Jugendberufsagenturen
Aus einer Hand
Jugendberufsagenturen sollen junge Menschen auf dem Weg ins Berufsleben unterstützen. Das hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die beteiligten Akteure eng zusammenarbeiten. Wie das gelingen kann, zeigt das Beispiel Hamburg.
Juri* hat noch keinen Plan. Deshalb sitzt der 16-Jährige bei Berufsberaterin Petra Cämmerer, die an seinem Gymnasium im Hamburger Norden regelmäßig Sprechstunden zur Berufsberatung anbietet. Termine bei ihr sind freiwillig – und schnell ausgebucht. Über seine Zukunft hatte sich der Elftklässler noch keine Gedanken gemacht, bis er kürzlich Cämmerers Veranstaltung zur Berufsorientierung besuchte. Bei Juri und vielen anderen sei da „etwas in Bewegung gekommen“, so der Schüler.
Die Berufsberaterin der Hamburger Arbeitsagentur betreut drei Gymnasien und Stadtteilschulen. Sie begleitet Jugendliche ab der 10. Klasse bei der Berufsorientierung. „Ich sehe bei allen einen großen Aufklärungsbedarf. Besonders ansprechen müssen wir jedoch diejenigen, deren Eltern nicht unterstützen können, die nach der 10. Klasse abgehen oder das Abitur nicht schaffen“, sagt Cämmerer. Sie informiert über Berufe und Studiengänge, berät zu Wegen in die Ausbildung und empfiehlt Maßnahmen, die eine Ausbildung überhaupt erst ermöglichen – an ihren Partnerschulen und in der Jugendberufsagentur (JBA) Wandsbek.
“Keiner darf verloren gehen”
„Keiner darf verloren gehen“, lautet das Motto der bundesweit 366 Jugendberufsagenturen, in denen Arbeitsagentur, Jobcenter und die kommunale Jugendhilfe institutionsübergreifend und multiprofessionell zusammenarbeiten. Ihr Auftrag ist, junge Menschen bis zum Alter von 25 Jahren am Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf zu begleiten. Die ersten Bündnisse wurden ab 2007 in Bielefeld, Mainz und Düsseldorf geschlossen, Hamburg folgte im Jahr 2012. Ein Jahr später fanden Jugendberufsagenturen erstmals Eingang in den Koalitionsvertrag der damaligen Bundesregierung. Seitdem hat ihr Ausbau Fahrt aufgenommen, sodass mittlerweile 90 Prozent aller Kommunen junge Menschen bis 25 Jahre mit ihrem Angebot unterstützen.
„Wir können die Jugendlichen seitdem gezielt kontaktieren, wenn sie noch keinen Anschluss haben.“ (Alena Billon)
Regional wird dieses Konzept jedoch sehr unterschiedlich umgesetzt. Während einige Jugendberufsagenturen vor allem besonders förderungsbedürftige junge Menschen in den Blick nehmen, richtet sich das Angebot in Großstädten wie Berlin, Bremen oder Hamburg an alle jungen Menschen. Hier sind auch die Schulen Kooperationspartner, und die Arbeit der Berufsorientierungsteams beginnt frühzeitig vor Ort, was andernorts nicht selbstverständlich ist.
In den sieben Bezirken Hamburgs arbeiten insgesamt 370 Beschäftigte von Arbeitsagentur, Jugendhilfe, dem Hamburger Institut für Berufliche Bildung und der Jugendhilfe Hand in Hand – und unter einem Dach. Um die notwendigen Daten austauschen zu dürfen, wurden gesetzliche Grundlagen geschaffen. Aufgrund einer engen Zusammenarbeit an den Schulen kennt man in der Hansestadt den Verbleib nahezu aller Jugendlichen nach Beendigung der Schulzeit. Lediglich drei von ihnen konnten 2023 nach Verlassen der Schule nicht weiter erfasst werden, bestätigt Alena Billon, Projektleiterin der Jugendberufsagentur. Bis zur Gründung der JBA 2012 waren es noch 1.500 Jugendliche, rund 30 Prozent der Schulabgängerinnen und -abgänger. „Wir können die Jugendlichen seitdem gezielt kontaktieren, wenn sie noch keinen Anschluss haben.“
Die Jugendberufsagenturen sind nicht nur Anlaufstelle für alle Fragen rund um die Ausbildung, sondern auch bei privaten und familiären Problemen. „Viele dieser jungen Menschen haben schon mehrfach erfolglos eine Ausbildung gesucht oder diese abgebrochen“, erzählt die Sozialpädagogin Veronika Caspersen. Meist kommen die Jugendlichen erst zu ihr, wenn sie in einer finanziellen Notlage sind oder zu Hause rausgeworfen wurden. „Wir ordnen zunächst gemeinsam, welche Schwierigkeiten es gibt, und versuchen dann, die jungen Menschen Schritt für Schritt wieder ins Hilfesystem zu integrieren.“
„Erst wenn sich die persönliche Situation stabilisiert hat, sind sie in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen.“ (Veronika Caspersen)
Caspersen lotst die Jugendlichen zur richtigen Ansprechperson in der JBA, begleitet zum Erstgespräch, unterstützt bei Behördenschreiben oder Anträgen für existenzsichernde Leistungen. Bei Obdachlosigkeit, Mietschulden oder anderen Problemen schickt sie die jungen Menschen zu Hilfsangeboten im Bezirk: „Erst wenn sich die persönliche Situation stabilisiert hat, sind sie in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen.“ Auch junge Geflüchtete, die erst nach Ende der Schulpflicht nach Hamburg gekommen sind, finden in der Jugendberufsagentur Unterstützung auf ihrem Weg in Ausbildung und Arbeit.
Nicht überall arbeiten die beteiligten Partner so reibungslos zusammen. „In einigen Kommunen existieren die JBA bislang nur formal, eine echte Zusammenarbeit im Sinne der Jugendlichen lässt sich noch nicht erkennen“, bestätigt Frank Neises, im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zuständig für die Servicestelle Jugendberufsagenturen. Insbesondere die Beschränkungen der Corona-Pandemie haben den Aufbau verzögert. Wichtige Voraussetzung sei eine vertrauensvolle und gleichgestellte Zusammenarbeit der sehr unterschiedlichen Partner, die „ein gemeinsames Verständnis der komplexen Aufgabe und eine wertschätzende Kultur etablieren müssen“, so Neises. Ziel sei es, eine gemeinsame Identität als JBA zu entwickeln.
Alarmierende Zahlen
Für Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied Berufliche Bildung und Weiterbildung, ist zudem eine rechtliche und strukturelle Verankerung der Jugendberufsagenturen entscheidend. „In vielen Bundesländern sind es freiwillige Zusammenschlüsse“, kritisiert er. „Netzwerke können rechtlich abgesicherte Strukturen nicht ersetzen.“ Meist fehle zudem die finanzielle Ausstattung. Insbesondere in Kommunen, in denen Schulen nicht in die Jugendberufsagentur integriert sind, bleibe ein Großteil der Berufsorientierung häufig an den Lehrkräften hängen. Becker mahnt zum Handeln, denn die Zahlen sind alarmierend: Laut Berufsbildungsbericht verlassen jedes Jahr mehr als 50.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Die Zahl junger Erwachsener ohne Berufsabschluss ist 2024 auf 2,86 Millionen gestiegen. Gleichzeitig sinkt die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze und der Jugendlichen in Ausbildung.
„Wir wollen mobiler werden, in Jugendzentren und Flüchtlingsunterkünfte gehen.“
Weil noch immer zu viele junge Menschen jenseits der Schulpflicht verloren gehen, will Hamburg die Jugendberufsagentur neu aufstellen. So sollen die Angebote für junge Menschen mit vielfältigen Problemen um Schuldner- und Suchtberatung sowie die Unterstützung bei aufenthaltsrechtlichen Fragen erweitert werden. Zudem müsse die JBA „attraktiver werden und zu den Jugendlichen kommen“, sagt Billon, die die Neuaufstellung der „Jugendberufsagentur 2.0“ koordiniert. Bereits im kommenden Jahr sollen zwei „Filialen“ eröffnet werden, die Beratungen ohne Termin anbieten. „Wir wollen mobiler werden, in Jugendzentren und Flüchtlingsunterkünfte gehen.“
Vorbild könnte die Jugendberufsagentur Augsburg sein. Dort können sich die Jugendlichen im „JUBAG-Beratungscafé“ in zwangloser Atmosphäre und bei einem kostenlosen Getränk informieren und beraten lassen. Ob Café, Jugendzentrum oder „Filiale“: Entscheidend werde sein, die Jugendlichen schon in der Schule auf die Beratungsangebote der JBA aufmerksam zu machen, meint Billon. „Alle jungen Menschen sollen wissen, dass sie bei unterschiedlichsten Problemen hier Beratung und Unterstützung finden.“
*Name von der Redaktion geändert