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Brief und Siegel für saubere Mode

Drei Jahre nach dem Unglück von Rana Plaza mit mehr als 1.000 Toten kommt das Fairtrade-Siegel für Kleidung. Der neue Standard verlangt existenzsichernde Löhne und verbietet Kinderarbeit.

Foto: Martina Hahn

Die Bilder erschütterten die Welt: Im April vor drei Jahren stürzte in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza ein. Über 1 000 Näherinnen und Näher wurden getötet, 2 500 überlebten schwer verletzt. Sie hatten in dem Gebäude zu einem Hungerlohn Kleidung für westliche Modehäuser gefertigt – darunter Mango, Benetton, C&A und Primark.

Seit der Katastrophe machen sich viele Konsumenten über die Herstellung von Textilien Gedanken. Auf die wachsende Nachfrage nach anständig produzierten T-Shirts, Hemden oder Hosen reagiert nun TransFair. Der deutsche Ableger der Siegelorganisation Fairtrade International hat den ersten Standard für Textilfabriken weltweit vorgestellt. Nach Kaffee, Schokolade, Bananen oder Orangensaft soll es das Fairtrade-Siegel künftig auch für Mode geben.

Neu ist, dass erstmals die Lebens- und Jobbedingungen aller Arbeiterinnen und Arbeiter in der gesamten Lieferkette eines T-Shirts verbessert werden müssen – also die der Näherinnen ebenso wie die der Baumwollpflücker, Färber, Gerber und Konfektionäre. Sie sollen über das neue Textilprogramm erstmals einen existenzsichernden Lohn erhalten. Wie hoch dieser sein wird, ist offen – derzeit berechnen ihn Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Fair-Handelsorganisationen für jedes einzelne Produktionsland. Momentan erhält ein Näher in Bangladesch umgerechnet 50 Euro im Monat, in Kambodscha 123.

Kinderarbeit verbietet der neue Standard. Die Markenunternehmen werden zu langfristigen Einkaufspraktiken verpflichtet. Und sie müssen ihren Zulieferern – den Nähfabriken in Asien oder Osteuropa wie auch den Besitzern von Baumwollplantagen – einen besseren Preis für die Ware bezahlen. „Nur dann können diese ihren Arbeiterinnen und Arbeitern einen höheren Lohn geben“, sagt Maren Sartory von TransFair.

Gesamte Lieferkette mus zertifiziert sein

Auch Umweltkriterien spielen beim Fairtrade-Textilstandard eine Rolle: „Der Einsatz von Chemikalien darf die Gesundheit der Arbeiter nicht beeinträchtigen“, so Sartory. Verboten sind Substanzen, die „krebserregend und hochgiftig sind“. Ob die Regeln eingehalten werden, kontrolliert – wie schon bei Lebensmitteln – die Zertifizierungsorganisation FLOCERT. Die Kosten trägt jeder Zulieferer selbst.

Sechs Jahre haben die beteiligten Firmen Zeit, die Löhne anzuheben. Diese Umstellungsphase sei wichtig, um die Textilerzeuger und die Beschäftigten vor Ort mitzunehmen. Nur dann könne man überhaupt Veränderungen erreichen, sagte Siva Parti, Experte für Umwelt, Gesundheit und Arbeitssicherheit bei Sustainable Textile Solutions. Das Textilprogramm hole die Fabriken „an dem Punkt ab, an dem sie stehen, und hilft ihnen, die hohen Anforderungen des Standards zu erfüllen“. Dabei werden die Betriebe in Arbeitsrecht und Gesundheitsschutz geschult.

Ob ein Modeanbieter alle fairen Kriterien auf dem langen Produktionsweg vom Baumwollfeld bis zur Ladentheke tatsächlich erfüllt, erkennen Konsumenten am neuen „Fairtrade Textile Production“-Zeichen auf dem Anhänger am Kleidungsstück. Die Modekette oder Boutique darf aber erst damit werben, wenn die gesamte Lieferkette des T-Shirts zertifiziert ist und jede einzelne mitwirkende Arbeiterin bzw. jeder Arbeiter fair bezahlt wird.

Solange das Shirt noch nicht komplett fair produziert wird, darf auch kein Fairtrade-Siegel aufs Etikett. Das Unternehmen kann jedoch bereits in Berichten oder auf seiner Website auf sein soziales Engagement hinweisen. Und dem Kunden gegenüber kommunizieren, in welchem Stadium es sich auf dem Weg zu existenzsichernden Löhnen befindet.

14,82 statt 13 Euro fürs T-Shirt

Teurer muss fair produzierte Kleidung nicht zwingend werden: Die Arbeitskosten der Näherinnen und Näher machen derzeit in der Regel weniger als ein Prozent des Endpreises aus: Wenn sich die Löhne für die Beschäftigten entlang der gesamten Lieferkette des T-Shirts verdoppeln, erhöhe sich der Preis im Laden um maximal 14 Prozent – das ergab eine Studie der Fair Wear Foundation. Das T-Shirt würde also 14,82 Euro statt 13 Euro kosten. Doch was der Modekonzern letztendlich vom Kunden verlange, „liegt im Ermessen der Marken und Unternehmen, hier hat Fairtrade keinen Einfluss“, sagt Sartory. Die Anbieter müssten die höheren Produktionskosten auch gar nicht aufs T-Shirt aufschlagen – sie könnten einfach an Marketing oder Werbung sparen.

Noch ist offen, wann Kunden die ersten fairen Teile im Handel finden und welche Unternehmen mitmachen – mit etlichen sei man im Gespräch, so die TransFair-Sprecherin. Angewendet werden kann der neue Standard ab Juni. „Das heißt, es wird noch einige Zeit dauern, bis es die erste Lieferkette gibt, die komplett nach dem Textilstandard zertifiziert ist.“

Menschenrechtsorganisationen wie der Kampagne für Saubere Kleidung (CCC) geht der neue Fairtrade-Textilstandard nicht weit genug. Schließlich könne eine Modekette auch dann mit fairem Engagement werben, wenn sie nur einen kleinen Teil der Kollektion umstellt – und das Gros des Sortiments weiter in Billigfabriken und unter menschenunwürdigen Zuständen nähen lässt. Das sei Fairwashing. CCC ist gegen ein Label für einzelne Produkte – und fordert, dass sich das gesamte Unternehmen fair aufstellen müsse. Kritiker monieren zudem, dass Fairtrade seinen Partnern nicht vorschreibe, wie das Personal der am Programm teilnehmenden Modehäuser in Deutschland entlohnt werden soll. TransFair entgegnet, Auftrag und Mandat des klassischen Fairen Handels liege in den Ländern des globalen Südens.

Auch die Bundesregierung fordert im Übrigen von der Textil- und Modeindustrie mehr soziale Verantwortung: Sie müsse endlich die Missstände abstellen und die Zulieferer besser bezahlen – sonst würde sie per Gesetz dazu verdonnert. Die Wirtschaft hingegen lehnt eine verbindliche Regulierung ab und setzt bei den Sozialstandards auf freiwillige Selbstverpflichtung.

Auch die GEW-Stiftung „fair childhood - Bildung statt Kinderarbeit“ hat seit 2011 in Indien drei Projekte auf die Beine gestellt. Susanne Hemmerling, Referentin der Stiftung, hat diese jüngst besucht. Ihre Zwischenbilanz ist ebenfalls in der neuen "E&W" veröffentlicht.