Druck von rechts
Bildungspolitik mit der Kettensäge
Die demokratischen Gesellschaften stehen weltweit unter Druck von rechts. Mit autoritären Konzepten und falschen Freiheitsversprechen bedrohen rechtsextreme Parteien und Regierungen auch Gewerkschaften und insbesondere Lehrkräfte.

Wir Patrioten müssen vereint bleiben“, rief Matt Schlapp, ein Strippenzieher des US-Präsidenten Donald Trump, auf dem Kongress der spanischen Partei Vox im Mai 2024. Die Postfranquisten hatten die Führer der internationalen Rechten von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bis zu Ungarns Staatschef Victor Orban auf die Bühne geholt. Der argentinische Präsident Javier Milei wurde auf der Großkundgebung wie ein Rockstar gefeiert. Man müsse „dem verdammten und krebsartigen Sozialismus basta“ sagen. „Freiheit, Freiheit!“, skandierte das Publikum, während Milei den „free market capitalism“ propagierte.
Mit Sprechchören „Libertad“ (Freiheit) jubelten einen Monat später auch in Hamburg die Zuhörer Milei zu, darunter der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (Werteunion) und die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch. In seiner Dankesrede für die Verleihung der Hayek-Medaille (benannt nach dem österreichischen Ökonomen und Theoretiker des Neoliberalismus, Friedrich August von Hayek, 1899–1992) empfahl er auch Deutschland seine radikalkapitalistischen Rezepturen. Doch wie steht es um „die Freiheit“ in jenen Ländern, die von der „alternativen Rechten“ regiert werden?
Sozialleistungen werden gestrichen, Renten gekürzt
Mit Brachialgewalt geht Milei in Argentinien gegen Rentnerinnen und Rentner vor, die gegen seine Kahlschlagpolitik protestieren, darunter viele pensionierte Lehrkräfte. Um den Haushalt zu sanieren, hat Milei Sozialleistungen gestrichen und Renten gekürzt, das Arbeits- und Mietrecht im Sinne seiner ultraliberalen Agenda beschnitten, Tarifverhandlungen für Lehrkräfte verweigert und versucht, deren Streikrecht abzuschaffen. Das öffentliche Schulwesen, das von der Mehrheit der ärmeren Bevölkerung besucht wird, dünnt er durch Kürzungen finanziell aus. Und er streicht Fördermittel für Schulspeisungen. Dagegen fördert er Privatschulen. Milei löst sich zudem vom politischen Konsens des „Nunca más“ (Nie wieder) zur blutigen Militärdiktatur von 1976, indem er den Erinnerungseinrichtungen die Stellen streicht.
Auflösung des US-Bildungsministeriums
In Washington überreichte der argentinische Präsident im Februar dieses Jahres US-Milliardär Elon Musk demonstrativ seine Kettensäge. Mit einer „Make America Great Again“-Mütze trat Musk vor „die einflussreichste Zusammenkunft der Konservativen der Welt“, wie sich die „Conservative Political Action Conference“ (CPAC) nennt. „Das ist die Kettensäge für die Bürokratie“, rief Musk, als er sein Programm DOGE (Department of Government Efficiency) verkündete, „Kettensäge, Kettensäge!“, skandierte das Publikum.
Zu diesem Programm gehört die faktische und verfassungswidrige Auflösung des US-Bildungsministeriums, das insbesondere Schulessen und Förderprogramme für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen und aus benachteiligten Familien unterstützt. Die Gleichstellungsprogramme des Ministeriums verletzen nach Auffassung von Musk und Trump die Rechte weißer Schülerinnen und Schüler. Ein Präsidialdekret beauftragte Vizepräsident James David Vance, in Museen, Bibliotheken und Bildungseinrichtungen ein Geschichtsbild im Sinne der Regierung durchzusetzen – eine Heldengeschichte starker Männer, in der Rassismus und Ausrottung der Urbevölkerung nicht vorkommen.
Inhaltliche Eingriffe durch Drohungen
Unter dem Etikett „Wiederherstellung der Redefreiheit“ wird der Wortschatz durchkämmt, damit von „Klimakatastrophe“ oder „Geschlechtergerechtigkeit“ nichts mehr in Schulbüchern steht. Mitentsorgt werden gleich jene Forschungseinrichtungen, die sich mit Gleichstellung befassen. Inhaltliche Eingriffe werden erpresst durch die Drohung, Hochschulen die Mittel zu streichen. Unipräsidenten müssen mit Ablösung rechnen, wenn sie nicht mitspielen, ausländische Studierende mit Entzug des Visums, wenn sie sich an Trump nicht genehmen Demonstrationen beteiligt haben.
Rechte Stiftungen wie „Turning Point Action“ (TPA) bezahlen Teenager und Studierende, in den sozialen Medien Meinungsmache zu betreiben. TPA ist eine Zweiggesellschaft von TP-USA, die mit Spenden von Milliardären auch die „Professor Watchlist“ betreibt, die vorgibt, Dozentinnen und Dozenten zu entlarven, die „antiamerikanische Werte im Klassenzimmer fördern“, so der Gründer und Trump-Unterstützer Charlie Kirk. „Solche Listen wurden verwendet, um Dozenten zu schikanieren und einzuschüchtern“, kritisierte die „American Association of University Professors“.
„So funktioniert Autoritarismus: Er greift einzeln an, weil er weiß, dass die Einzelnen schwächer sind als das Ganze.“ (Jason Stanley)
Der promintente Faschismusforscher Jason Stanley („Wie Faschismus funktioniert“), der im März demonstrativ nach Kanada auswanderte, beklagt, dass die Hochschulen angesichts der Drohungen einknickten: „Es hätte ein gemeinsamer Aufschrei sein müssen. Eine solidarische Front. Stattdessen: institutionelle Angst, stille Kapitulation. So funktioniert Autoritarismus: Er greift einzeln an, weil er weiß, dass die Einzelnen schwächer sind als das Ganze.„“
„Kulturkampf gegen Liberalismus und Demokratie“
Was Trump derzeit in den USA im Eiltempo vollzieht, ist in Ungarn bereits Realität. Durch Wahlrechtsänderungen errang Orban jene Zweidrittelmehrheit, durch die er seine „electoral autocracy” (so formulierte es ein Ausschuss des Europäischen Parlaments) durchsetzen konnte – eine Kontrolle sämtlicher Machtpositionen von den obersten Gerichten bis hin zu den Generalstaatsanwälten und Medien, die zur „Stärkung der nationalen Identität“ verpflichtet wurden. Etwa 1.000 missliebige Redakteurinnen und Redakteure verloren seit 2011 ihre Stellen.
Ein neues Schulgesetz ermöglicht seit 2022, Lehrkräfte und Klassenzimmer zu überwachen. Schulbücher und Lehrpläne lassen immer weniger Spielraum und sind auf Patriotismus und ein traditionelles Familienbild ausgerichtet. Schülerinnen und Schüler sollen aufblicken zu „Beispielen für Selbstaufopferung und Heldentum im Verteidigungs- und Freiheitskampf der ungarischen Nation“, etwa zum nationalkonservativen Diktator Miklós Horthy, der während des Zweiten Weltkriegs mit dem nationalsozialistischen Deutschland paktierte. Proteste und Streiks gegen die Erhöhung der Arbeitszeit durch das Schulgesetz beantwortete die Regierung mit Kündigungen und der faktischen Abschaffung des Streikrechts. Ein Klima der Angst und Resignation breitete sich aus.
Weit besser als die öffentlichen Schulen werden Privatschulen gefördert. Orbans „Mathias Corvinius Collegium“ (MCC) etwa hat durch Parlamentsbeschluss bisher über 1,7 Milliarden Euro erhalten. Das MCC will aus den begabtesten jungen Leuten eine „neue, patriotische Elite“ rekrutieren und diese direkt in ein regierungsnahes Netzwerk einbinden. Das MCC treibe mit öffentlichen Geldern „den Kulturkampf der Fidesz-Regierung gegen Liberalismus und Demokratie voran“, kritisiert Politikanalyst Bulcsú Hunyadi.
Neuer Schultyp in Italien
Auf eine Orbanisierung zielt auch die geplante Verfassungsreform in Italien, die den Parlamentarismus zugunsten einer allmächtigen Regierungschefin aushöhlen würde. Im Windschatten der Zustimmung zur Außenpolitik der Europäischen Union (EU) baut die Postfaschistin Meloni Italien fast unbemerkt um. Mit der Abschaffung des 2019 eingeführten Bürgergelds bewegt sie sich im rechten Mainstream. Gleichzeitig droht durch ein Sicherheitsgesetz der Ausbau des Machtapparats und die Einschränkung des Streik- und Demonstrationsrechts.
In der Bildungspolitik setzt Meloni ihre Wegmarken vorsichtiger. Symbolprojekt ist ein neuer Schultyp, der den Stolz auf Italien vermitteln soll: „Das ,Made in Italy‘-Gymnasium ist Teil einer Vision der neuen Regierungsrechten, die dominant sein will, auch durch die Kultur, die Symbolik, die Soft Power“, so Soziologieprofessor Massimiliano Panarari aus Modena.
AfD schwärmt von Trumps Dekreten
Das Tempo, mit dem Trump nach Beginn seiner Präsidentschaft die Demokratie beseitigt, weckt bei der deutschen parlamentarischen Rechten Begehrlichkeiten. „Wie phantastisch wäre es, wenn auch in Deutschland innerhalb von kürzester Zeit so viele vernünftige Entscheidungen getroffen würden!“, schwärmte die AfD angesichts der Flut von Dekreten, mit denen sich Trump schon unmittelbar nach seiner Vereidigung über die Kompetenzen des Parlaments hinwegsetzte.
Seit 1949 versucht die „Neue Rechte“ in Deutschland und im deutschsprachigen Raum eine Neugründung durch eine antiliberale Fundierung des Konservatismus. Angesichts des ungeheuren Ausmaßes der Verbrechen des NS-Regimes fiel es ihnen schwer, damit über kleine Zirkel hinaus gesellschaftlichen Erfolg zu erzielen. Der Schweizer Publizist Armin Mohler (1920–2003) propagierte vergeblich das Konzept einer „demokratischen Diktatur“, die durch ein starkes Präsidialsystem charakterisiert ist. Durch die Regierungsübernahme rechtsextremer Parteien in anderen europäischen Ländern verspüren die Apologetinnen und Apologeten dieser Regierungsform aber mittlerweile auch hierzulande Rückenwind.
Das Besondere dieses Systems: Es behält die institutionelle Fassade des Parlamentarismus; Opposition bleibt möglich, ist aber, wie die Beispiele aus den USA, Argentinien, Italien und Ungarn zeigen, zunehmend mit persönlichen Risiken belastet, die Ängste und Lähmung auslösen und Widerstand gegen sozialen Kahlschlag und Demokratieabbau erschweren. Den Interessen der meisten Rechts-Wähler allerdings widerspricht diese elitäre (Bildungs-)Politik. Wichtig wird daher sein, dass es gelingt, auf dem Feld der Alltagsinteressen den Kampf um die Köpfe zu gewinnen und dabei gewerkschaftliche Gegenmacht zu stärken.