Die Freude darüber, dass sich die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage in der dualen Ausbildung rechnerisch in den vergangenen Jahren verringert hat und die Bundesagentur für Arbeit in diesem August in etwa Gleichstand beider Größen meldete, kann man getrost teilen. Aber man sollte der Freude nicht zu ausgelassen Ausdruck verleihen: Selbst ein bundesweiter numerischer Gleichstand von Angebot und Nachfrage bedeutet für die Jugendlichen noch lange kein auswahlfähiges Ausbildungsplatzangebot. Dies wäre laut Ausbildungsplatzförderungsgesetz erst erreicht, wenn das Angebot wenigstens 12,5 Prozent über der Nachfrage läge. Es bleiben also für beide Seiten – Jugendliche wie Unternehmen – weiterhin erhebliche Unsicherheiten und Passungsprobleme. Darüber kann auch das aktuelle Lob der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die deutsche Berufsausbildung – das sich vor allem aus der niedrigen Jugendarbeitslosigkeitsquote begründet – nicht hinwegtäuschen.
Über ein Jahrzehnt war die Berufsbildung wegen der Verwerfungen am Ausbildungsstellenmarkt in schwere Turbulenzen geraten. Ist ihre Welt jetzt wieder in Ordnung? Und: Die noch wichtigere Frage: Ist das System für die Zukunft gut gerüstet? Mitnichten. Die duale Berufsausbildung schleppt weiterhin alte Lasten – vielleicht etwas weniger schwer – mit sich herum und ist mit neuen Unsicherheiten konfrontiert. Dazu zählt das nach wie vor zu geringe Ausbildungsplatzangebot. Dieses ist zudem von einem weiteren Abwärtstrend bedroht: Der numerische Gleichstand von Angebot und Nachfrage resultiert nämlich nicht daraus, dass sich das Ausbildungsplatzangebot ausgeweitet hätte, sondern fast ausschließlich aus dem Rückgang der Nachfrage. Zwischen 2007 und 2015 ging das Angebot um 13 Prozent, die Nachfrage aber um 20 Prozent zurück.
„Die strukturelle Verknappung des Ausbildungsangebots wird auch künftig vor allem die gering qualifizierten Jugendlichen treffen.“
Alarmierend daran ist, dass sich der Rückgang bei kontinuierlich steigendem Beschäftigungsvolumen vollzogen hat. Es kommt im letzten Jahrzehnt zu einer zunehmenden Entkopplung von Beschäftigungs- und Ausbildungsentwicklung, die es so bisher nicht gab. Hält dieser Trend an, wäre dies für das duale System fatal. Bei der Entkoppelung sind strukturelle Entwicklungen am Werk, das zeigt sich an den seit 2008 in allen Betriebsgrößenklassen rückläufigen Auszubildenden- und Ausbildungsbetriebsquoten. Diese wirken sich am stärksten bei den Kleinbetrieben (bis 50 Beschäftigte) aus, die traditionell knapp die Hälfte der Ausbildungsplätze stellen.
Die strukturelle Verknappung des Ausbildungsangebots wird auch künftig vor allem die gering qualifizierten Jugendlichen treffen – unter ihnen viele mit Migrationshintergrund. Fast 300 000 Jugendliche im Übergangssektor sprechen eine deutliche Sprache. Inzwischen schlägt die Verknappung aber als eigenes Versäumnis auf die Fachkräfteversorgung der Unternehmen zurück. Das Lamento der Wirtschaft über Fachkräftemangel geht also zuallererst an die eigene Adresse.
„Ohne mehr externe Unterstützung scheinen die Betriebe überfordert.“
Fachkräftemangel und Benachteiligung von Geringqualifizierten stehen angesichts demografischer Entwicklung und des ungebrochenen Trends zum Studium perspektivisch in einem unabweisbaren Zusammenhang. Dieser ist politisch schwer zu gestalten, denn die Digitalisierung forciert die Tendenz zu steigenden Qualifikationen.
Für die Doppelaufgabe von Höherqualifizierung und Einbeziehung Geringqualifizierter, einschließlich der Integration von Schutz- und Asylsuchenden, scheint die duale Ausbildung nicht gut gerüstet. Es fehlt zum einen – für die Höherqualifizierten – an attraktiven Angeboten. Zum anderen insgesamt an den erforderlichen personellen Ressourcen und Kompetenzen in den Betrieben, vor allem an sozial- und sonderpädagogischer Expertise, um die für die Fachkräfteversorgung unverzichtbare Ausbildung der Geringqualifizierten zu erreichen. Ohne mehr externe Unterstützung scheinen die Betriebe überfordert – gerade bei den vielfältigen Integrations- und Inklusionsaufgaben. Hier spricht alles für ein intensiveres Zusammenwirken von Betrieben und Berufsschulen.