Arbeitskampf der Lehrkräfte gilt als richtungsweisend
Zentrum der Proteste ist die bevölkerungsreiche Provinz Buenos Aires, wo mit 16 Millionen Einwohnern mehr als ein Drittel aller Argentinier leben. Seit dem 6. März bereits sind die Lehrerinnen und Lehrer dort im Streik. Rund 3.5 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule. Auch in den anderen Provinzen Argentiniens blieben die Schulen am 15. und 16. März geschlossen, weil hunderttausende Lehrkräfte dem Aufruf der Gewerkschaften zum Ausstand gefolgt waren. Allein in La Plata, der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires, waren 60.000 Menschen auf der Straße, um vor dem Regierungsgebäude ihre Forderungen zu unterstreichen. Nach Gewerkschaftsangaben beteiligten sich rund 95 Prozent der argentinischen Lehrkräfte an öffentlichen Schulen und 75 Prozent an Privatschulen an den Streiks. Der Tarifkampf der Lehrkräfte gilt als richtungsweisend für die Gehaltsverhandlungen weiterer Beschäftigtengruppen vor allem im öffentlichen Dienst, die sich auch zahlreich an den Protestaktionen der Lehrer beteiligen. "Wir erleben eine massive Streikbewegung im ganzen Land. Darauf muss die Regierung reagieren ", forderte der Generalsekretär der Lehrergewerkschaft SUTEBA in der Provinz Buenos Aires, Roberto Baradel, der sich Bedrohungen gegen seine Person ausgesetzt sieht. "Die Regierungspolitik ist zerstörerisch. Sie richtet sich gegen die Lebensgrundlagen der Lehrerinnen und Lehrer und ihrer Familien. Wir kämpfen weiter. Wir haben keine Angst und sind nicht käuflich. Sie werden uns nicht unterkriegen."
Sparkurs auf Kosten der Lehrkräfte
Im Jahr 2016 betrug die Inflationsrate in Argentinien vierzig Prozent, die Gehaltserhöhung der Lehrkräfte jedoch nur 29 Prozent. In der aktuellen Tarifauseinandersetzung will die konservative Regierung unter Mauricio Macri ihren Sparkurs auf Kosten der öffentlich Beschäftigten fortsetzen. Ihr Ziel ist, die Erhöhung der Gehälter von Lehrkräften und anderen öffentlich Bediensteten auf unter zwanzig Prozent zu begrenzen. Zudem verweigert sie den Lehrergewerkschaften nationale Verhandlungen. Die Tarifverhandlungen sollen zukünftig wieder in den Provinzen stattfinden. Dagegen laufen die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften Sturm. Die Gewerkschaften rechnen auch 2017 mit einer Inflationsrate von über dreißig Prozent und weisen die Regierungsvorgabe daher empört zurück. Sie fordern 35 Prozent mehr Geld als Inflationsausgleich für 2016 und 2017 sowie eine Rückkehr zu landesweiten Tarifverhandlungen.
Gewerkschaften fordern nationale Verhandlungen
"Wir wollen, dass das Gesetz angewendet wird", erklärte Sonia Alesso, Generalsekretärin des Dachverbands argentinischer Lehrergewerkschaften für öffentliche Schulen, Confederacion de Trabajadores de la Educacion (CTERA). "Das Gesetz zur Bildungsfinanzierung besagt, dass die Regierung die Lehrergewerkschaften einladen muss, um mit uns über Gehälter und Renten zu sprechen." Mario Almirón, Generalsekretär der Gewerkschaft Sindicato Argentino de Docentes Privados Seccional Rosario (SADOP), die in Argentinien Lehrkräfte an Privatschulen vertritt, ergänzet: "Der Neoliberalismus will die Gehälter der Lehrer in den 24 Provinzen aufspalten, wie schon in den neunziger Jahren." In einem Schreiben an die CTERA-Generalsekretärin Sonia Alesso hat die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe ihre Solidarität mit den Forderungen der argentinischen Lehrerinnen und Lehrern zum Ausdruck gebracht: "Wir stehen fest an eurer Seite im Kampf um bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen im Bildungswesen und für eine bessere Zukunft der Kinder, Jugendlichen und Lehrkräfte in Argentinien. Wir wünschen eurem Streik viel Erfolg und konkrete Ergebnisse."
Auch Universitäten werden bestreikt
Die Streiks und Proteste der Lehrkräfte spiegeln die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Politik der Regierung Macri wieder, die seit Dezember 2015 im Amt ist und auf Liberalisierung und Weltmarktintegration setzt. Bisher jedoch konnte sie ihre Versprechen nicht einlösen. Macri hat Subventionen für Strom und Gas gekürzt, den Wechselkurs des Peso freigegeben, Zölle auf Agrarexporte gesenkt und zehntausende Staatsangestelle entlassen. Doch neue Investitionen und Arbeitsplätze bleiben aus. Das Land verharrt in tiefer Rezession mit weiterhin hoher Arbeitslosigkeit und Inflationsrate. Jeder dritte Argentinier lebt in Armut. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben CTERA, SUTEBA und andere Gewerkschaften Lehrer an Grund- und Sekundarschulen für den 21. und 22. März zu weiteren Streiks und Demonstrationen aufgerufen. Unterstützt werden die Lehrkräfte diesmal von Professorinnen und Professoren sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der fünfzig nationalen Universitäten Argentiniens. Deren Gewerkschaften CONADU und CONADU histórica, die sich während der Zeit der Vorgängerregierung von Cristina Fernández de Kirchner politisch gespalten hatten, wollen die Forderung nach 35 Prozent Gehaltserhöhung übernehmen und haben die 200.000 Akademikerinnen und Akademikern an argentinischen Hochschulen zur Teilnahme an den Streiks aufgerufen.