Zum Inhalt springen

fair childhood - Bildung statt Kinderarbeit

Billiglohn für schicke Treter

Fünf Paar Schuhe kauft jeder Bürger im Schnitt pro Jahr - unter welchen Bedingungen diese hergestellt werden, weiß kaum einer. Das zeigen Studien der NGOs INKOTA* und Südwind Institut. Ein Gespräch mit INKOTA-Campaigner Berndt Hinzmann.

Produktionsbedingungen in den Zulieferbetrieben deutscher Schuhanbieter – hier in Bangladesch. Foto: GMB Akash, INKOTA/ Change Your Shoes
  • E&W: Herr Hinzmann, wissen Verbraucher, unter welchen Missständen Schuhe produziert werden?

Berndt Hinzmann: Nein. Die wenigsten haben das auf dem Radar. Nach der Katastrophe von Rana Plaza in der Stadt Sabhar in Bangladesch, bei der bei einem Gebäudeeinsturz 2013 mehr als 1.000 Menschen ums Leben kamen, lag der öffentliche Druck eher auf den Produktionsbedingungen bei T-Shirts oder Hemden. Dabei sind die Zustände in den Leder-Gerbereien und Schuhfabriken teils viel schlimmer.

  • E&W: Welche Zustände sind das?

Hinzmann: Arbeiterinnen und Arbeiter bekommen keinen offiziellen Arbeitsvertrag. Sie erhalten einen Lohn, von dem sie nicht leben können und der mitunter sogar unter dem Mindestlohn des jeweiligen Landes liegt. Sie müssen Unmengen an Überstunden leisten, viele davon werden nicht einmal bezahlt, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Wer sich gewerkschaftlich engagiert, wird bedroht oder verliert den Job. Das betrifft die Schuhfabriken in Asien ebenso wie die in Osteuropa. Bei unseren Recherchen in Indien wurden uns auch Fälle von Kinderarbeit angezeigt – vor allem bei Heimarbeit. Besonders gravierend sind die Zustände in den Gerbereien. Die heute gängige Gerbung mit Chromsalzen und die giftigen Klebstoffe gefährden die Gesundheit der Frauen, Männer und Kinder, die in den Gerbereien und Schuhfabriken arbeiten – und die der Anwohner. Denn hochtoxische Stoffe wie Chrom VI vergiften Gewässer und Böden und gelangen in Lebensmittel.

  • E&W: Sie kritisieren die niedrigen Löhne. Können Sie Beispiele nennen?

Hinzmann: Wer in Indien in der Schuhindustrie gut verdient, bringt im Monat umgerechnet etwa 80 Euro nach Hause – mit Überstunden und bei einer 6-Tage-Woche! Für ein existenzsicherndes Einkommen müsste der Lohn fast dreimal so hoch sein. Auch die Arbeiterinnen und Arbeiter, die in osteuropäischen Fabriken, etwa in Albanien oder Nordmazedonien, einen Großteil unserer Schuhe herstellen, werden mit viel zu niedrigen Löhnen abgespeist. Im EU-Land Rumänien beispielsweise liegt der staatliche Mindestlohn bei rund 400 Euro im Monat. Davon kann keine Familie leben.

  • E&W: Die Schuhbranche weist den Vorwurf, sie zahle Hungerlöhne, zurück – und betont, dass die Bezahlung dem landesüblichen Niveau entspräche.

Hinzmann: Ja, auf den staatlichen Mindestlohn verweist die Schuhbranche gerne. Dieser mag Investoren aus dem Ausland anlocken. Er reicht aber nicht, den Familien ein existenzsicherndes Leben zu ermöglichen. Diese haben trotz der anstrengenden und oft auch gefährlichen Arbeit kein Auskommen. Dennoch bekommen sie den mit Abstand geringsten Teil vom Laden-Endpreis: Von einem 120-Euro-Schuh gehen nur etwa 2,50 Euro an die Arbeiter. 45 Euro bleiben beim Einzelhandel, 26 Euro bei der Schuhmarke, der Rest sind Materialkosten, Transport, Zölle sowie der Gewinn von Zwischenhändlern und den Fabriken vor Ort. Die Branche hat anscheinend noch kein Grundverständnis, was Sorgfaltspflicht für ein Unternehmen im Konkreten bedeutet.

  • E&W: Betrifft das alle Händler und Marken?

Hinzmann: Ja, fast alle. Einige Unternehmen wie Adidas oder Deichmann machen zwar hier und da etwas mehr, schulen das Management und teilweise auch die Arbeiter oder führen Audits vor Ort durch. Doch ich sehe keinen gesamtunternehmerischen Ansatz, die menschenrechtliche Sorgfalt entlang der gesamten Lieferketten zu gewährleisten und transparent nachzuweisen! Die Schuhbranche ist nicht bereit, mir als Käufer zu garantieren, dass den Gerbern und den Menschen, die die Oberteile herstellen und die Sohlen verkleben, ein vernünftiger Lohn gezahlt worden ist und dass sie nicht durch giftige Substanzen gefährdet sind.

  • E&W: Was fordern Sie?

Hinzmann: Wer gute Qualität und Nachhaltigkeit beansprucht, muss auch glaubhaft Sorgfaltspflicht nachweisen und Risiken abstellen. Dazu müssen Gewerkschaften und die betroffenen Menschen einbezogen werden. Solange das nicht der Fall ist, bleibt jede behauptete Unternehmensverantwortung, mit der sich etliche Unternehmen brüsten, reine PR. Die Schuhbranche hat da mehr Nachholbedarf als Textil und Bekleidung.

  • E&W: Mangels Druck?

Hinzmann: Ja, auch mangels Druck und eines konsequenten Ansatzes. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fordert zwar faire Arbeitsbedingungen, die deutsche Unternehmen auch im Ausland sicherstellen sollten – und droht, dies per Gesetz durchzusetzen, wenn die Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nicht freiwillig nachkommen. Doch solange der politische Rahmen erlaubt, dass Firmen externe Kosten wie die Schäden durch Giftschlämme im Ausland nicht einkalkulieren müssen, werden Preisdumping und Vergiftung von Menschen und Natur weitergehen. Solange es diese Verbrechen gibt, darf kein Schuh und kein Kleid auf dem europäischen Markt zugelassen werden.

  • E&W: Könnte mehr Druck der Verbraucher die Schuhbranche bewegen?

Hinzmann: Öffentlicher Druck kann etwas bewegen. Allerdings sind auch viele Verbraucher nicht bereit, den wahren Preis des Schuhs zu bezahlen. Unternehmen und Händler argumentieren, dass die breite Masse selten bereit sei, für ein Paar Schuhe mehr als 20 oder 30 Euro auszugeben.

  • E&W: Worauf können Verbraucher achten?

Hinzmann: Leider gibt es keine Gütezeichen für den sozial „sauberen“ Schuh. Auch der Hinweis „Made in“ sagt nichts aus – die teuren europäischen Anbieter lagern ganz viel nach Südosteuropa aus. Und dort arbeiten oft Migranten unter erbärmlichen Bedingungen.

Das INKOTA-netzwerk ist Teil der Clean Clothes Campaign – eines Bündnisses von Kampagnen in 15 europäischen Ländern mit einem Netzwerk von mehr als 250 Partnerorganisationen weltweit, das sich für faire Arbeitsbedingungen in der Bekleidungs- und Sportartikelproduktion einsetzt.

Spendenkonto INKOTA-netzwerk e. V.: IBAN: DE06 3506 0190 1555 0000 10, BIC: GENODED1DKD

Einkaufstipps und Unterrichtsmaterial

  • Faire Schuhe gibt es etwa bei: ethletic.com, fairrubber.org, veja-store.com, solerebels.com, karma-classics.de, guttasoles.com, aliceandwhittles.com
  • Filme: „Der Preis der Turnschuhe – Billiglohn für schicke Treter“ (SWR); Clips der Kampagne Change Your Shoes bei YouTube (u. a. „Was steckt in deinem Schuh?“, „Stehst du auf Unterdrückung?“, „Made in Italy – Ausbeutung mitten in Europa“)
  • Bildungsmaterial: Fact Sheets und „Fashion – Ein globales Geschäft“ (für Schüler der Sekundarstufe II und die Lehrkräftebildung) sowie „Schuhe fallen nicht vom Himmel“, alles über https://webshop.inkota.de
  • Doku Schuhe statt Schule (2017) der GEW und der niederländischen Bildungsgewerkschaft Algemene Onderwijsbondmit Begleitmaterial für den Unterricht

 

Berndt Hinzmann (Foto: CYS/INKOTA)