Der Weg ins Ausland führt ja anfänglich noch durch Deutschland und durch Deutschland bewegen sich Lehrer meistens – erraten! – auf dem Dienstweg. Zwischen dem Einreichen des Antrags und der erlösenden Nachricht aus Köln, dass ich endlich frei gestellt war, lagen entsprechend viele Monate. Dann allerdings nahm die Geschichte zügig Fahrt auf: Kaum war mein Profil endlich im System der ZfA, meldete sich der Schulleiter der Deutschen Schule in Guatemala, er suchte einen Biologen. Am nächsten Tag war klar, dass ich am 15. Juli in Guatemala sein würde.
Hauptsache wärmer als Deutschland
Es war Mitte März, wenig Zeit also, mein deutsches Leben zusammen zu packen. Selbst wohlgesonnene Familienmitglieder schlugen die Hände über dem Kopf zusammen („Hast du wenigstens mal die Reisewarnung vom Auswärtigen Amt gelesen?“) und auch die schon studierenden Kinder waren zunächst nur sehr mäßig begeistert von Muttis persönlichen Entwicklungsplänen. Von Guatemala hatte ich keine Ahnung, Spanisch konnte ich auch nicht. Es gab lediglich eine vage Erinnerung an Nachrichten über einen sehr grausamen Bürgerkrieg und an den niedlichen Indio-Weihnachtsschmuck aus dem Dritte-Welt-Laden, damals in den 80ern, gleich neben dem Nicaragua-Kaffee. Danach war ganz Mittelamerika irgendwie von meinem Radar verschwunden - höchste Zeit also, das zu ändern. Meine wichtigsten Bedingungen waren sowieso erfüllt: Hauptsache wärmer als Deutschland und ein Meer gab es da ja auch irgendwo. Auf diese etwas blauäugige Weise begannen also die vier bislang interessantesten und besten Schuljahre meines Lebens als ADLK und Fachleiterin DFU an der Deutschen Schule Guatemala.
Anarchistisches Verkehrssystem
Bestens betreut von wirklich sehr hilfsbereiten und offenen Kollegen lernte ich erst mal die Grundlagen: Die wichtigsten Kontakte in der Schule, Unterkunft und erste Orientierung. Die Wege in die Schule, zum Supermarkt, zu den Kollegen und raus aus der Stadt. ÖPNV und das Gehen zu Fuß bewegen sich zwischen abenteuerlich und lebensgefährlich. Die Stadt erschließt sich durch ein (jedenfalls in deutschen Augen) anarchistisches Verkehrssystem, in dem ich einige Nachmittage damit verbracht habe, wieder nach Hause zu finden. Im Dauerstau einer lateinamerikanischen Großstadt rächen sich auch kleine Fehlentscheidungen: Das Grundprinzip sind Einbahnstraßen ohne Wendemöglichkeiten, die gerne mal die Richtung wechseln, die Kunst ist zu wissen, zu welchen Zeiten. Ich lernte, in welche Stadtteile man sich auf keinen Fall verirren sollte, wie man auch ohne Spanisch ein Konto eröffnet und einen Internet-Anschluss kriegt und dass das normal ist, wenn immer mal wieder das Bett und die Wände wackeln. Man lebt zwischen Karibischer Platte und Cocos-Platte und da gibt es ordentlich Bewegung im Untergrund. Vor allem aber lernte ich von den Guatemalteken, wie man sehr hilfsbereit, freundlich-bestimmt, geduldig und gelassen mit Fremden umgeht, die weder der Landessprache mächtig sind, noch die Regeln kennen.
Nur wenige Schüler sprechen zu Hause Deutsch
Die deutsche Schule Guatemala ist eine Begegnungsschule, die Schüler machen deutsches Abitur und den nationalen Abschluss. Sie wird von etwa 1.000 Kindern im Kindergarten, der Grundschule und der Mittel- und Oberstufe besucht. Nur ein sehr geringer Teil der Schüler spricht von Haus aus Deutsch, die meisten lernen es als Fremdsprache seit dem Kindergarten. Spätestens in der Oberstufe sind die Schüler fließend dreisprachig. Entsprechend intensiv ist die Förderung der Deutschkompetenzen, nicht nur im Deutschunterricht, sondern vor allem auch im deutschsprachigen Fachunterricht. Bis auf die Sprachen, Musik und Erdkunde/SoWi werden alle Fächer auf Deutsch unterrichtet. Für viele Lehrer aus Deutschland erst mal eine Herausforderung, plötzlich Kinder in Mathe oder Biologie zu unterrichten, die noch sehr wenig Deutsch können.
Interkulturelles Training „on the job“
Es gibt einen deutschen und einen guatemaltekischen Schulleiter und es gilt grundsätzlich guatemaltekisches Recht neben dem deutschen Recht. Solche Gemengelagen gibt es in vielen Deutschen Auslandsschulen, aber sie bergen natürlich Konfliktpotenzial, wenn die Rechtsauffassungen sehr weit auseinander liegen. Nicht selten braucht es Standfestigkeit und sehr viel Fingerspitzengefühl der jeweiligen Schulleiter, um zum Beispiel Leistungs- und Bewertungskriterien oder eine demokratische Schulverfassung des deutschen Schulsystems auch im Ausland sicher zu stellen. In diesem Sinne habe ich meinen Auslandsaufenthalt als großartiges interkulturelles Training „on the job“ erfahren. Kein Schultag, an dem ich nicht wieder was dazu gelernt hätte!
Strenge Sicherheitsmaßnahmen
Die Gebäude der Schule verteilen sich über ein sehr schönes Gelände mit großen Freiflächen, Sportplatz und Schwimmbad. Aus den Klassenräumen geht der Blick ins Grüne, zur tropischen Vegetation in den Innenhöfen und manchmal sogar bis zu den Vulkanen im Stadtumland. Nach außen ist die Anlage – landestypisch - sehr stark gesichert. Stacheldraht, Überwachungskameras und bewaffnete Sicherheitsleute sind erst mal gewöhnungsbedürftig. Schulbusse holen die Kinder zu Hause ab und bringen sie direkt in die Schule. Die Schulwege sind teilweise enorm lang, viele Kinder fahren morgens um sechs Uhr schon los, um zwischen vier und fünf Uhr endlich wieder zu Hause zu sein.