Situation von Gewerkschaften weltweit
„Bildung ist fundamental für Frieden und Stabilität“
Education International (EI) ist die Dachorganisation von weltweit mehr als 380 Bildungsgewerkschaften, der auch die GEW angehört. EI vertritt in fast 180 Ländern über 32 Millionen Menschen, die in Bildungsberufen arbeiten.
Im E&W-Interview erläutert David Edwards, Generalsekretär der EI, wie sich die Organisation für Menschen- und Gewerkschaftsrechte einsetzt. Der 50-jährige US-Amerikaner leitet die Organisation seit 2018 und lebt in Brüssel.
- E&W: Der Weltkongress der EI fand vom 29. Juli bis 2. August in Buenos Aires, Argentinien, statt. Was war das wichtigste Ergebnis?
David Edwards: Die Einigkeit, die wir in der heutigen Zeit der Spaltung und Desinformation erlebt haben. In einer Welt voller Konflikte, Kriege und sozialer Unruhen stehen wir für Frieden. Bildung ist fundamental, wenn es darum geht, Frieden und Stabilität zu schaffen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis war der Wechsel an der Spitze unserer Organisation. Wir haben einen neuen Präsidenten gewählt, Mugwena Maluleke aus Südafrika (s. E&W 9/2024), und einen neuen Vorstand, in dem Frauen eine starke Mehrheit bilden.
- E&W: In Argentinien will der rechtspopulistische und ultra-liberale Präsident Javier Milei den öffentlichen Sektor massiv einschränken. Was tut EI, um den Kampf der Bildungsgewerkschaften in dem Land gegen Mileis Politik zu unterstützen?
Edwards: Unser Kongress fand in Argentinien genau zu der Zeit statt, als unsere argentinischen Mitgliedsorganisationen uns brauchten. Sie werden angegriffen. Für sie war es großartig zu erleben, dass die Bildungsgewerkschaften der Welt hinter ihnen stehen. Milei wird von einer Gruppe sehr reicher Oligarchen unterstützt. Die soziale Ungleichheit wird größer. Als wir in Buenos Aires waren, sahen wir die Armut in den Straßen. Wir hörten, dass Milei das kostenlose Mittagessen in den Schulen blockiert und die öffentliche Bildung angreift. Auf der anderen Seite fliegen reiche Argentinier weiterhin übers Wochenende zum Shoppen nach Miami. Wir werden dies weiter beobachten und aufklären.
- E&W: Rechtsradikale Politikerinnen und Politiker gewinnen in vielen Ländern Macht und Einfluss. Was setzt EI dieser Entwicklung entgegen?
Edwards: Die Antwort ist Bildung. Bildung sollte ein Faktor für Demokratie sein, zum einen inhaltlich, zum anderen als öffentliche Einrichtung, in der Demokratie praktiziert wird. Dazu müssen wir Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte sowie Gemeinden stärken. Die extreme Rechte nutzt „social media“, um Desinformation zu verbreiten. Wir kämpfen für das Recht auf Information und das Recht auf Wahrheit. Und wenn eine Strategie in einem Land wirkt, sei es in Frankreich, England oder Brasilien, wo die extreme Rechte Rückschläge erlitten hat, sollten wir darauf aufbauen.
- E&W: EI nutzt Urgent Action Appeals, um Mitglieder der Bildungsgewerkschaften zu unterstützen, die politisch verfolgt oder verhaftet werden. Das sind Kampagnen, um Öffentlichkeit herzustellen und die jeweilige Regierung unter Druck zu setzen. Mit welchem Ergebnis?
Edwards: Urgent Action Appeals wirken. Wir haben Protestbriefe an das iranische Regime geschickt, um die Lehrkräfte im Iran zu unterstützen. In einem Fall wurde als Reaktion auf unseren Aufruf die Führungskraft einer Bildungsgewerkschaft aus der Einzelhaft entlassen. Über die Jahre haben wir viele Menschenleben gerettet. Wir üben Solidarität weltweit und unterstützen die Bildungsgewerkschaften, wie aktuell in Eswatini, dem ehemaligen Swasiland.
- E&W: Was tut EI, um die Bildungsgewerkschaften in der Ukraine zu unterstützen (s. auch Seite 10)?
Edwards: Seit dem ersten Tag der russischen Invasion im Jahr 2022 stehen wir an der Seite unserer ukrainischen Mitgliedsorganisationen. Wir veröffentlichten zahlreiche Urgent Action Appeals und haben mehr Spenden für die Ukraine gesammelt als für irgendein anderes Land. Unsere Arbeit zielt darauf, die Arbeit der Bildungsgewerkschaften vor Ort zu unterstützen. Dazu gehört, den Familien getöteter Lehrkräfte zu helfen. Erst vor kurzem haben wir die Gewerkschaften unterstützt, eine Ausbildungseinrichtung, die durch Raketen zerstört wurde, wiederaufzubauen. Unsere Solidarität ist ungebrochen, weil das ein Kampf für Demokratie und Freiheit ist, also für das, was uns als Bildungsgewerkschaften ausmacht.
- E&W: Ein weiteres zentrales Thema für EI ist der weltweite Kampf gegen die Privatisierung des Bildungswesens. Warum ist das wichtig?
Edwards: Die großflächige Privatisierung der Bildung zerstört die Demokratie. Sie schwächt die Fähigkeit einer Gesellschaft, für Diversität, Gleichheit und ökonomische Gerechtigkeit zu sorgen. Die Privatisierung der Bildung ist weltweit ein Sechs-Billionen-Dollar-Geschäft. Bildung wird als Gelegenheit gesehen, um Profit zu machen, als Produkt, bei dem Schülerinnen und Schüler sowie Eltern die Konsumenten sind. In Afrika und anderswo spielt der Privatisierungslobby in die Hände, dass der Staat schwach ist und die Ressourcen für öffentliche Bildung begrenzt sind. Wenn wir in diesen Ländern mit den Ministerien für Bildung und für Finanzen sprechen, sagen sie, dass ein großer Teil der Steuereinnahmen verwendet werden muss, um Schulden zu begleichen, um Kredite des Internationalen Währungsfonds zu bedienen.
- E&W: Und was tut EI gegen Privatisierung?
Edwards: Wir wissen, dass die erfolgreichsten Länder, in denen auch die soziale Ungleichheit am geringsten ist, auf öffentlicher Bildung aufgebaut sind. Unsere Kampagne „Go Public! Fund Education“ spiegelt das wider. Es braucht dringend Investitionen in die öffentliche Bildung, um dem globalen Lehrkräftemangel zu begegnen. Zu guter öffentlicher Bildung gehören Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte, gute Arbeitsbedingungen, eine akzeptable Arbeitsbelastung und konkurrenzfähige Gehälter für Lehrkräfte und andere Beschäftigte im Bildungswesen. Dazu gehört auch, Lehrkräfte zu respektieren und ihrer pädagogischen Expertise zu vertrauen.
- E&W: Welches sind die größten Herausforderungen für EI in den kommenden Monaten?
Edwards: Wir sind eine relativ kleine Organisation, was die Finanzen und das Personal betrifft. Wir müssen überlegen, welche inhaltlichen Schwerpunkte wir setzen angesichts wichtiger Themen wie Bildung in Zeiten des Klimawandels, Gendergleichheit, Menschenrechte und Rechte der Gewerkschaften. Die Herausforderung besteht darin, aufzugreifen, was unsere Mitgliedsorganisationen wünschen und brauchen.
EI wurde 1993 gegründet, die GEW zählt zu den Gründungsmitgliedern. Der Dachverband vertritt weltweit Lehrkräfte und andere Beschäftigte im Bildungswesen – von der frühkindlichen über die schulische und berufliche Bildung, die Erwachsenen- und Weiterbildung bis hin zur Universität. Hauptsitz der EI ist Brüssel.