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Ohne Schulabschluss

Auf dem Abstellgleis

Zigtausende junge Menschen verlassen die Schule Jahr für Jahr ohne Abschluss. Viele finden später nicht den Weg in eine qualifizierte Berufsausbildung. Doch die Bundesländer zeigen kaum Engagement, das zu ändern.

Foto: GEW

Rund 47.500 junge Menschen haben 2021 zum Ende ihrer neun- oder zehnjährigen Pflichtschulzeit die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen. Das entspricht bundesweit einem Anteil von 6,2 Prozent an der Gruppe der Gleichaltrigen. Diese Quote stagniert jetzt seit 2011 Jahr für Jahr bei etwa 6 Prozent – wie eine Studie des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm für die Bertelsmann Stiftung aufzeigt. 2008 – das Jahr, in dem Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den widerstrebenden Ländern einen nationalen Bildungsgipfel in Dresden aufgedrängt hatte – blieben rund 60.000 junge Menschen ohne Abschluss. „Hoch und heilig“ gelobten damals die Länder-Regierungschefs der Union und der SPD sowie die Kanzlerin, diese Zahl binnen weniger Jahre zu halbieren. Doch Reformeifer haben viele Bundesländer in den vergangenen 15 Jahren dabei wirklich nicht an den Tag gelegt. Ein direkter Quotenvergleich ist wegen eines geänderten Berechnungsverfahrens allerdings nicht möglich.

Angesichts immer komplexerer Anforderungen in der Arbeitswelt prägt ein fehlender Hauptschulabschluss für einen großen Teil der jungen Erwachsenen den weiteren Ausbildungs- oder Berufsweg. Nur ein kleiner Teil schafft es, den fehlenden Hauptschulabschluss in einer der zahlreichen Maßnahmen des Übergangssystems oder im berufsbildenden Schulwesen erfolgreich nachzuholen. Wer es dennoch schafft, ohne Schulabschluss einen Ausbildungsplatz im dualen Berufsausbildungssystem zu bekommen, ist nach Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung bei Abschluss des Erstvertrages heute im Schnitt 20 Jahre alt. Wer keine Berufsausbildung hat, trägt später das hohe Risiko, arbeitslos zu sein. Klemm schreibt: „Diese jungen Menschen bilden einen wesentlichen Teil des ‚Nachwuchses‘ der knapp 2,7 Millionen Zwanzig- bis Vierunddreißigjährigen, die keinen Ausbildungsabschluss vorweisen können.“

Einige Bundesländer konnten die Quote der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Abschluss seit 2011 reduzieren.

Der Blick auf die Gruppe der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Abschluss zeigt, dass Jungen mit mehr als 60 Prozent überrepräsentiert sind. Von 100 Jugendlichen ausländischer Nationalität bleiben 13,4 Prozent ohne Hauptschulabschluss, von 100 Jugendlichen mit deutschem Pass sind es „nur“ 4,6 Prozent. Die Schulstatistiken der Länder erfassen leider keine weiteren Angaben zum Migrationshintergrund. Ein differenziertes Bild ist deshalb nicht möglich.

Zwischen den Bundesländern gibt es deutliche Unterschiede: Verließen 2021 in Bayern 5,1 Prozent aller Abgängerinnen und Abgänger die Schule ohne Abschluss, waren es in Bremen mit 10 Prozent fast doppelt so viele. Auch im Zeitverlauf ergeben sich Schwankungen: Während die Quote in Bremen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland seit 2011 leicht gestiegen ist, konnten einige andere Bundesländer sie in den vergangenen zehn Jahren reduzieren, so Berlin von 9,7 auf 6,7 Prozent, Brandenburg von 8,6 auf 6,5 Prozent, Sachsen-Anhalt von 12,1 auf 9,6 Prozent – und besonders deutlich Mecklenburg-Vorpommern von 13,3 auf 8,1 Prozent.

Ost-West-Unterschiede

Erstmals wurden für die Analyse auch die Daten des Bildungstrends des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) über die Leistungen der Neuntklässler in den Fächern Mathematik und Deutsch herangezogen. Während in den östlichen Ländern die Quoten für das Verfehlen der Mindeststandards meist deutlich niedriger lagen als die Quoten für das Nichterreichen des Hauptschulabschlusses, zeigt sich im Westen zum Teil das umgekehrte Bild. So verfehlten in Sachsen nur 4 Prozent der Neuntklässler die Mindeststandards in der wichtigen Disziplin Lesen/Textverständnis, jedoch erreichten dort 7,9 Prozent keinen Hauptschulabschluss. In Baden-Württemberg verfehlten dagegen 10 Prozent die Mindeststandards, aber „nur“ 5 Prozent bekamen keinen Hauptschulabschluss. Klemm: „Es stellt sich die Frage, wie Fähigkeiten von Jugendlichen ohne Schulabschluss dokumentiert werden können, damit sie bessere Chancen haben, auch ohne Abschluss in die Berufswelt einmünden zu können.“

„Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in inklusiven Lernsettings sind im Vergleich seltener dem Risiko ausgesetzt, ihre Schulzeit ohne Schulabschluss zu beenden als Gleichaltrige an Förderschulen.“ (Klaus Klemm)

Von den Jugendlichen, die den Hauptschulabschluss nicht schafften, waren 49,2 Prozent zuvor auf einer Förderschule, 19,5 Prozent verließen die Gesamtschule ohne diesen Abschluss, 13,4 Prozent kamen von Hauptschulen, 12 Prozent von Schulen mit mehreren Bildungsgängen. Aber auch hier zeigen sich im Detail interessante länderspezifische Unterschiede. Dort, wo der Ausbau der Inklusion bereits deutlich fortgeschritten ist, gelingt es den allgemeinbildenden Schulen offenbar weitaus häufiger, Jugendliche mit diagnostiziertem sonderpädagogischen Förderbedarf zum Hauptschulabschluss zu führen. Klemm folgert daraus: „Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in inklusiven Lernsettings sind im Vergleich seltener dem Risiko ausgesetzt, ihre Schulzeit ohne Schulabschluss zu beenden als Gleichaltrige an Förderschulen.“

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bezeichnete es in einer ersten Reaktion auf die Studien-ergebnisse als „dramatisch, dass noch immer Zehntausende junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen und sich daran in den letzten zehn Jahren kaum etwas geändert hat“. Die Ministerin: „Das können wir nicht länger hinnehmen.“ Gleichwohl kommen ihre Verhandlungen mit den Ländern über das von der Ampelkoalition angestrebte Startchancenprogramm für Schulen in Problemlagen nach wie vor nur schleppend voran. Die finanzielle Beteiligung der Länder, die ja eigentlich dafür zuständig sind, ist immer noch weit-gehend ungeklärt.

„Die Ampelparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf viele richtige und sinnvolle Maßnahmen verständigt.“ (Ralf Becker)

Die GEW mahnte Bund und Länder, endlich zu handeln. „Die Ampelparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf viele richtige und sinnvolle Maßnahmen verständigt“, sagte Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied Berufliche Bildung und Weiterbildung. Dazu gehörten neben dem Startchancenprogramm die Förderung der Jugendberufsagenturen, die assistierte Ausbildung und der Pakt für berufsbildende Schulen. Diese Projekte müssten jetzt ernsthaft und schnell angegangen werden. Ansonsten würden insbesondere benachteiligte Kinder und Jugendliche noch weiter abgehängt.