reicht von nicht qualifizierten 18-Jährigen bis zu pensionierten Lehrkräften, die für die Tätigkeit bezahlt werden.
Für die Tutorenprogramme müssen die Schulen 25 Prozent der Kosten selbst tragen, 75 Prozent kommen aus einem Regierungsprogramm, für das 350 Millionen Pfund zur Verfügung stehen. Auch kommerzielle Anbieter können sich am Tutorenprogramm beteiligen, womit die Privatisierung im englischen Bildungssystem weiter befördert wird. Da die privaten Anbieter deutlich mehr Geld für die Tutorentätigkeit erhalten, hat die NEU dies zudem als ineffiziente Verwendung öffentlicher Gelder angeprangert.
Die politische Diskussion wird mit aktiver Beteiligung der Bildungsgewerkschaften weitergehen: Mit Blick auf die Gestaltung der kommenden Schuljahre wird aktuell in der britischen Öffentlichkeit über verschiedene Formate – Semester, Trimester, Sommerschulen in den Ferien und längere Schultage, die Verstetigung der ‚breakfast clubs‘ und die Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen, das Schuljahr zu wiederholen – debattiert.