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Gleichstellung in der Bildung

Baustein für mehr Gleichstellung in der Wissenschaft

Geschlechterungerechtigkeit manifestiert sich an vielen Stellen der Gesellschaft. Ein Thema ist die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit und die damit verbundenen Benachteiligungen, die besonders Frauen treffen – das gilt auch für die Wissenschaft.

Während der Corona-Pandemie war die Publikationsrate der wissenschaftlich arbeitenden Frauen mit Kindern deutlich niedriger als jene der Männer mit Kindern. (Foto: Pixabay / CC0)

Elternschaft hat je nach Geschlecht unterschiedliche Auswirkungen auf die Lebensläufe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Frauen in der Wissenschaft treffen die negativen Auswirkungen, Mutter zu sein, Stichwort „Motherhood Penalty“, noch immer stärker als Väter. Bereits vor der Corona--Pandemie war beispielsweise die Publikationsrate der Mütter niedriger als die der Väter. Während der Pandemie hat sich dieser Effekt noch einmal verstärkt. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Veröffentlichungsrate der Wissenschaftlerinnen mit Kind während der Zeit des Lockdowns und der (Teil-)Schließung von Kitas und Schulen deutlich geringer war als die der Väter.

Die längerfristigen Auswirkungen der Pandemie sind bisher noch gar nicht abzusehen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass der Dropout der Wissenschaftlerinnen mit Kindern steigen wird, wenn keine fundamentalen Ausgleichsinstrumente eingeführt werden.

Jede zweite Professorin hat keine Kinder

Generell ist es immer noch schwierig, Elternschaft – besonders Mutterschaft – mit wissenschaftlicher Arbeit zu vereinbaren. So stellte der Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 fest, dass etwa jede zweite Professorin keine Kinder hat, bei den Professoren jedoch nur knapp ein Viertel kinderlos ist. Die Vereinbarkeit und die erlebte Diskriminierung insbesondere der Mütter ist nicht das individuelle Problem einzelner Wissenschaftlerinnen, es gibt strukturelle Hindernisse, die auch auf dieser Ebene behoben und abgebaut werden müssen.

Ein möglicher Ansatz zur strukturellen Betrachtung und Lösung des Problems könnte das Prinzip eines Family-Budgeting als Teilbereich des Gender-Budgeting werden. Damit stünde ein Konzept zur Verfügung, das erstens deutlich macht, wie Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Bedarfe der Menschen mit Sorgeaufgaben bei der Verteilung von Ressourcen in den Blick nehmen können. Zweitens können damit auch ein Beitrag zu mehr Geschlechtergleichstellung geleistet und die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie aktiv unterstützt werden. Dabei knüpfe ich mit der Formulierung an die etablierten Prinzipien des Gender-Mainstreaming bzw. Gender-Budgeting an.

Gender-Mainstreaming verwirklichen

Gender-Mainstreaming als Strategie der Europäischen Union (EU), um Geschlechtergerechtigkeit zu verwirklichen, bedeutet, bei allen gesellschaftlichen und politischen Vorhaben die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern grundsätzlich und systematisch zu berücksichtigen.

Gender-Budgeting ist die Anwendung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes auf den Haushaltsprozess. Es zielt darauf ab, die Geschlechterperspektive bei der Ressourcenverteilung konsequent zu berücksichtigen. Diese Analyse macht es möglich, geschlechtsspezifische Bedarfe besser zu erfassen und ist somit eine wichtige Grundlage, um evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen, die Geschlechtergerechtigkeit fördern.

Family-Budgeting an Hochschulen und Forschungseinrichtungen

In Anlehnung an diese Begriffe und Strategien könnte der Ansatz des von mir vorgeschlagenen Family-Budgeting an Hochschulen und Forschungseinrichtungen genutzt werden, um bei geplanten Ausgaben Familienorientierung als Bereich der Gleichstellungsbemühungen konsequent in den Blick zu nehmen und zu berücksichtigen, welche Auswirkungen dies auf Menschen mit Sorgeaufgaben hat. Darüber hinaus sollten die Mittel gezielt dazu eingesetzt werden, Nachteile auszugleichen und Mütter in der Wissenschaft zu unterstützen.

Mit dem Gender Equality unterstützt das Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité so zum Beispiel promovierte Wissenschaftlerinnen mit Familienaufgaben. Um Nachteile wie Arbeitsverbote im Labor, Mehrfachbelastungen durch Kinderbetreuung und/oder Pflege Angehöriger während der Phase wissenschaftlicher Qualifizierung auszugleichen, erhalten die Wissenschaftlerinnen bis zu 10.000 Euro pro Jahr für die Einstellung einer studentischen Hilfskraft. Die Geförderten haben so auch bei Familienauszeiten oder in Phasen mit erhöhtem Arbeitsaufkommen eine zusätzliche Unterstützung und können weiter an ihrem Forschungsprojekt arbeiten.

Diese Maßnahme ist, neben dem flächendeckenden Angebot von Kinderbetreuung bei wissenschaftlichen Veranstaltungen und der Möglichkeit zur Erstattung von Betreuungskosten während der Teilnahme an wissenschaftlichen Weiterbildungen für alle Beschäftigten unabhängig vom Geschlecht, ein Baustein der Gleichstellungsarbeit des Forschungsinstituts.

Vielfalt der Familien berücksichtigen

Als Querschnittsthema kann eine geschlechter- und vereinbarkeitssensible „Brille“ dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für Menschen mit Sorgeaufgaben zu verbessern und die Benachteiligung insbesondere der Mütter in der Wissenschaft abzubauen. Wichtig ist, die Vielfalt der Familien zu berücksichtigen und auf unterschiedliche Lebenswelten einzugehen.

Neben der Frage der Verteilung finanzieller Ressourcen mit Blick auf Sorgeaufgaben geht es dabei auch darum, geeignete Rahmenbedingungen durch flexible Studien- und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Bei all diesen Fragen sind nicht nur die Hochschulen gefordert, sondern es braucht auch rechtliche und steuerliche Klarheit, um gute Ideen und wirksame Ansätze in die Tat umzusetzen.  

Karin Höhne hat vor ihrer Tätigkeit am BIH das Familienbüro der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) geleitet und dort zahlreiche Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie initiiert und begleitet.