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Schulsozialarbeit

Aufgabe verwässert

Wer soll für die Schulsozialarbeit zuständig sein? Fachkräfte der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe – oder Landesangestellte, bei denen die jeweilige Schulleitung das Sagen hat? Das Land Niedersachsen setzt vor allem auf das zweite Modell.

Sozialarbeit ist mehr als Reparaturbetrieb: Sie muss Teil der Schule sein, aber Impulse von außen setzen. (Foto: mauritius images/Westend61/Christian Zappel)

Jubel im Kollegium: Der Direktor berichtet auf der Gesamtkonferenz, dass das Land endlich eine Schulsozialarbeiterstelle bewilligt hat. Kaum hat sich der Beifall gelegt, fragt eine Lehrkraft: „Dann können wir also die Kinder, die nicht richtig ticken, künftig dorthin schicken?“ So oder so ähnlich soll es sich in einer niedersächsischen Schule zugetragen haben. Wenn GEW-Landesvorstandsmitglied Olaf Korek davon erzählt, schwingt Verärgerung in seiner Stimme mit. Denn für den Erzieher und das Mitglied des Schulbezirkspersonalrats Hannover sind Sozialarbeiterinnen und -arbeiter nicht dafür da, „plötzlich alle Probleme aufzufangen“. Das sei Aufgabe der gesamten Schule und ihrer multiprofessionellen Teams, aber auch der Gesellschaft, findet Korek.

Daher hat er Zweifel, ob Niedersachsen richtig liegt mit seinem Modell, Schulsozialarbeit nicht mehr überwiegend als Aufgabe der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe anzusehen, sondern zunehmend Landesbeschäftigte einzusetzen, die direkt einzelnen Schulen zugewiesen werden. Denn dann, so Korek, „werden sie komplett Teil der Schule“: Sie unterstünden der Schulleitung und könnten womöglich für Zwecke jenseits der originären Sozialarbeit instrumentalisiert werden. „Es besteht die Gefahr, dass die Aufgaben von Schulsozialarbeit verwässert werden.“ Also als Pausenaufsicht oder Krankheitsvertretung? Ja, so etwas komme vor, bestätigt Meike Grams. Sie leitet gemeinsam mit Korek das Referat „Jugendhilfe und soziale Arbeit“ im GEW-Landesvorstand und arbeitet selbst als Sozialarbeiterin des Landes an einer Integrierten Gesamtschule.

„Die GEW Niedersachsen begrüßt, dass die Schulsozialarbeit jetzt als Landesaufgabe wahrgenommen wird. Das Land ist damit einer langjährigen Forderung der GEW nachgekommen.“ (Laura Pooth)

Auch Björn Köhler, Leiter des Bereichs „Jugendhilfe und Sozialarbeit“ beim GEW-Hauptvorstand, sagt: „Sozialarbeit wird von den Schulen häufig als Reparaturbetrieb gesehen. Aber sie ist nicht ihr Hilfszuarbeiter.“ Vielmehr solle die Schulsozialarbeit neue Impulse von außen liefern. Doch dazu brauche sie „eine gewisse Unabhängigkeit vom System Schule“. Deshalb plädiert Köhler dafür, dass die Schulsozialarbeit ein Teil der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe sein sollte. Ja, er möchte diese Aufgabe sogar ausdrücklich im Sozialgesetzbuch (SGB) VIII verankert sehen. Das hätte aus GEW-Sicht den Vorteil, dass nicht mehr jedes Bundesland die Schulsozialarbeit nach eigenem Gutdünken organisiere, sondern überall die Kommunen dafür zuständig wären – zumindest als Soll-Vorschrift.

Niedersachsen ist den anderen Weg gegangen. Seit 2017 regelt ein Erlass des Kultusministeriums, dass die „soziale Arbeit in schulischer Verantwortung“ eine Landesaufgabe ist. Bis dahin glich Niedersachsen einem Flickenteppich: Teils waren die Kommunen zuständig, teils gab es Förderprogramme des Landes, manchmal flossen Bundesmittel. Inzwischen setzt das Land rund 1.240 sozialpädagogische Fachkräfte an den Schulen ein. In Relation am häufigsten in Berufsschulen. 2019 gab Niedersachsen dafür rund 59 Millionen Euro aus, wie das Kultusministerium auf Anfrage von E&W mitteilte. „Die GEW Niedersachsen begrüßt, dass die Schulsozialarbeit jetzt als Landesaufgabe wahrgenommen wird. Das Land ist damit einer langjährigen Forderung der GEW nachgekommen“, sagt Laura Pooth, Vorsitzende der GEW Niedersachsen. Neben dem Land setzen aber auch einzelne Kommunen weiterhin Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter ein oder beauftragen freie Träger damit.

Das Land will seine Stellen zwar aufstocken – allein 2020/21 sollen 230 Vollzeiteinheiten hinzukommen –, aber es möchte die kommunalen Kräfte nicht völlig verdrängen. „Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile“, heißt es im Ministerium. „Unser Modell hat den Vorteil: Der Sozialarbeiter ist eindeutig Teil der Schule, und die Schulleitung hat eindeutig den Hut auf.“ Bei den kommunal Beschäftigten entscheide dagegen die Kinder- und Jugendhilfe, „ob zuerst Kind A oder Kind B an die Reihe kommt“.

Grams und Korek vom GEW-Landesvorstand finden es gar nicht schlecht, wenn es sowohl kommunale als auch Landes-Sozialarbeiterinnen und -arbeiter an den Schulen gibt. „Wir sehen bei beiden Konzepten Vorteile, die sich ergänzen.“ Aber im Zweifelsfall bevorzugen sie die Zuständigkeit der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII und sind somit anderer Meinung als der Landesverband.

„Es ist positiv, wenn nunmehr der Tarifvertrag der Länder für Lehrkräfte und die sozialpädagogischen Fachkräfte der Schulen gilt. Die Spaltung in Beschäftigte der Länder, der Kommunen und freier Träger hat wesentlich zu Verschlechterungen und Ungleichbehandlungen bei den Arbeitsbedingungen beigetragen.“ (Rüdiger Heitefaut)

Neben der Gefahr der Instrumentalisierung durch die Schulen sieht Korek auch zwei Alltagsprobleme bei den rein schulischen Landeskräften: Eigentlich unterliegen Sozialarbeiterinnen und -arbeiter der Schweigepflicht. „Aber die Schulleitung sagt womöglich: Ich muss alles wissen.“ Außerdem könne es zu Konflikten bei den Arbeitszeiten kommen: Wer völlig in die Schulstruktur eingebunden sei, habe es schwerer als ein Beschäftigter der externen Jugendhilfe, die Arbeitszeitregelungen einzuhalten.

Auch bei der Bezahlung standen die Landes-Sozialarbeiterinnen und -arbeiter bisher zum Teil schlechter da als die Jugendhilfe-Beschäftigten, die nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt werden. Die Tabelle für den Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) im TVöD wird 2020 jedoch auch im Länderbereich angewandt, damit wird die Bezahlung angeglichen. „Es ist positiv, wenn nunmehr der Tarifvertrag der Länder für Lehrkräfte und die sozialpädagogischen Fachkräfte der Schulen gilt“, betont Rüdiger Heitefaut, Geschäftsführer der GEW Niedersachsen. „Die Spaltung in Beschäftigte der Länder, der Kommunen und freier Träger hat wesentlich zu Verschlechterungen und Ungleichbehandlungen bei den Arbeitsbedingungen beigetragen“, so Heitefaut. „Das wird jetzt beendet!“

Köhler vom GEW-Hauptvorstand sieht allerdings die Gefahr, dass finanzschwache Kommunen die Sozialarbeit an freie Träger auslagern und dabei dem preiswertesten Anbieter den Zuschlag geben. Deshalb fordert er: Wenn Kommunen freie Träger beauftragen, müssten sie daran eine Bedingung knüpfen: Bezahlung mindestens nach dem TVöD.

Apropos Forderungen: Grams und Korek wünschen sich mehr Vollzeit- statt Teilzeitstellen, außerdem hauptamtliche Fachberaterinnen und -berater für Sozialarbeit bei den vier Regionalabteilungen der Landesschulbehörde, eigene Fachbereiche für Soziale Arbeit in den Schulen, mehr Supervision während der Arbeitszeit sowie mehr gemeinsame „Tandem-Fortbildungen“ für Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen und -arbeiter. Und dann ist da noch die bisher unerfüllte Langzeitforderung der GEW: pro 150 Schülerinnen und Schüler eine Stelle für Sozialarbeit. Grams: „Davon sind wir noch weit entfernt.“

Eine E&W-Umfrage zeigt, wie unterschiedlich die Bundesländer die Schulsozialarbeit geregelt haben. Folgende Landesregierungen haben sich an der Umfrage beteiligt:

  • Baden-Württemberg: Zuständig für die 2.404 Kräfte auf 1.617 Vollkraftstellen (2018) sind die Kommunen mit ihrer Kinder- und Jugendhilfe. Das Land erstattet maximal ein Drittel der Kosten; 2020 zahlt es 30 Millionen Euro.
  • Bayern: Für Einzelfall-Interventionen sorgt die kommunale Jugendhilfe. 2018 startete das Land zusätzlich das Präventions-Programm „Schule öffnet sich“. Bis 2020 entstehen hier 200 neue Stellen für alle Schularten.
  • Berlin: Das Landesprogramm „Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen“ basiert auf dem Landesschulgesetz und dem Sozialgesetzbuch (SGB) VIII. Das Land fördert mit 20 Millionen Euro 334 Stellen bei freien Trägern an 299 Schulen. Hinzu kommen 77 Stellen beim „Bonus-Programm“ für Schulen in schwieriger Lage. 300 neue Stellen sind geplant.
  • Brandenburg: Schulsozialarbeit ist ein Angebot der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII, wird aber auch im Landesschulgesetz erwähnt. 390 kommunale Stellen werden derzeit mit 3,7 Millionen Euro vom Land mitfinanziert. Insgesamt gibt es Sozialarbeit an 473 von 911 Schulen aller Schulformen mit Schwerpunkt auf beruflichen und Oberschulen.
  • Hessen: Träger sind die Kommunen. Die Angaben über die Stellenzahl liegen nicht vor. 2018 hat das Land zusätzlich 700 Stellen für sozialpädagogische Fachkräfte geschaffen – aber nicht nur für Sozialarbeit, sondern auch für Leseförderung oder Hausaufgabenhilfe.
  • Mecklenburg-Vorpommern: Die 368 kommunalen Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter werden vom Land und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) mitfinanziert. Das Land zahlt jährlich bis zu 1,8 Millionen, der ESF bis 2022 insgesamt 36 Millionen Euro.
  • Nordrhein-Westfalen: Das Land beschäftigt fast 5.300 sozialpädagogische Fachkräfte an Schulen, die aber nicht alle „genuin als Fachkräfte für Schulsozialarbeit tätig sind“. Weitere Stellen gibt es bei den Kommunen oder bei freien Trägern, teils vom Land mitfinanziert. Die Landesmittel und die kommunalen Eigenanteile beim Landesprogramm „Soziale Arbeit an Schulen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes“ betragen 267 Millionen Euro.
  • Rheinland-Pfalz: Die Kommunen finanzieren 415 Stellen (Stand 2017) bei eigenen oder freien Trägern. Das Land bezuschusst davon 270 Stellen mit zehn Millionen Euro. Auch ein Landesfonds für Inklusion kann für Sozialarbeit genutzt werden.
  • Saarland: Bisher ist die Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII zuständig; künftig soll die Schulsozialarbeit als gemeinsame Aufgabe von Jugendhilfe und Schule auch im Landesrecht verankert werden. 2018 gab es 160 Vollzeitäquivalente für 253 Schulen. Die 10,7 Millionen Euro Kosten werden von den Kommunen, vom Land und durch ESF-Zuschüsse finanziert. 2020 will das Land weitere zwei Millionen Euro bereitstellen.
  • Sachsen: Die Kommunen erhalten vom Freistaat einen Gesamtbetrag, den sie für freie Jugendhilfeträger an den Schulen ausgeben können. Rechtsgrundlage ist das SGB VIII, aber auch das Landesschulgesetz, nach dem an allen Schularten „in angemessenem Umfang Ressourcen der Schulsozialarbeit im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe“ zur Verfügung stehen sollen. 2019 finanzierte das Land mit 29,4 Millionen Euro 626 Stellen an 623 Schulen; an Oberschulen zu hundert Prozent. Daneben gibt es rein kommunal finanzierte Stellen.
  • Sachsen-Anhalt: Das Programm „Schul-erfolg sichern” des Landes und des ESF fördert 380 Stellen von freien und kommunalen Jugendhilfeträgern an 350 Schulen mit 33 Millionen Euro. Zusätzlich finanzieren die Kommunen eigene Stellen.