Deutsch-israelisches Begegnungsseminar
Aufklären und Haltung zeigen!
Im Begegnungsseminar im August 2022 in Berlin tauschten sich deutsche und israelische Lehrkräfte zum Unterricht über den Holocaust aus. Der israelische Seminarleiter Avraham Rocheli wurde mit der Hans-Böckler-Medaille des DGB geehrt.
Kann man ein Seminar zum 30. Mal mit derselben Thematik durchführen? Man kann. Man muss sogar immer wieder, wenn es darum geht, wie man jungen Menschen den Holocaust vermittelt. Denn: Kinder und Jugendliche sind immer anders; jede Generation braucht ihren besonderen Zugang.
Die Rahmenbedingungen in Deutschland wie in Israel haben sich in dem Zeitraum von über 50 Jahren, in denen das deutsch-israelische Begegnungsseminar stattfindet, gravierend geändert, die wissenschaftlichen Erkenntnisse und biografischen Aufarbeitungen haben sich enorm ausgeweitet. Und es sind immer andere Kolleginnen und Kollegen, die über ihre Erfahrungen referieren – inzwischen insgesamt um die tausend.
DGB zeichnet israelischen Seminarleiter aus
1968, als zum ersten Mal Lehrer*innen aus Israel und Deutschland zu einem solchen Seminar zusammenkamen, hatten die gewerkschaftlichen Begegnungen Pioniercharakter für deutsch-israelische Begegnungen, man betrat noch sehr unsicheres Neuland.
2022 hat die GEW mit der israelischen Histadrut HaMorim ein intensives Verhältnis, das durch Partnerschaft und Vertrauen geprägt ist. Ausdruck davon ist, dass im Laufe der diesjährigen Seminarwoche in Berlin dem langjährigen israelischen Seminarleiter Avraham Rocheli die Hans-Böckler-Medaille verliehen wurde. Für den DGB überreichte Katja Karger, Vorsitzende in Berlin-Brandenburg, die höchste gewerkschaftliche Auszeichnung.
Gewohnte Muster in Frage stellen
Die 35 Teilnehmenden aus Israel und Deutschland setzen sich im Seminar mit aktuellen Fragen der Erinnerungskultur auseinander. So zeigten Michal Sason (Petach Tikva) und Andreas Borsch (Trier) auf, wie sie über die Musik zu neuen (emotionalen) Formen des Erinnerns finden.
Michal setzt bei Grundschülern Musik so ein, dass sowohl die wichtigen zeremoniellen Abläufe von Holocaust-Feiern gestaltet als auch neue Lieder erfunden werden, welche auf Zeugenaussagen von Holocaust-Überlebenden beruhen. Andreas veranstaltet Kulturfestivals, auf denen es um „Hip Hop und Antisemitismus“ oder „Die jüdische Farbe des Punk geht“.
Erfahrungen mit Schülerreisen
Christoph Paul (Marburg) und Barak Kigel (Tel Aviv) reflektierten ihre Erfahrungen mit Schülerreisen nach Israel bzw. den Holocaust-Gedenkstätten in Polen, über die zur Zeit in Israel kontrovers gestritten wird.
Ronit Mashiach thematisierte den lange vernachlässigten Genderaspekt in der Holocaust-Forschung. Ausgangspunkt: Doppelt so viele Männer wie Frauen haben den Holocaust überlebt.
Tobias Reckeweg (Neuss) ging von der Zahl 500.000 aus: So viele Personen waren an Planung und Durchführung des Holocaust beteiligt. Er hat persönlich die letzten Prozesse gegen die Täter besucht („Finally justice“) und über deren Bedeutung unterrichtet.
„Helden“ in Holocaust-Erzählungen
Umgekehrt fragten Netanela Betzalel und Inbal Kott, ob und welche „Helden“ die Schülerinnen und Schüler brauchen, wenn es um die Holocaust-Erzählungen geht. Barbara Sendlak-Brandt zeigte auf, wie heute in Bochum Gedenk-Kultur in der Stadt und in den Schulen organisiert wird. Wie die Löcknitz-Schule in Berlin systematisch an die zerstörte Synagoge und die jüdischen Mitbürger in ihrer Schöneberger Nachbarschaft erinnert, präsentierte Erika Jürgens-Gawlik.
Persönliche Begegnungen sind das Wertvollste
Und immer ist das Seminar viel mehr als die Vorträge oder Workshops: Die israelischen Kolleginnen und Kollegen können bei fast allen Themen persönliche, familiäre Bezüge herstellen. Dabei erhalten die persönlichen Begegnungen eine besondere Tiefe – das merkten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Abschluss an.
Es entsteht eine große Nähe durch den unmittelbaren Austausch, in den Pausen und über das gemeinsam erlebte Rahmenprogramm: Der Besuch im Haus der Wannsee-Konferenz, das Gespräch mit der GEW Berlin und der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Zeremonie im KZ Sachsenhausen oder die Abendessen in verschiedenen Stadtteilen Berlins.