Studie zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der GEW
Aufarbeitungsprozess soll fortgesetzt werden
Wissenschaftler*innen haben den Umgang der GEW mit dem Thema sexualisierte Gewalt von 1950 bis heute aufgearbeitet. Dabei geht es auch um professionelle Versäumnisse sowie strukturelles Versagen in Bildungseinrichtungen.
Die GEW hat sich mit einer Aufarbeitungsstudie selbstkritisch dem Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt in der Bildungsgewerkschaft von 1950 bis heute gestellt - und angekündigt, Konsequenzen aus den teils nicht rühmlichen Ergebnissen zu ziehen. „Das zunehmende Wissen über die Prävalenz, die Ermöglichungsbedingungen und Folgen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Bildungseinrichtungen ist bedrückend und beschämend, es macht sprachlos“, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern am Dienstagabend bei der Vorstellung der Ergebnisse von mehr als zwei Jahren Forschungsarbeit in einem Pressegespräch in Berlin.
„Inzwischen gibt es auf Basis wissenschaftlicher Studien Schätzungen, dass in Deutschland etwa jede siebte bis achte erwachsene Person in Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt erlebt hat.“ (Maike Finnern)
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Einrichtungen sei vielfach tabuisiert worden und habe im Wesentlichen erst seit 2010 verstärkt öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. „Inzwischen gibt es auf Basis wissenschaftlicher Studien Schätzungen, dass in Deutschland etwa jede siebte bis achte erwachsene Person in Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt erlebt hat – meist im familiären Umfeld, aber eben auch in Institutionen wie Kitas, Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen, die Schutzräume sein sollten“, betonte Finnern.
- Schweigen beenden
- Taten aufdecken
- Folgen für Betroffene benennen
- Strukturen erkennen, die sexuellen Missbrauch begünstigt und Aufdeckung ver-/behindert haben
- Unrecht benennen und anerkennen sowie Formate des Erinnerns entwickeln
- Konsequenzen für die Gegenwart ziehen und den Schutz der Kinder und Jugendlichen stärken
Versäumnisse und strukturelle Missstände
Die GEW habe sich bewusst auf den Weg gemacht, sich an gesamtgesellschaftlich relevanten Aufarbeitungsprozessen zu beteiligen und Verantwortung zu übernehmen, sagte die Vorsitzende. In ihrer 374 Seiten umfassenden Forschungsarbeit hatten die Wissenschaftler*innen von Dissens – Institut für Bildung und Forschung - und IPP – Institut für Praxisforschung und Projektberatung - Versäumnisse und strukturelle Missstände innerhalb der Gewerkschaft aufgezeigt.
Finnern nannte exemplarisch Diskurse in Westdeutschland, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mitunter verharmlost oder gar legitimiert und die auch in GEW-Kontexten und Publikationen eine Rolle gespielt hätten. Außerdem thematisiert die Studie mögliche Netzwerkverbindungen von Mitgliedern der GEW zu Organisationen sowie Akteur*innen, die sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern beziehungsweise Jugendlichen befürworteten oder verharmlosten.
Die Autor*innen verweisen darüber hinaus auf über Jahrzehnte fragwürdige Praktiken und Positionen im gewerkschaftlichen Rechtsschutz: „Hier geht es im Wesentlichen um die Entlastung beschuldigter GEW-Mitglieder zu Lasten von sexualisierter Gewalt betroffener Kinder und Jugendlicher oder auch Kolleg*innen“, erklärte Finnern.
Aufarbeitung geht weiter
Mit der Studie sei der Aufarbeitungsprozess in der GEW aber längst nicht abgeschlossen, unterstrich die Vorsitzende. Diskurse und Verstrickungen, die sexualisierte Gewalt in der Vergangenheit ermöglicht oder verharmlost hätten und zum Teil bis heute nachwirkten, müssten in der Gesamtorganisation reflektiert werden und Konsequenzen für die Gegenwart haben. In den kommenden Monaten solle auf verschiedenen Ebenen intensiv über mögliche und notwendige weitere Schritte beraten werden.
Dabei gehe es beispielsweise um eine verstärkte Professionsentwicklung zur Prävention und Intervention, mögliche Konsequenzen für den Rechtsschutz und einen Ausbau der politischen Lobby- und Bündnisarbeit. Konkret nannte Finnern unter anderem eine fortlaufende Aufklärung und Sensibilisierung der Mitglieder und der Fachöffentlichkeit, Anpassungen der Richtlinien und Abläufe bei der Prüfung von Rechtsschutzanträgen sowie Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der* dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM).
„Dieser Bericht sollte (…) ein Anstoß für weitere (wissenschaftliche) Aufarbeitungsbestrebungen sein und unter keinen Umständen einen Schlusspunkt der Aufarbeitung markieren.“
Die Autor*innen der Studie geben basierend auf ihren Analysen und Auswertungen knapp 30 Empfehlungen für die Ebene der Betroffenen, den Arbeitsschutz, Zeitschriften und Organe, den Rechtsschutz sowie die Gesellschaftspolitik. Dazu zählen der Ausbau wirksamer Schutzkonzepte, eine geschlechtersensible Prävention, die Förderung der Partizipation Betroffener sowie eine transparente und kontinuierliche Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Zudem bilanzieren sie: „Dieser Bericht sollte (…) ein Anstoß für weitere (wissenschaftliche) Aufarbeitungsbestrebungen sein und unter keinen Umständen einen Schlusspunkt der Aufarbeitung markieren.“
Hintergrund
Die Studie geht zurück auf einen Beschluss des Geschäftsführenden Vorstands der GEW aus dem September 2021. 2022 verpflichtete sich die GEW-Vorsitzende bei einem öffentlichen Hearing der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (UKASKM) zum Thema „Sexueller Kindesmissbrauch und Schule“ zu einer Aufarbeitung in der eigenen Organisation. Dissens und IPP wurden als Forschungskonsortium ausgewählt.
Für den Bericht wurden zwei Hauptfragestellungen identifiziert:
- Inwieweit wurden in Teilen der GEW ‚pädosexuelle‘ Diskursstrategien geduldet oder reproduziert?
- Bekamen Betroffene, denen sexualisierte Gewalt in Einflussfeldern der GEW widerfuhr, durch diese Unterstützung und wenn ja, in welcher Form? Oder wurde Unterstützung eher den Täter*innen zuteil, zum Beispiel durch gewerkschaftlichen Rechtsschutz?
Die Analyse bezieht sich auf den westdeutschen Diskurs. Die Auswahl der Landesverbände Berlin und Hamburg für vertiefte Untersuchungen erfolgte aufgrund der Positionierungen und der Materialfülle, die dort vermutet und vorgefunden wurden. Die empirische Basis der Studie ist eine Vielzahl an Dokumenten und Aktenbeständen sowie Interviews mit Schlüsselpersonen innerhalb der GEW, Expert*innen, Zeitzeug*innen und Betroffenen.
Machst Du Dir Sorgen um ein Kind oder suchst Du für Dich selbst Hilfe und Unterstützung? - Auf dem Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch findest Du vertrauliche und professionelle Hilfe per Telefon, Online-Beratung oder im persönlichen Gespräch.
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Abschlussbericht "Wissenschaftliche Aufarbeitung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der GEW von 1950 bis heute"
02.07.2025 - (pdf - 2.04 MB) -
Statement Maike Finnern zur Veröffentlichung der Studie „Wissenschaftliche Aufarbeitung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der GEW von 1950 bis heute“
02.07.2025 - (pdf - 224.08 KB) -
Zentrale Ergebnisse der Studie "Wissenschaftliche Aufarbeitung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der GEW von 1950 bis heute"
02.07.2025 - (pdf - 1.06 MB)