Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
Blaupause aus Dresden
Unter dem Slogan „Perspektiven für Hanna“ hat die GEW auf einer Konferenz in Dresden ihren Entwurf für ein „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ präsentiert.
Es war nur einer von acht Workshops in kleiner Runde auf der Dresdner Wissenschaftskonferenz der GEW, aber er förderte Alarmierendes zu Tage. Kettenbefristungen und unsichere Karrierewege belasten nicht nur die private, familiäre Situation der Betroffenen. Sie führen auch zu Abhängigkeitsbeziehungen, Machtmissbrauch und einer Kultur der Angst im akademischen Alltag. Drohungen, Beleidigungen und sexualisiert Gewalt, unbezahlte Mehrarbeit und Diebstahl geistigen Eigentums sind Ausdruck des oft tabuisierten Fehlverhaltens von Führungspersonen. „Eng befristete Beschäftigungsverhältnisse führen zu großem Druck und einer Selektion der Angepassten“, sagte der Psychologe Daniel Leising, Professor für Diagnostik und Intervention an der Technischen Universität Dresden.
GEW legt eigenen Gesetzentwurf vor
Der Einblick in Drangsalierungen und Demütigungen machte einmal mehr deutlich, wie wichtig eine umfassende Reform des geltenden Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) ist. Die Gelegenheit ist günstig: SPD, Grüne und FDP haben sich in ihrem Koalitionsvertrag eine Reform des Gesetzes unter dem GEW-Slogan „Dauerstellen für Daueraufgaben“ vorgenommen. Die GEW hat daher in Dresden einen eigenen Gesetzentwurf für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz vorgelegt – als „Blaupause für Parlament und Regierung“, wie Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzende und Hochschulexperte der Bildungsgewerkschaft, sagte. Dabei gelte anders als bei wissenschaftlichen Publikationen kein Plagiatsverbot: „Abschreiben ist ausdrücklich erwünscht.“
„Die Befristungspraxis ist zum Selbstzweck geworden.“ (Andreas Keller)
Die jüngste Evaluation des Gesetzes im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) habe ergeben, dass sich das Gesetz weit von seinem ursprünglichen Zweck der Qualifizierung entfernt habe. „Die Befristungspraxis ist zum Selbstzweck geworden“, sagte Keller. Heute seien 84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten befristet beschäftigt, die durchschnittliche Laufzeit der Zeitverträge liege bei nur 18 Monaten.
Mit ihrem Dresdner Gesetzentwurf fordert die GEW in acht Leitlinien unter anderem:
- Dauerstellen für Daueraufgaben,
- eine verbindliche Entfristungsperspektive für Postdocs,
- eine Regellaufzeit der Verträge von sechs Jahren und
- mindestens 50 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit für die eigene Qualifizierung – statt Dienstleistungen für promotionsfremde Aufgaben.
Außerdem soll die Tarifsperre für Zeitverträge in der Wissenschaft aufgehoben und die im Gesetz enthaltenen Optionen zum Nachteilsausgleich bei Kinderbetreuung, Behinderung oder Beeinträchtigungen durch die Coronapandemie als Rechtsanspruch ausgestaltet werden.
„Manches muss man auch in den Ländern durchkämpfen.“ (Holger Mann)
Als Vertreter der Ampelkoalition betonte der SPD-Bundestagsabgeordnete Holger Mann, dass mehr Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase ein wichtiges Ziel der Novelle werde. Es sei gut, dass die GEW mit einem eigenen Gesetzentwurf eine Vorlage gemacht habe. Allerdings könnten nicht alle Ziele auf Bundesebene durchgesetzt werden. „Manches muss man auch in den Ländern durchkämpfen“, so Mann. Eine Steilvorlage für Tobias Schulze, wissenschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Er warb für die 2021 im Berliner Hochschulgesetz verankerte Postdoc-Regelung, die die Hochschulen zu einer „Anschlusszusage“ verpflichte, wenn sie nach der Promotion weiter befristen wolle. Eine bundesgesetzliche Regelung wäre aber noch besser, freute sich Schulze über die GEW-Initiative.
„Ich bin hier um auf den Tisch zu hauen.“ (Reyhan Şahin)
Ob eine wirksame Reform des WissZeitVG hin zum von der GEW konzipierten Entfristungsgesetz durchgesetzt werden kann, ist nicht nur eine Frage der besseren Argumente, sondern ob sich die Betroffenen im kommenden Wintersemester zu Wort melden. Das war Tenor eines Panels mit Aktivistinnen und Aktivisten, die im letzten Jahr mit dem Hashtag #IchBinHanna in sozialen Medien wie Twitter für Furore gesorgt hatten.
„Ich bin hier um auf den Tisch zu hauen, damit sich endlich was ändert in der Fuckademia“, sagte die Sprach-, Migrations- und Rassismusforscherin Reyhan Şahin, die vor 15 Jahren unter dem Künstlernamen Lady Bitch Ray als Rapperin und mit provozierenden TV-Auftritten bekannt geworden war. „Der Universitätsbetriebe ist elitär, hierarchisch und weiß männlich dominiert. Erwartet keinen Ponyhof, sondern macht euch auf Haifischbecken mit eingesperrten, verstörten Piranhas gefasst“, warnte Şahin.
Drittmittelförderung als „Lotteriespiel“
Der Fachbegriff der „intersektionalen“, also mehrfachen Diskriminierung zog sich wie ein roter Faden durch die Konferenz. Das ist auch die Quintessenz einer von der Max-Traeger-Stiftung der GEW geförderten Studie, die Autor René Krempow vorstellte. Kinder mit Migrationshintergrund hätten schlechtere Chancen auf einen Hochschulabschluss – vor allem dann, wenn auch die Eltern nicht studiert haben, resümierte Krempkow.
Jennifer S. Henke, Vertretungsprofessorin an der Universität Greifswald, hob den Zusammenhang von Befristungen und Drittmittelfinanzierung in der Wissenschaft hervor. Sie prangerte an, dass das BMBF miit Kürzungen von Forschungsprojekten die Lage weiter verschärfe, statt für eine stabile Hochschulfinanzierung zu sorgen.
Als „Lotteriespiel“ kritisierte gar Robert Kretschmer, Chemie-Professor an der Technischen Universität Chemnitz, die Drittmittelförderung. Gelder, die Bund und Länder in die Drittmittelforschung steckten, fehlten nicht nur in der Grundfinanzierung. „Das Drittmittelsystem entzieht den Hochschulen sogar Ressourcen, weil sie grundfinanziertes Personal- und Sachmittel in Anspruch nehmen – ganz zu schweigen von der investierten Zeit bei erfolglosen Anträgen“, führte Kretschmer aus.
Zum Abschluss der Konferenz wünschte sich GEW-Vize Keller, dass die Kampagne für „Dauerstellen für Daueraufgaben“ keine Daueraufgabe bleibe, sondern zum Erfolg führe. Mit der #IchBinHanna-Bewegung, den Vereinbarungen der Ampelkoalition und den eindeutigen Ergebnissen der WissZeitVG-Evaluation seien die Voraussetzungen für eine echte Reform besser denn je. „Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir?“ fragte er und forderte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf, sich in den kommenden Monaten weiter für Verbesserungen einzusetzen.