Über die Teilhabe von Frauen an Ausbildung und Beruf gibt es in Deutschland zwei scheinbar diametral entgegengesetzte Erzählungen: Die eine hebt den gestiegenen Frauenanteil mit Abitur, die Selbstverständlichkeit einer Berufsausbildung und die gestiegene weibliche Erwerbstätigkeit hervor. Die andere verweist darauf, dass Frauen trotz besserer Schulabschlüsse immer noch größere Schwierigkeiten als Männer haben, einen Platz im dualen System zu finden und sich häufiger für schulische Ausbildungen in Gesundheit, Pflege, Sozialem, Erziehung entscheiden. Und dass Erwerbsunterbrechungen und Teilzeitarbeit weiterhin weibliche Berufsverläufe charakterisieren. Als dritte Erzählung lässt sich noch die über die verschiedenen Prognosen hinzufügen: Dass "die Wirtschaft" "die Frauen" braucht, dass ihr "Arbeitsmarktpotenzial" besser ausgeschöpft und ihre "zeitliche Erwerbspartizipation" erhöht werden sollen.
Angesichts dieser Szenarien muss man sich jedoch fragen, wie die Wahlmöglichkeiten junger Frauen heute tatsächlich einzuschätzen sind. Haben sie zugenommen? Und wenn ja, werden sie auch genutzt? Ein vergleichender Blick auf die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge junger Frauen und Männer in den 25 am stärksten besetzten dualen Ausbildungsberufen lässt daran zweifeln: Es ergibt sich ein über Jahrzehnte hinweg grundlegend unverändertes Bild: ein breiteres Berufsspektrum für junge Männer mit Schwerpunkten in gewerblich-technischen und handwerklichen Berufen, ein engeres Berufsspektrum für junge Frauen mit Schwerpunkten in kaufmännischen Berufen, im Verkauf und in Freien Berufen. Zudem ist die Zahl der Ausbildungsanfängerinnen im dualen System weiter rückläufig.
"Untypische" Berufsentscheidungen fördern
Dieser Trend spiegelt in gewisser Weise den Arbeitsmarkt wider, der ähnlich unter Männern und Frauen aufgeteilt ist. Deshalb müssen wir die Berufsberatung dringend verbessern, um "Grenzüberschreitungen" bei der Berufswahl anzuregen und zu unterstützen. Mädchen und Jungen sollten schon frühzeitig Einblick in ein breites - auch für sie "untypisches" - Berufsspektrum erhalten. Ebenso sollten geschlechtsbezogene Konnotationen von Berufspräsentationen - Berufsbilder und Beschreibungen - erkannt und durch klischeefreie Darstellungen ersetzt werden, die einen Beruf als gleichermaßen für Frauen und Männer geeignet zeigen. Entsprechende Materialien lassen sich nutzen, um die Perspektiven von Eltern auf die Ausbildungsmöglichkeiten ihrer Töchter - und Söhne - zu erweitern. So können "untypische" Berufsentscheidungen gefördert werden.
Dazu gehören - ganz wichtig - immer auch Informationen über Ausbildungsvergütungen, Verdienst- und Karrierechancen in einzelnen Berufen sowie über Arbeitsbedingungen in den unterschiedlichen Branchen, etwa Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Rückkehrmöglichkeiten nach Auszeiten oder Beschäftigungssicherheit. Alle diese Aspekte müssten Bestandteil einer berufsbiografisch orientierten Beratung in Hinblick auf Einkommen und Alterssicherung sein. Themen, die wahrscheinlich bei jungen Frauen in der Berufswahlphase noch keine große Aufmerksamkeit erregen.
Aber bereits mit der Entscheidung über einen Ausbildungsweg werden diese Fragen wichtig: Denn anders als eine schulische Berufsausbildung, die häufig sogar noch Geld kostet, ist eine duale Ausbildung mit einer Vergütung verbunden, inklusive einer Sozialversicherung, mit der bereits Anwartschaften für die Rente erworben werden. Nicht zuletzt muss allerdings die Wirtschaft für deutlich mehr gute Ausbildungs- und Beschäftigungsangebote für Frauen in "Männerdomänen" sorgen. Nur so realisiert sich ein erweitertes Berufsspektrum.