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Gastkommentar

Bildungspolitische Fortschritte

Die Ziele erhöhte Durchlässigkeit und mehr Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung sind bei weitem noch nicht erreicht. Hier nicht nachzulassen, bleibt gewerkschaftliche und gesellschaftliche Aufgabe.

Uwe Elsholz (Foto: Volker Wiciok)

Bei allen positiven Impulsen, die dem preußischen Gelehrten Wilhelm von Humboldt zugeschrieben werden, ist auch ein Erbteil seiner Schriften im deutschen Bildungssystem angelegt, der zu einer Verfestigung von Bildungsungleichheit beigetragen hat. Humboldt plädierte für eine Trennung beruflicher und allgemeiner Bildung. Auch wenn er nicht die Ausgrenzung der unteren Bevölkerungsschichten intendiert hat, entwickelten sich im 19. Jahrhundert das dreigliedrige Schulsystem und ein vom allgemeinen Schul- und Hochschulsystem getrenntes Berufsbildungssystem. Beides prägt das deutsche Bildungssystem bis heute.

In der Folge konnten frühe Bildungsentscheidungen von Kindern und Jugendlichen nur schwer revidiert werden. Für Lernende in der beruflichen Bildung, aber auch für Studierende war es sehr mühsam, zwischen den Bildungssektoren zu wechseln. Anders als in der DDR war in der Bundesrepublik mangelnde soziale Durchlässigkeit charakteristisch für das Bildungssystem.

Zweiter Bildungsweg blieb Sonderweg

Trotz einer Vielzahl von Reformanstrengungen vor allem in den 1970er-Jahren blieben die Grundstrukturen des Bildungssystems auch im Zuge der deutschen Einheit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nahezu unverändert. Der Zweite Bildungsweg wurde zwar eingeführt, blieb jedoch ein Sonderweg.

Spätestens im Laufe der 2000er-Jahre hat jedoch eine gewisse Wandlung eingesetzt, die nicht zuletzt mit dem Konzept des lebenslangen Lernens in Verbindung steht. Ausgerechnet die Hegemonie des Neoliberalismus und ökonomische Motive haben zur – zumindest partiellen – Aufweichung der Trennung zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung geführt. Die Wirtschaft brauchte mehr akademisch Ausgebildete, Bildungsbegrenzungen waren volkswirtschaftlich schlicht ineffizient.

Zu nennen sind hier (mit öffentlichen Mitteln unterstützte) Anstrengungen um eine verbesserte Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf ein Hochschulstudium; neuerdings im Rahmen des Projekts hrk-modus.de. Auch die erleichterte Hochschulzugangsberechtigung für beruflich Qualifizierte ohne Abitur ist mit Blick auf die jahrhundertealte Funktion des Abiturs zur Bildungsbegrenzung höchst bemerkenswert.

Ziel der stärkeren Durchlässigkeit

Schließlich ist der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) anzuführen, der explizit auch auf eine stärkere Durchlässigkeit zielt. Hier hat die auch von gewerkschaftlicher -Seite – oft zu Recht – gescholtene neoliberale Bildungspolitik der Europäischen Union (EU) einen nachhaltigen Modernisierungsschub ausgelöst. Der DQR spricht von Gleichwertigkeit der Bildungsarten und ist – auch das ein Traditionsbruch – -bildungsbereichsübergreifend angelegt.

Mit Blick auf die Ziele erhöhter Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit ist zu konstatieren, dass diese bei weitem noch nicht erreicht sind. So hat der DQR deutliche Mängel, besitzt keine Rechtsverbindlichkeit und schließt auch explizit erweiterte Zugänge (beispielsweise mit dem Meister zum Master) aus. Dennoch kann das Dokument auch als Ausweis eines -bildungspolitischen Fortschritts verstanden werden.

Kultur der Trennung

Zudem sind mit Blick auf die Themen Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen und Verwirklichung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte noch uneingelöste Absichten zu beklagen. Eine über Jahrhunderte gewachsene Kultur der Trennung (und Abwertung) beruflicher Bildung ist eben nicht in kurzer Zeit durch wenige Verordnungen zu verändern. Das verhindern der Habitus der Akteure und die Tradition der Institutionen.

Insofern ist das Glas je nach Perspektive halb voll oder halb leer. Es jedoch weiter zu füllen und nicht nachzulassen in der Anstrengung für mehr Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung, bleibt gewerkschaftliche und gesellschaftliche Aufgabe.