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Neues Urteil zu Tarifregelungen

Bundesarbeitsgericht stärkt Rechte von Teilzeitbeschäftigten

In einer wegweisenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass Teilzeitbeschäftigten Zuschläge für Mehrarbeit bereits beim Überschreiten ihrer regelmäßigen Arbeitszeit zustehen.

In einer wegweisenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 5. Dezember 2024 klargestellt, dass Teilzeitbeschäftigten Zuschläge für Mehrarbeit bereits beim Überschreiten ihrer regelmäßigen Arbeitszeit zustehen und nicht erst, wenn sie über die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinaus arbeiten.

Das Urteil dürfte eine große Zahl von Tarifverträgen betreffen. Denn viele Tarifverträge enthalten Regelungen, wonach Mehrarbeit in Teilzeit bis zum Erreichen der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten von den Überstundenzuschlägen ausgenommen ist. Dies gibt den Arbeitgebern eine hohe Flexibilität beim Einsatz von Teilzeitbeschäftigten ohne zusätzliche Kosten. Solche Regelungen sind nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und nunmehr der Umsetzungsentscheidung des BAG nicht mehr zulässig.

Teilzeitbeschäftigte nicht diskriminieren

Das BAG hatte über zwei Verfahren zu entscheiden. Kläger*innen waren ein teilzeitbeschäftigter Flugzeugführer und eine teilzeitbeschäftigte Pflegekraft in einer Dialysestation. Vor den Entscheidungen des BAG vom 4. Dezember (BAG 10 AZR 185/20) und am 5. Dezember (BAG 8 AZR 370/20; 8 AZR 372/20) hatte das Bundesarbeitsgericht die Fälle dem Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorgelegt. Dieser hatte letztes Jahr in der Lufthansa CityLine Entscheidung (C-660/20) bzgl. des Flugzeugführers festgestellt, dass eine derartige tarifvertragliche Regelung Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Das BAG sollte am 04.12. darüber entscheiden, ob die Benachteiligung im vorliegenden Fall durch den Tarifvertrag gerechtfertigt ist oder nicht. Doch das BAG hat das Verfahren jetzt wieder an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, das zunächst bestimmen solle, welcher Tarifvertrag Anwendung finde. Hier steht also noch eine wichtige Entscheidung aus.

BAG schließt sich Urteil des EuGH an

Im Juli dieses Jahres hatte der EuGH festgestellt (EuGH C-184/22 und C-185/22), dass Teilzeitbeschäftigte in der betreffenden Dialysestation aufgrund ihres Geschlechts durch die dortige tarifvertragliche Regelung diskriminiert werden. Da die vom Tarifvertrag betroffenen Teilzeitbeschäftigten überwiegend Frauen sind, sah der EuGH in der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Hier schloss sich das Bundesarbeitsgericht am 05.12. der Entscheidung des EuGH an.

In der Pressemitteilung des BAG 34/24 vom 05.12. heißt es: „Eine tarifvertragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, behandelt teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte. Sie verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter (§ 4 Abs. 1 TzBfG), wenn die in ihr liegende Ungleichbehandlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Fehlen solche sachlichen Gründe, liegt regelmäßig zugleich eine gegen Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 7 Abs. 1 AGG) verstoßende mittelbare Benachteiligung wegen des (weiblichen) Geschlechts vor, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind.“

Der betroffenen Teilzeitbeschäftigten steht eine Stundengutschrift in Höhe der Überstundenzuschläge zu, genauso wie sie einen Anspruch auf geringfügige Entschädigung nach dem AGG wegen dieser Diskriminierung hat.

Folgen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst?

Das Urteil hat möglicherweise auch weitreichende Folgen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Zwar befand das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2021 (6 AZR 253/19), dass Teilzeitbeschäftigte durch die Mehrarbeitsregelung im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) nicht ungleich behandelt würden, da es bereits an einer Vergleichbarkeit von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten fehle. Doch gegen diese Entscheidung ist eine Verfassungsbeschwerde beim BAG anhängig (1 BvR 1198/22). So findet sich dieselbe Regelung auch im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und im Land Hessen (TV-H) wieder. 

Nach Einschätzung der GEW sind auch diese Regelungen im Lichte der jüngsten Entscheidung des BAG neu zu bewerten, weil sie Teilzeitbeschäftigte, die Mehrarbeit über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus leisten, gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligen. Hier gilt es jedoch, die genauen Urteilsgründe der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.12. sowie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten.

Gemeinsam mit der verhandlungsführenden Gewerkschaft ver.di hat die GEW schon in der Vergangenheit mehrfach gefordert, diese diskriminierende Regelung aus den Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst zu streichen. Dies ist auch wieder Teil der Forderungen für die anstehende Tarifrunde mit Bund und Kommunen (TVöD). Jetzt werden wir unverzüglich auf die öffentlichen Arbeitgeber zugehen, um die Tarifverträge so schnell wie möglich rechtskonform zu gestalten und die Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten zu beenden!