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Folgen der Coronapandemie

Aufholen für Akademikerkinder

Mit zwei Milliarden Euro will der Bund soziale wie schulische Folgen der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen lindern. Allerdings: erst nach den Sommerferien.

Von den Lernproblemen, die die Corona-Pandemie ausgelöst hat, sind vor allem Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachen Familien betroffen; sie sollten im Fokus der Förderprogramme stehen. Bislang nahmen allerdings Akademikerkinder mehr als fünfmal so oft wie Mädchen und Jungen aus nichtakademischen Haushalten an diesen Programmen teil. (Foto: Pixabay/Alexandra_Koch)

Nicht oft steht Bildung auf der Agenda der Bundesregierung, schon gar nicht zweimal. Am 5. Mai war es aber so: Außer dem Recht auf Ganztagsbetreuung an der Grundschule ab 2026 beschloss das Kabinett das „Aktionsprogramm Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“. Zwei Milliarden Euro sollen dieses und kommendes Jahr – vor allem über den Umweg Umsatzsteuerausgleich – an die Länder fließen, um schulische wie soziale und psychische Folgen der Pandemie zu lindern. Zuvor hatte es Gerangel um die Frage gegeben, wofür die Gelder genutzt werden, vor allem darum, ob Lernrückstände das größte Problem sind, mit dem Kinder und Jugendliche zu kämpfen haben. Nun weckt der Titel „Aufholprogramm“ Assoziationen zu Nachhilfe, tatsächlich ist der Blick sehr viel weiter. Eine Milliarde Euro soll in Lernförderprogramme, eine weitere Milliarde in soziale und psychologische Hilfen gehen.

Das Programm hat vier Säulen: eine zur Behebung von Lernrückständen in der Schule, eine zweite für frühkindliche Bildung. Unter anderem sollen mithilfe von 100 Millionen Euro 1.000 zusätzliche Sprach-Kitas entstehen, also Kitas mehr Mittel für Sprachförderung bekommen. Der Fokus, erklärte das SPD-geführte Bundesfamilienministerium, liege auf Regionen, in denen die Pandemie die sozialen Unterschiede „noch einmal verschärft“ habe. 50 Millionen Euro fließen in die Bundesstiftung Frühe Hilfen. Weitere 530 Millionen Euro sind für Ferien- und Freizeitangebote eingeplant: für Vereine und Verbände aus Sport, Kultur, internationaler Begegnung, die „günstige Ferien- und Wochenendfreizeiten sowie Jugendbegegnungen und Angebote zur Demokratiebildung ausgestalten und ihre Strukturen gezielt hierfür ertüchtigen sollen“. Gemeinnützige Familienferienstätten sollen Zuschüsse bekommen. Familien, die Sozialleistungen beziehen, erhalten pro Kind einen „Freizeitbonus“ von 100 Euro.

Eine vierte Säule rückt soziale Pandemiefolgen in den Fokus. Um Schülerinnen und Schüler mit „ihren Sorgen und dem Druck, verpassten Lehrstoff möglichst schnell aufholen zu müssen“ nicht allein zu lassen, werden 220 Millionen Euro für Schulsozialarbeit und Freiwilligendienstleistende in Schulen sowie in der Kinder- und Jugendhilfe zur Verfügung gestellt. Und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung erhält 100 Millionen Euro.

Noch keine Förderrichtlinien

GEW-Vorsitzende Marlis Tepe nannte das Paket einen „Schritt in die richtige Richtung“. Reibungsverluste, „die wir in der Umsetzung des Digitalpaktes gesehen haben“, gelte es allerdings zu vermeiden, und: „Arme Kommunen, Stadtviertel und Schulen mit besonderen pädagogischen Herausforderungen“ sollten besonders beachtet werden. Wie weit das Programm trägt, muss sich zudem noch zeigen. Pro Kind würden „weniger als 150 Euro in die Hand genommen“, rechnete der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, -Thomas Krüger, vor. Die Länder, das machte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) klar, sind gehalten, ebenfalls finanzielle Hilfen zu leisten.

Bis zum Frühherbst müssen sie das ohnehin: Fließen sollen die Gelder laut Karliczek erst mit Beginn des neuen Schuljahres; auch die Förderrichtlinien lagen zunächst nicht vor. Die nahenden Sommerferien müssen die Bundesländer also aus eigenen Mitteln stemmen, etwa was das Schließen von Kompetenzlücken angeht. Sie dürften dabei auf ähnliche Programme wie 2020 setzen, die je nach Bundesland „Lernsommer“ (Schleswig-Holstein), „Lernferien“ (Hamburg), „Extra-Zeit“ (Baden-Württemberg) oder „Sommerschule“ (Berlin) heißen. Föderalismustypisch macht es jedes Land auf seine Art: Die Teilnahme ist mehr oder weniger verpflichtend, die Anmeldung mal für alle, mal nach sozialen Kriterien möglich. Auch das Personal unterscheidet sich: Einige Länder setzen vor allem auf aktuelle Lehrkräfte, andere stärker auf Studierende oder pensionierte Lehrkräfte.

„Wir sind darauf eingestellt, als Land erst einmal in Vorleistung zu gehen.“ (Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Bildung)

In Berlin soll die „Sommerschule“ noch einmal ausgebaut werden. „Wir sind darauf eingestellt, als Land erst einmal in Vorleistung zu gehen“, erklärt ein Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, „für Klassen, in denen es um Berufsvorbereitung geht, haben wir außerdem zusätzliche Gelder von der Europäischen Union eingeworben.“ Damit können Schülerinnen und Schüler aus mehr als den bisherigen fünf Jahrgangsstufen zum Zuge kommen. Die Details waren bei Redaktionsschluss noch unklar.

Im vergangenen Sommer holten mehr als 10.000 Schülerinnen und Schüler der Klassen 1, 2, 7, 8 und 9 in kleinen Gruppen vor allem -Mathe, Deutsch und Englisch nach. Voraussetzung war, dass sie Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket bezogen oder nach Einschätzung ihrer Klassenlehrkräfte in einer dringenden Problemlage waren. Die Koordination hatte ein außerschulischer Träger; eingeplant – wenn auch nicht immer eingehalten – waren Gespräche zwischen der Sommerschullehrkraft und den Klassenleitern.

Positive Rückmeldungen

Bei einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus wurde später überwiegend Zustimmung laut. Die Schülerinnen und Schüler hätten „sehr positive Rückmeldungen gegeben“, erklärte Robert Giese, der Schulleiter der Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule. „Sinnvoll und begrüßenswert“, konstatierte auch Miriam Pech. Die Leiterin der Heinz-Brandt-Sekundarschule berichtete allerdings auch angesichts der „Unmittelbarkeit“ von „zum Teil chaotischen Verhältnissen“. In der Zeitschrift der GEW Berlin bbz beklagten Sommerschullehrkräfte massiv verzögerte Honorarzahlungen und zu wenige Kontakte zu den Schulen. Pech merkte an: „Wir hätten gut eigene Konzepte aus dem Boden stampfen können. Hier also mehr Eigenverantwortung in die Schulen, bitte!“

Wichtig dürfte werden, Schülerinnen und Schüler aus finanziell schwachen Familien gezielt anzusprechen. Laut einer Studie des Münchner Ifo-Zentrums für Bildungsökonomik macht die soziale Schere nicht einmal vor Ferienkursen Halt: In der bisherigen Pandemie nahmen Akademikerkinder mit 11 Prozent mehr als fünfmal so oft teil wie Mädchen und Jungen aus nichtakademischen Haushalten (2 Prozent). Auch Förderunterricht sowie kostenlose Nachhilfe bekommen sie häufiger. Ergeben hat das eine Befragung von mehr als 2.000 Eltern. Wie wenig es der Schule in der Pandemie gelingt, für sozialen Ausgleich zu sorgen, zeigt die Studie dabei auch: Akademikerkinder nehmen häufiger am Online-Unterricht teil, ebenso erhalten sie mehr individuelles Lehrkräftefeedback.