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Bildung braucht Zeit: "Zu wenig Teamarbeit kostet Zeit"

Wie erleben KollegInnen Zeitnot, Zeitstress, Zeitdruck? Die "E&W" schildert Erfahrungen aus einer Kita und einer Hochschule. Ein Ergebnis: Klare Strukturen erleichtern Zeitmanagement enorm.

Sonja Malkowski (45) ist Erzieherin an der Kita Wittlich-Neuerburg, Rheinland-Pfalz.

"Als Vollzeitkraft muss ich viele Aufgaben übernehmen: Ich bin Bezugserzieherin für 15 Kinder und Ansprechpartnerin für die Eltern, leite Praktikanten an, bin zuständig für Organisation und pädagogische Arbeit im Werkraum und vertrete bei Bedarf die Kitaleitung. Manchmal bringt mich das schön ins Trudeln. Ich kann ja nicht überall gleichzeitig sein.

Stressig sind Unterbrechungen. Zum Beispiel wenn ich gerade ein Kind individuell begleite, das ins Spiel versunken ist. Ich beobachte und unterstütze es, bin ganz auf das Kind konzentriert - und plötzlich stehen Mütter oder Väter im Türrahmen: 'Wir müssen Sie dringend mal sprechen.' Dann muss ich abwägen: Ist das spontane Elterngespräch wirklich wichtiger als die intensive Arbeit mit dem Kind? Können sich die Eltern vielleicht beim Abholen Zeit für einen Austausch nehmen? Im Zweifelsfall bleibt nur, sich behutsam aus der Situation herausziehen und dem Kind zu erklären, warum ich das Spiel unterbrechen muss. Anstrengend.

Stress macht es auch, wenn ich mir an einem Tag etwas ganz Bestimmtes vorgenommen habe und es nicht umsetzen kann. Zum Beispiel das Raumsoziogramm eines Kindes zu erstellen: Wie bewegt es sich in der Kita, mit wem spielt es, was beschäftigt es gerade? Denn prompt hat gleichzeitig auch eine Kollegin eine Kindesbeobachtung geplant. Wer soll sich dann um die Kleinen kümmern? Eine muss also verschieben. Aber wohin? Schließlich stehen auch noch Elterngespräche an, die Vorbereitung des nächsten Projekts im Werkraum, eine Fortbildung und und und. So staut sich immer mehr auf.

Wir bräuchten viel mehr Zeit für die 'mittelbare pädagogische Arbeit', wie das in der Fachsprache heißt. Etwa um Kindesbeobachtungen zu machen, Elterngespräche zu reflektieren und zu protokollieren, Teamsitzungen vorzubereiten. Seit Jahren feilen wir im Team an der Weiterentwicklung unseres Konzepts.

Dabei haben wir festgestellt, dass klare Strukturen das Zeitmanagement enorm erleichtern.

 

Unser Kitatag ist gut organisiert, es gibt einen Morgenkreis, feste Mittagszeiten, mittwochs ist Ausflugstag, Dienstagabend Teamsitzung. Für jeden Bereich in der Kita - vom Ruheraum bis zum Flur - ist die gleiche Fachkraft zuständig. Wenn dort etwas anfällt, wissen Kinder und Erzieherinnen sofort, an wen sie sich wenden müssen.

Trotzdem bleiben wir flexibel. Mütter und Väter können ihre Kinder nach Absprache mit der Bezugserzieherin je nach Bedarf bringen, der Morgenkreis ist keine Pflicht. Wir wollen keinen Druck machen, der kommt in der Schule von allein. Und wenn eines meiner Bezugskinder schon um sieben Uhr da ist, mein Dienst aber erst um 8.30 anfängt? Macht nichts, dann spreche ich mich mit meiner Kollegin ab.

Im Grunde ist mein Arbeitsalltag ein Kreislauf von unvorhersehbaren An- und Entspannungsphasen. Wenn morgens in Stoßzeiten viele Kinder auf einmal kommen und mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen auf mich einstürmen, wird es turbulent. Wenn plötzlich mehrere Kolleginnen krank sind, ist die Arbeit nicht zu schaffen. Entspannend sind Momente, in denen die Kinder mit ihren Freunden völlig ins Spiel eingetaucht sind und uns Erwachsene kaum brauchen. Wegdenken lässt sich der Stress aus meinem Beruf trotzdem nicht. Da bleibt nur: Augen zu und durch."

Die Erziehungswissenschaftlerin Julia Egbers (32) promoviert an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg. In ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sie sich mit den Erfahrungen angehender Lehrerinnen und Lehrer bei Auslandsaufenthalten während des Studiums.

"Das erste, was mir zum Stichwort Zeit im Zusammenhang mit der Uni einfällt, ist, dass wir kaum noch Zeit haben. Kaum Zeit zum Lernen, zum Forschen, zum Unterrichten, zum Nachdenken. Das betrifft den ganzen Universitätsbetrieb - von den Studierenden, die keine Zeit mehr haben, bis zu den Zeitverträgen, die uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Druck setzen.

Ich bin in diesem Semester mit vier Seminaren in der Lehre aktiv und stelle immer wieder fest, dass die Lernprozesse keine Bildungsprozesse mehr sind - aus Zeitmangel. Bildung braucht einfach Zeit und Muße. Stattdessen ist das Studium durch Prüfungen und Klausuren eng durchgetaktet. Das macht sich auch für uns Lehrende bemerkbar: 150 Hausarbeiten muss ich pro Semester bewerten. Dazu kommen die Vor- und Nachbereitung der Seminare, bürokratische und administrative Aufgaben, Dokumentationspflichten. Das Gespür dafür, dass Bildung Zeit braucht, gibt es in der Hochschule einfach nicht mehr.

Hinzu kommt: Durch die kurzen Zeitverträge, mit denen viele Kolleginnen und Kollegen angestellt werden, kommt es zu ständigen Personalwechseln und einer hohen Fluktuation.

 

Das aber bedeutet, dass Teamarbeit nur sehr begrenzt möglich ist - was wiederum Zeit kostet.

Andererseits ist der Zeitdruck, den ich empfinde, nicht nur negativ. Im Hinblick auf meine Promotion - ich habe mich jetzt zweieinhalb Jahre damit beschäftigt - hat dieser Druck auch eine strukturierende, leitende Funktion. Dieser klare zeitliche Rahmen ist für mich bei der Konzentration auf die Forschungsarbeit eher vorteilhaft. Wenn allerdings Verträge auslaufen und man eine Woche vor Ende noch nicht weiß, wie es weitergeht, dreht sich dieser Druck wieder ins Negative.

Wie groß der Zeitmangel ist, merkt man als Forscherin oder Forscher, wenn man für eine Studie Probanden sucht. Jemanden zu finden, der mal eine Stunde Zeit hat, um an einer Befragung oder einem Versuch teilzunehmen - das gleicht schon einem echten Glücksgriff. Viel häufiger haben die angesprochenen Personen gerade einmal eine Viertelstunde Zeit, weil sie einfach viel zu beschäftigt und über-entertained sind. Und da die Master-Studierenden für ihre Arbeiten immer wieder auf Probanden angewiesen sind, wird hier der Zeitmangel der Menschen an den Unis zu einem echten Problem.

Was man dagegen tun kann? Ich habe kein Rezept dafür, höchstens ein paar Ideen. Individuell dagegen zu halten, ist schwierig - wichtiger wäre es meines Erachtens, dass die Menschen auf der Leitungsebene sich des Problems bewusst werden. Sie können die Strukturen schaffen, um Stress abzubauen. Sie sollten die Zahl der befristeten Arbeitsverträge reduzieren, deren Laufzeit erhöhen und ein besseres Personalmanagement installieren. Ziel müsste sein, weniger eine Atmosphäre der Konkurrenz als vielmehr reichhaltige Kooperationen zu ermöglichen - und damit allen Beteiligten mehr Zeit zu verschaffen, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben in Lehre und Forschung zu konzentrieren."