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Bildung in Südafrika

Bemerkenswerte Fortschritte, aber auch viele Probleme

Mugwena Maluleke, Generalsekretär der South African Democratic Teachers Union (SADTU), ist zum neuen Präsidenten von Education International (EI) der Dachorganisation von rund 400 Bildungsgewerkschaften aus 170 Ländern gewählt worden.

Auch mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid herrscht im südafrikanischen Bildungssystem immer noch eine große soziale Ungleichheit. Die Ausstattung der Schulen und die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in benachteiligten schwarzen Gemeinden und Arbeitervierteln wie hier in Centane sind immer noch schlechter als die in wohlhabenden Gegenden. (Foto: IMAGO/Greatstock)

E&W sprach mit ihm über die Herausforderungen, vor denen Lehrkräfte und die SADTU mit Blick auf soziale Ungleichheiten, Arbeitsbelastung und Sicherheit sowie die Ergebnisse der jüngsten Parlamentswahlen in Südafrika stehen.

  • E&W: Herr Maluleke, was sind derzeit die größten Herausforderungen für Lehrkräfte in Südafrika?

Mugwena Maluleke: Eine der größten Herausforderungen ist die Gewalt an den Schulen und die Sicherheit der Lehrkräfte. Lehrerinnen und Lehrer werden von Schülerinnen und Schülern, aber auch von Gangstern angegriffen, die in die Schule kommen. SADTU hat eine Kampagne mit dem Namen „Ich bin ein Schul-Fan“ gestartet, mit der wir das Thema Gewalt angehen. Eine weitere Herausforderung ist das Infrastrukturproblem. Es gibt immer noch Schulen, die überfüllt sind und keine sanitären Einrichtungen haben, was nicht nur ein gesundheitliches Problem ist, sondern auch die Menschenwürde verletzt. Zusätzlich leiden die Lehrkräfte unter der Doppelbelastung von Unterricht und Verwaltungsarbeit.

  • E&W: Rund 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid herrscht im südafrikanischen Bildungssystem immer noch eine große Ungleichheit. Wie ist die aktuelle Situation?

Maluleke: Wir haben bemerkenswerte Fortschritte gemacht und den allgemeinen Zugang zu Bildung in den Grundschulen und den weiterführenden Schulen weitgehend erreicht. Aber die Schulen sind sehr ungleich: Einige erfüllen alle sozialen Standards, andere sind in benachteiligten schwarzen Gemeinden und Arbeitervierteln angesiedelt – ohne Freizeiteinrichtungen, ohne Labors und ohne Bibliotheken. Diese Unterschiede wirken sich stark auf die Zukunftschancen der Kinder aus. Die Ungleichheiten und die zunehmenden psychosozialen Probleme, die wir in den Schulen erleben, müssen durch zusätzliches Personal – Lehrkräfte, Sozialarbeitende und Therapeuten – angegangen werden.

  • E&W: Welche Rolle spielen die Schulgebühren?

Maluleke: Sie sind ein großer Treiber der Ungleichheit. Auch eine große Zahl öffentlicher Schulen verlangt hohe Gebühren, die sich viele Familien nicht leisten können. Schülerinnen und Schüler, die Schulen in ärmeren Gemeinden besuchen, zahlen kein Schulgeld. Wir wollen aber auch, dass Kinder, die aus armen Verhältnissen stammen und in der Nähe reicher Schulen mit einem hohen Schulgeld wohnen, diese besuchen können, ohne zu zahlen. Wir haben uns auch für die Schülerinnen und Schüler aus den Arbeitervierteln eingesetzt, damit diese Transportmöglichkeiten und Zugang zum Schulessen erhalten. Für manche Kinder ist die Mahlzeit in der Schule die einzige am Tag.

  • E&W: SADTU ist mit rund 275.000 Mitgliedern die größte Bildungsgewerkschaft Südafrikas. Wie gehen Sie in Ihrer Gewerkschaftsarbeit mit dem Thema Ungleichheit um?

Maluleke: Während der Corona-Pandemie hat die Gewerkschaft viel getan, um sicherzustellen, dass das Bildungsministerium die dringenden Probleme angeht – dass die Schulen zum Beispiel über angemessene sanitäre Einrichtungen für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler verfügen. Trotz einiger Fortschritte gibt es in diesem Bereich aber immer noch einen Rückstand. Wir versuchen auch, Gesetze zu beeinflussen, um durch ein besseres Finanzierungssystem für die Schulen für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Statt eines allgemeinen Verteilungsschlüssels wollen wir einen stärkeren Fokus auf die einzelnen Schulen legen, etwa um das Armutsniveau der Haushalte in einer bestimmten Gemeinde oder die Frage, ob die Kinder zu Hause Unterstützung und Bücher bekommen, stärker zu berücksichtigen. Das beste Haushaltsverfahren besteht darin, zunächst jede einzelne Schule zu prüfen, und dann die Mittel nach dem tatsächlichen Bedarf zu verteilen.

  • E&W: Bekommen Sie für diese Forderungen viel Unterstützung der Eltern?

Maluleke: In den ärmeren Gemeinden haben wir Mühe, die Unterstützung von den Eltern zu bekommen, da diese sehr belastet sind. Wir haben aber festgestellt, dass in Gemeinden, in denen die Eltern die Lehrkräfte unterstützen, das Niveau der Disziplin und des Lernens höher ist als in den Gemeinden, in denen sich die Eltern nicht beteiligen. Die Idee für unsere aktuelle Kampagne „Ich bin ein Schul-Fan“ – die wir vom Fußball übernommen haben – ist, die Gemeinschaft wieder in die Schule zu bringen. Wir wollen, dass sich alle für die Bildung einsetzen, die für unsere Zukunft wichtig ist und die wir deshalb gemeinsam schützen wollen. Die Kampagne bringt jeden Bereich der Gesellschaft, ob Unternehmen, Kirchen oder Nichtregierungsorganisation, dazu, zusammenzuarbeiten, um Probleme wie Gewalt und Vandalismus anzugehen. Deshalb sagen wir: „Wenn du ein Fan bist, dann beschützt du. Wenn du ein Fan bist, zeigst du Fürsorge, und dann bist du in der Lage, dich mit der Schule in dieser Gemeinde zu solidarisieren.“ Bildung kann nicht nur in den Händen der Lehrkräfte, sie muss in den Händen der Gemeinschaft liegen.

  • E&W: Die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte ist hoch. Warum?

Maluleke: Die nationale Politik sieht vor, dass die Klassengröße in den Grundschulen 40 und in den weiterführenden Schulen 35 Schülerinnen und Schüler nicht übersteigen darf. Aufgrund der mangelnden Infrastruktur gibt es jedoch in besonders armen Gemeinden Klassen mit bis zu 100 Kindern und Jugendlichen. Die Lehrkraft in einer armen Gemeinde muss sich zusätzlich mit den sozioökonomischen Problemen der Familien befassen und als Sozialarbeiter oder Psychologe fungieren. Andererseits gibt es die Schulen in wohlhabenden Gegenden, in denen die Klassengröße nur 18 beträgt, weil diese zusätzliche Lehrkräfte einstellen können. Dies ist eine grundlegende Frage der sozialen Gerechtigkeit, aber auch der Arbeitsbelastung der Lehrkräfte. Zusätzlich fehlen Anreize für Lehrkräfte, in den ländlichen Gebieten zu arbeiten. Eine weitere Sorge der Lehrkräfte ist, dass Karrieremöglichkeiten im Beruf fehlen. Das führt dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer kündigen und sich nach anderen Stellen umsehen.

  • E&W: Die Provinz- und Parlamentswahlen im Mai führten zu einem Regierungswechsel in Südafrika. Die bislang regierende Partei ANC (African National Congress) verlor nach 30 Jahren ihre absolute Mehrheit sowohl in der Nationalversammlung als auch in der zweiten Kammer, dem NCOP (National Council of Provinces). Er regiert jetzt in einer Koalition mit insgesamt neun Parteien. Was bedeutet das für den Bildungssektor und SADTU?

Maluleke: Das Bildungsministerium ist jetzt in der Hand der konservativen Partei DA (Democratic Alliance), die eine Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen und damit auch der Bildung anstrebt. Sie will im Primarbereich sogenannte Collaborative Schools einführen, die sich in privater Trägerschaft befinden, aber staatlich finanziert werden sollen. Arbeitgeber der Lehrkräfte wäre dann in Zukunft nicht mehr der Staat. Damit könnte die DA auch ihr Ziel umsetzen, die Stellung der Gewerkschaften einzuschränken, denn in solchen Schulen haben Gewerkschaften weniger Mitbestimmungsrechte. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde mittlerweile sowohl vom Parlament als auch vom NCOP gebilligt und wartet auf die Verabschiedung durch den Präsidenten. Diesem Angriff auf gewerkschaftliche Rechte und die frühkindliche Bildung werden wir uns als Gewerkschaft entgegenstellen müssen.