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Privatisierung

"Bildung ist kein Geschäftsmodell"

Mit der Digitalisierung von Bildung ziehen zunehmend wirtschaftliche Interessen in die Schulen ein. 16 der 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen sind an der Produktion von Unterrichtsmaterialien beteiligt.

Schulen werden zunehmend zum Spielfeld für private und wirtschaftliche Interessen: Große Konzerne bieten ihre Hard- und Software im Paket mit Fortbildungen und Unterrichtskonzepten an, Diskussionen über die schulische Ausstattung oder Open Educational Resources (OER) stehen oft unter dem Einfluss von Unternehmen und IT-Interessenverbänden. „Allein was die Ausstattung betrifft sind Schulen bereits jetzt ein Milliardenmarkt“, schreibt GEW-Expertin Martina Schmerr in einem Beitrag für die Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). „Vor allem die beiden großen Anbieter Microsoft und Apple ringen um die Marktführung an Schulen, indem sie vergünstigte Hardware, Fortbildungen für Lehrkräfte sowie einschlägige Produkte und Programme anbieten. Derjenige, der den Fuß in die Tür bekommt, gewinnt die Kundschaft von morgen.“

In den vergangenen Jahren sei zudem ein großer Anstieg kostenloser Unterrichtsmaterialien von privaten Anbietern im Netz verzeichnet worden. 16 der 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen seien an der Produktion von Unterrichtsmaterialien beteiligt. „Wenn man die Kultusministerien darauf hinweist, wie stark die lobbyistische Einflussnahme und wie fraglich die Qualität der Materialien geworden ist, erntet man von vielen ein Schulterzucken oder den Verweis auf die Schulautonomie“, kritisiert Schmerr.

Die GEW verlangt mehr öffentliche Verantwortung und Mittel für die digitale Ausstattung von Bildungseinrichtungen. Sie setzt sich für Richtlinien für Public Private Partnerships und Lernpartnerschaften ein, um den öffentlichen Bildungsauftrag, die pädagogische Autonomie und das Neutralitätsgebot von Schulen zu schützen. Zentral für die GEW sind zudem der Schutz der Daten von Lernenden und Lehrenden sowie die Rechtssicherheit bei der Nutzung digitaler Medien im Unterricht. Für die Qualität der bereitgestellten Inhalte seien Prüfkriterien sowie Orientierungshilfen für Schulen und Lehrkräfte zu entwickeln. Die Einflussnahme von Privatwirtschaft und Lobbyisten müsse begrenzt werden: „Bildung ist ein öffentliches Gut und kein Geschäftsmodell.“

„Wir müssen unseren Nachwuchs deutlich besser auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters vorbereiten.“

Der Professor für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen, Tobias Kollmann, plädiert unterdessen für mehr wirtschaftliches Engagement im Bildungsbereich. „Beim Thema digitale Bildung hat Deutschland schlichtweg massiven Aufholbedarf“, schreibt Kollmann auf der bpb-Homepage. Fehlende Digitalkunde in den Schulen, fehlende Ausbildung für E-Business und E-Entrepreneurship an den Hochschulen, fehlende Weiterbildungsangebote für die Digitalwirtschaft – die Liste der digitalen Baustellen im Bildungswesen sei lang.  „Schon in der Grundschule sollten die Kinder mit einfacher Software umgehen können“, fordert Kollmann. Länder wie Indien, Südkorea, Israel, USA und Neuseeland hätten bereits Computer-Lehrpläne entwickelt,  Estland lasse Erstklässler programmieren. In Deutschland suche man solche Ansätze bis auf Einzelprojekte noch vergeblich. „Wir müssen unseren Nachwuchs deutlich besser auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters vorbereiten und deswegen digitale Kompetenzen zu einem elementaren Bestandteil der Schulausbildung machen.“

Die technische Ausstattung der Bildungseinrichtungen sei dabei eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für eine erfolgreiche digitale Bildung. Insofern seien Initiativen wie der auf dem IT-Gipfel 2016 erstmals vorgestellt Calliope-mini-Computer als notwendige Basisausstattung unseres Schulsystems zu begrüßen. Kooperationen von öffentlichen Bildungsträgern wie etwa Schulen und Hochschulen mit Akteuren aus der Digitalwirtschaft nennt Kollmann „vielversprechend“. Mit Blick auf die Medienkompetenz aller Bürgerinnen und Bürger betont der Experte zudem: „Im Zweifelsfall muss dieses Wissen direkt dorther kommen, wo es aktuell noch vorwiegend anzutreffen ist – aus der Digitalwirtschaft selbst.“