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Ausreichend, aber nicht zufriedenstellend

Viele Jahre war der Erzieher-Job wegen der geringen Bezahlung und hohen Arbeitsbelastung wenig attraktiv. Die Bezahlung ist besser geworden, fehlende Aufstiegschancen, Lärm und Stress sorgen jedoch weiter für Unzufriedenheit; die Abwanderungsquote aus dem Job ist nach wie vor hoch.

Die gute Nachricht vorweg: Mit dem Gehalt einer Erzieherin oder eines Erziehers lässt sich heute der Lebensunterhalt bestreiten. Jedenfalls dann, wenn man eine unbefristete Vollzeitstelle hat, nicht gerade als Alleinverdienende eine Familie ernähren muss und nicht in einer teuren Großstadt wie München lebt. In ihrer Auswertung der Daten des Mikrozensus von 2012* kommen die beiden Bildungsforscherinnen Kirsten Fuchs-Rechlin und Eva Strunz zu dem Ergebnis, dass Erzieherinnen und Erzieher im Vergleich zur Erhebung von 2008 hinsichtlich ihres Einkommens deutlich aufgeholt haben. 1577 Euro beträgt jetzt das Nettoeinkommen** (200 Euro mehr als 2008), das Durchschnittseinkommen aller Berufsgruppen liegt zehn Euro darunter. Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger sind jedoch mit ihrem Verdienst immer noch knapp 200 Euro unter dem Gesamtschnitt.

GEW-Kita-Experte Norbert Hocke führt die positive Entwicklung auf die Erfolge der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes bei den vergangenen Tarifrunden zurück. Allerdings sei die Einkommenssituation der Beschäftigten noch nicht zufriedenstellend, kritisiert das GEW-Vorstandsmitglied. So sei der Gehaltsabstand zu Berufen mit vergleichbarer Qualifikation nach wie vor groß.

Die Zahlen des Mikrozensus von 2012 bestätigen Hockes Einschätzung. Die Nettoeinkommen von Bankkaufleuten liegen rund 500 Euro über denen der Kita-Fachkräfte. Ist das gerecht? "Nein", meint Hocke und gibt zu bedenken, dass die Ausbildungsphase der Erzieherinnen und Erzieher mit fünf Jahren deutlich länger sei als die in kaufmännischen Berufen.

Ungerechte Gehaltslücke

Auch Katrin F.*** aus München empfindet diese Gehaltslücke als ungerecht. Seit 17 Jahren arbeitet die 33-Jährige als Erzieherin - immer beim gleichen Arbeitgeber, einer kommunalen Kindertagesstätte. "In den Anfangsjahren war es schwierig, sagt sie. "Netto verdiente ich monatlich weniger als 1400 Euro - trotz einer Vollzeitstelle." In einer Großstadt wie München lässt sich davon schlecht leben. "Die Hälfte meines Gehalts ging für die Miete drauf", berichtet Katrin F. Um finanziell über die Runden zu kommen, arbeitete sie deshalb viele Jahre täglich vor Dienstantritt in einer Bäckerei als Verkäuferin. Erst durch eine bessere Eingruppierung als Leiterin einer Kita in Entgeltgruppe S 10 (Stufe 6) konnte sie darauf verzichten. Annähernd 1900 Euro netto hat sie jetzt zur Verfügung.

Mit rund 700 Euro weniger muss Erzieherin Isabel K.*** aus Berlin auskommen. "Zum Glück bin ich finanziell über meinen Mann abgesichert", erzählt die 43-Jährige. Seit 20 Jahren übt sie den Beruf aus. Da Berlin 2003 aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ausgetreten ist, hat sich ihr Gehalt in den vergangenen zehn Jahren kaum erhöht. Die Erzieherin arbeitet derzeit bei einem kleinen Träger in Teilzeit (25 Stunden). Ihre Bezahlung erfolgt angelehnt an die bei öffentlichen Arbeitgebern. Im TVöD entspräche ihre Gehaltsklasse der Entgeltgruppe S 6 (Stufe 6). Netto erhält sie zirka 1200 Euro im Monat. Auch beruflich stagniert die Entwicklung. "Ich habe immer nur Teilzeit gearbeitet, früher wegen der Kinder, heute, weil ich mir eine Vollzeitstelle aufgrund der Belastung im Job nicht zumuten will", erklärt sie. "Karriere kann man so nicht machen."

Wenig attraktiv

Ganz andere Probleme bedrücken Katrin F. Seit gut einem Jahr ist sie Leiterin ihrer Einrichtung. Finanziell stehe sie zwar jetzt besser da, doch nicht in dem Maße, wie es ihrer Arbeitsbelastung entspreche, findet sie. Sie trage schließlich nicht nur als Leiterin Verantwortung für den Kita-Betrieb, sondern müsse immer wieder als Lückenbüßerin in den Kindergruppen aushelfen, weil die Personalsituation in ihrer Kita permanent angespannt sei. "Der Krankheitsstand im Team ist enorm, schon junge Kolleginnen klagen über psychische Erschöpfung."

Dass das keine Ausnahme ist, zeigt eine Studie der Berliner Alice-Salomon-Hochschule (ASH)****. Bei jeder zehnten pädagogischen Fachkraft sei innerhalb eines Jahres ein "psychovegetatives Erschöpfungssyndrom", landläufig als "Burnout" bekannt, ärztlich diagnostiziert worden, heißt es in der von der Erziehungswissenschaftlerin Susanne Viernickel geleiteten Projektstudie. In allen Altersgruppen seien Kita-Fachkräfte häufiger als andere Berufsgruppen von "dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen" betroffen. Je nach Alter liegt die Quote bei den Erzieherinnen zwischen rund 18 und 40 Prozent - und damit deutlich über dem Durchschnitt (zwölf bis 34 Prozent).

Zu den weiteren Belastungsfaktoren zählt die Untersuchung eine schlechte Bezahlung, fehlende Aufstiegschancen, Lärm, zu kleine Räume und eine unzureichende Ausstattung, vor allem mit ergonomischen Möbeln. In manchen Kindertageseinrichtungen gebe es zudem in den Pausen kaum Rückzugsmöglichkeiten. Resümee der Autorinnen: Das Berufsfeld Erzieherin sei zu wenig attraktiv.

"Um mehr junge Menschen für den Beruf zu begeistern, bedarf es besserer Arbeitsbedingungen", fordert deshalb Jugendhilfeexperte Hocke. Der Bedarf im Kita-Bereich sei enorm. In den vergangenen fünf Jahren habe sich die Zahl der Beschäftigten im frühkindlichen Bereich um rund ein Drittel auf über 600 000 erhöht. Hocke erwartet, dass die Personalnachfrage in den kommenden Jahren auf bis zu 700 000 Arbeitsplätze steigen wird.

Ein Teil des wachsenden Personalbedarfs sei bislang durch den Abbau von Teilzeitbeschäftigung gedeckt worden, vermuten Fuchs-Rechlin und Strunz. Ob das allein ein probates Mittel ist, um den Kita-Ausbau personell zu stemmen, ist allerdings fraglich. Die Abwanderungsquote aus dem Beruf sei nach wie vor hoch. Gerade Beschäftigte, die älter als 40 Jahre alt sind, verließen verstärkt das Arbeitsfeld der Kinderbetreuung, konstatieren die beiden Wissenschaftlerinnen.

Der Gedanke an einen Ausstieg beschäftigt Isabel K. nicht - noch nicht. Aber auch sie hat Angst davor, dass irgendwann das "pädagogische Feuer" erlischt. Die Erzieherin sagt klipp und klar: "Bevor das passiert, suche ich mir lieber einen anderen Job."


*Die berufliche, familiäre und öko­no­mische Situation von Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen - Sonderauswertung des Mikrozensus 2012
**In der Auswertung wurden ausschließlich vollzeitbeschäftigte Menschen berücksichtigt. Die Verfasserinnen betonen, dass das ermittelte Nettoeinkommen weniger einen Rückschluss auf den tatsächlichen Verdienst erlaube, sondern vielmehr die Positionierung von Erzieherinnen und Erziehern sowie Kinderpflegerinnen und Kinderpflegern im Einkommensgefüge aller Berufsgruppen anzeige.
***Name von der Redaktion geändert
****STEGE (Strukturqualität und Erzieher_innengesundheit in Kindertageseinrichtungen), 2013 Befragt wurden im Auftrag der Unfallkasse NRW und der Deutschen Gesetzlichen Unfallkasse Erzieherinnen und Erzieher in Nordrhein-Westfalen: www.kita-forschung.de