Ziel der seit 2005 zweijährig verfassten bundesweiten Bildungsanalyse ist es, das bildungspolitische Handeln von Politik und Gesellschaft durch einen wissenschaftlichen Gesamtüberblick zu verbessern. Um Entwicklungsbedarfe und Möglichkeiten im Verlauf des Bildungsweges in allen Bereichen herauszuarbeiten - in der frühkindlichen Bildung, dem Schulwesen, der Berufsausbildung sowie der Hochschul- und Weiterbildung – haben die unabhängigen Wissenschaftler*innen 2014 auf Daten des Nationalen Bildungspanels zurückgegriffen.
Chancengleichheit wenig Platz eingeräumt
Erstmalig seit Beginn der Bildungsberichterstattung widmet sich die Analyse geschlechterspezifischen Unterschieden. Doch das Thema wird nur im Unterkapitel „Chancengleichheit“ - auf drei Seiten – vollkommen isoliert von den anderen Inhalten der 342 Seiten umfassenden Studie betrachtet. Der Bericht vermittelt somit die Schlussfolgerung, dass es in allen Bildungsbereichen gelungen ist, die früheren Nachteile von Frauen in der Bildungsbeteiligung und im Bildungsstand zu kompensieren. Die Unterschiede bei den Beschäftigungsmöglichkeiten und beruflichen Positionierungen von Männern und Frauen über die Lebensphasen und über den Bildungsstand hinweg wird am Rande erwähnt. Es wird jedoch verpasst, die Ursachen und Auswirkungen auf die Beschäftigungsstabilität und das Einkommen von Frauen zu vertiefen.
Verdienstunterschiede nehmen weiter zu
Die Wissenschaftler*innen verweisen darauf, dass sich die Verdienstunterschiede von Frauen und Männern im Laufe ihres Bildungs- und Karriereweges verschärfen. Eine nachhaltige Auseinandersetzung mit den Ursachen des Gender Pay Gaps fehlt jedoch. In Anbetracht der frappierenden Erkenntnisse, die der Bildungsbericht aufzeigt, ist dies unverständlich: Trotz ansteigender Bildungsteilhabe und einer verbesserten Arbeitsmarktintegration von Frauen hat sich der Gender Pay Gap in den vergangenen Jahren vergrößert. Je höher der Bildungsstand der Frau ist, desto größer wird ihr Gehaltsnachteil im Vergleich zu Männern. Zudem steigt die bereits höhere Armutsgefährdungsquote von Frauen im erwerbstätigen Alter je höher der Bildungsgrad ist. So die Ergebnisse des Bildungsberichts. Die Chancenungleichheit in den Berufssparten sowie beim beruflichen Aufstieg wirkt sich also nicht nur nachteilig auf das Einkommen von Frauen aus, sondern auch auf ihre Beschäftigungsstabilität. Neben Personen ohne beruflichen Abschluss sind Frauen die von Befristung am meisten betroffene Personengruppe. Aus der Wechselwirkung der Nachteile, die Frauen im beruflichen Werdegang haben, ergibt sich in Deutschland ein Gender Pension Gap (geschlechtsspezifische Rentenlücke) von knapp 60 Prozent.
Teilhabechancen verbessern
Die Tatsache, dass die Geschlechtergleichstellung trotz der verbesserten Bildungschancen von Frauen im Bildungsverlauf stagniert und teilweise sogar rückläufig ist, stellt ein in gesellschaftlichen Strukturen tief verwurzeltes Problem dar. Nach Ansicht der GEW kann dieses Ungleichgewicht nur durch eine konsequente Aufklärung und die Verbesserung der Teilhabechancen von Frauen behoben werden. Fakten und Zahlen können das Ausmaß und die Tiefe der Ungleichheit belegen, ein Problembewusstsein hierfür schaffen und zu Veränderungen führen. Das Aufbrechen von Rollenmustern über alle Lebensphasen hinweg ist ein paralleler Prozess, der in der Erziehung und den Erziehungswissenschaften ansetzen muss.
Genderkompetenz in der Bildung stärken
In diesem Sinne versteht die GEW Genderkompetenz als Grundvoraussetzung des inklusiven Bildungsauftrags. Mit dem Aktionsplan „Lehrer_innenbildung“ kämpft die GEW deshalb in der gesamten Lehramtsaus- und –weiterbildung für verpflichtende Inhalte zur Gleichstellung der Geschlechter und sexuellen Vielfalt. In allen Bildungsphasen muss ein Bewusstsein für geschlechterbedingte Unterschiede und ihre Auswirkungen auf den Lebensverlauf Teil der Aus- und Weiterbildung sein. Von den Kultusministerien und der KMK fordert die GEW hierbei eine Vorreiter*innenrolle einzunehmen und Genderkompetenz als Schlüsselqualifikation in ihren Standards, Rahmenvereinbarungen, Gesetzen, Verordnungen und Erlassen zur Lehramtsausbildung konsequent zu verankern. Mit der Ausbildung von Lehrer*innen, die die Effekte von Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern auf die Persönlichkeitsentwicklung und Lernerfolge von Jungen und Mädchen kennen und hinterfragen, will die GEW Kindern und Jugendlichen die Chance geben, diskriminierungsfrei erzogen und unterrichtet zu werden. Dies ist die Grundvoraussetzung, um die im Lebens- und Bildungsverlauf vorhandene Chancenungleichheit zwischen den Geschlechtern abzubauen.