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„Potsdamer Erklärung für zukunftsfähiges Abitur“

Bündnis fordert moderne Oberstufe

Der digitale Wandel, die Veränderung der Arbeitswelt und die Heterogenität der Schülerschaft erfordern nach Ansicht von Fachleuten eine Reform des Abiturs. Dazu stellte ein Bündnis, zu dem auch die GEW gehört, sechs Eckpunkte vor.

Foto: Pixabay / CC0

Ein Bündnis aus Praktikerinnen und Praktikern, Fachleuten und der GEW fordert die Kultusministerkonferenz (KMK) auf, das Abitur zeitgemäßer und flexibler zu gestalten. Dabei geht es dem Bündnis um mehr Vergleichbarkeit der Abiturnoten, individuellere Bildungswege durch eine immer diversere Schülerschaft, neue Lern- und Prüfungsformate sowie das Erlernen von Kompetenzen, die in der digitalen Gesellschaft und Arbeitswelt wichtig sind.

„Für mehr Bildungsgerechtigkeit brauchen wir flexiblere Wege zum Abitur.“ (Anja Bensinger-Stolze)

„Wir plädieren für eine Oberstufe, in der fachlich und interdisziplinär, individuell und im Team, projektorientiert und inhaltlich vertieft, digital und analog, handlungsorientiert und theoriebezogen auf hohem Niveau gelernt und gearbeitet werden kann“, heißt es in der „Potsdamer Erklärung“, die das Bündnis am Freitag vorstellte. GEW-Vorstandsmitglied und Schulexpertin Anja Bensinger-Stolze sagte: „Für mehr Bildungsgerechtigkeit brauchen wir flexiblere Wege zum Abitur.“

Länder planen Oberstufenreform

Hintergrund: Das „Bündnis für ein zukunftsfähiges Abitur“ befürchtet, dass Gestaltungsräume der Schulen und Reformansätze eingeschränkt werden, wenn die KMK wie geplant im März eine neue „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe und der Abiturprüfung“ verabschiedet.

In der „Potsdamer Erklärung für ein zukunftsfähiges Abitur“ heißt es daher weiter: „Alle Jugendlichen müssen lernen, im Team zu arbeiten und ihr Lernen selbstständig zu verantworten. Kreatives und vernetztes Denken ebenso wie komplexe Problemlösefähigkeiten gehören zu den notwendigen und geforderten Kompetenzen.“ Viele Grundschulen und Schulen in der Sekundarstufe I veränderten seit Jahren ihre pädagogische Arbeit in diesem Sinne, in der gymnasialen Oberstufe hingegen verhinderten strikte formale Regelungen dies.

„Um den Jugendlichen mehr Zeit zu geben, sich mit anspruchsvollen Themen auseinanderzusetzen, brauchen wir mehr Freiheiten im Curriculum.“

Die heterogene Schülerschaft sei eine Chance, erklärte Bensinger-Stolze weiter und betonte zugleich: „Um diese Chance zu nutzen, bedarf es flexiblerer Wege zum Abitur, nicht noch mehr Klausuren und noch mehr Auflagen. Um den Jugendlichen mehr Zeit zu geben, sich mit anspruchsvollen Themen auseinanderzusetzen, brauchen wir weniger Verpflichtungen und mehr Freiheiten im Curriculum“.

Sechs Handlungsfelder

Ihre Forderungen formulieren die Verfasserinnen und Verfasser des Papiers in sechs Handlungsfeldern. Zu den Vorschlägen gehören das Arbeiten in unterschiedlichsten Lerngruppen, neue Prüfungsformate wie Forschungsberichte oder Multimediapräsentationen, weniger Belegverpflichtungen und die individuelle Auseinandersetzung mit Schwerpunktthemen sowie Schulzeitstreckungen oder -verkürzungen.

„Wir brauchen eine öffentliche Bildungsdebatte.“

Weil sich Schule und Bildung immer schneller ändern, soll es eine Innovationsklausel ermöglichen, darauf flexibel reagieren und Inhalte und Formate anpassen zu können. Wichtig sind dem Bündnis auch Transparenz und Mitbestimmung: „Die KMK tagt wieder hinter verschlossenen Türen, statt mit den Bildungsbeteiligten zu beraten. Wir brauchen eine öffentliche Bildungsdebatte“, sagte Bensinger-Stolze. Daher laden die Initiatorinnen und Initiatoren der „Potsdamer Erklärung“ dazu ein, sich zu vernetzen und die Erklärung zu unterzeichnen.

  • Zukunftsfähige Lernkultur: Die bisherige Struktur der Oberstufe basiert auf gemeinsamem Unterricht nach Fächern getrennt für alle zur gleichen Zeit und am gleichen Ort. Nötig ist aber eine Lernarchitektur, die das Lernen allein, zu zweit, im Team, in kleinen oder großen Gruppen ermöglicht, in unterschiedlichem Lerntempo, auch zu variablen Zeiten.
  • Weiterentwicklung der Prüfungsformate: Die Leistungsmessung in der Oberstufe und im Abitur wird dominiert von Klausuren. Um die oben genannte Lernkultur auch in den Prüfungen abzubilden, müssen Leistungen in unterschiedlichen Formaten erbracht werden können – etwa als E Portfolios, Forschungsberichte, Kolloquien oder Multimediapräsentationen.
  • Zeit für Vertiefung: Die Beleg- und Einbringverpflichtungen in der Oberstufe führen zu 30 bis 35 Wochenstunden als Präsenzzeit in vielfältigen Kursen. Um den Jugendlichen Zeit zu geben, sich vertieft mit anspruchsvollen Themen auseinanderzusetzen und dabei eigene Schwerpunkte zu setzen, sind eine verringerte und zeitlich flexiblere Belegverpflichtung und schlankere curriculare Vorgaben nötig.
  • Individuelle Bildungswege: Dazu gehören etwa Schulzeitstreckungen oder Verkürzungen,  die Anerkennung außerschulisch erbrachter Leistungen nach klaren Kriterien und die Wiederholbarkeit einzelner Kurse. Öffnungen für ein „Abitur im eigenen Takt” würden mehr Bildungsgerechtigkeit ermöglichen.
  • Innovationsklausel: Die Anforderung an Schule und Bildung wird sich auch in der Zukunft laufend ändern, auch angesichts des beschleunigten Wandels von Gesellschaft und Arbeitswelt. Deshalb bedarf es einer Regelung, die strukturell Raum für Innovation in Schule und Bildung schafft. 
  • Öffentliche Bildungsdebatte: Die Debatte darüber, wie eine künftige gymnasiale Oberstufe aussehen soll, wird von der KMK weitgehend hinter verschlossenen Türen geführt und ohne öffentliche Beteiligung entschieden. Einbezogen werden sollten jedoch alle – Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte, Wissenschaft, Unternehmen, und Gewerkschaften.