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Als ADLK vier Jahre an der Deutschen Schule Guatemala

Trotz allgegenwärtiger Sicherheitsvorkehrungen und häufiger Erdbeben hat Maike Süberkrüb in Guatemala als Auslandsdienstlehrkraft und Fachleiterin DFU die bisher besten Schuljahre ihres Lebens verbracht – Ein Rückkehrerbericht.

Der Weg ins Ausland führt ja anfänglich noch durch Deutschland und durch Deutschland bewegen sich Lehrer meistens – erraten! – auf dem Dienstweg. Zwischen dem Einreichen des Antrags und der erlösenden Nachricht aus Köln, dass ich endlich frei gestellt war, lagen entsprechend viele Monate. Dann allerdings nahm die Geschichte zügig Fahrt auf: Kaum war mein Profil endlich im System der ZfA, meldete sich der Schulleiter der Deutschen Schule in Guatemala, er suchte einen Biologen. Am nächsten Tag war klar, dass ich am 15. Juli in Guatemala sein würde.

Hauptsache wärmer als Deutschland
Es war Mitte März, wenig Zeit also, mein deutsches Leben zusammen zu packen. Selbst wohlgesonnene Familienmitglieder schlugen die Hände über dem Kopf zusammen („Hast du wenigstens mal die Reisewarnung vom Auswärtigen Amt gelesen?“) und auch die schon studierenden Kinder waren zunächst nur sehr mäßig begeistert von Muttis persönlichen Entwicklungsplänen. Von Guatemala hatte ich keine Ahnung, Spanisch konnte ich auch nicht. Es gab lediglich eine vage Erinnerung an Nachrichten über einen sehr grausamen Bürgerkrieg und an den niedlichen Indio-Weihnachtsschmuck aus dem Dritte-Welt-Laden, damals in den 80ern, gleich neben dem Nicaragua-Kaffee. Danach war ganz Mittelamerika irgendwie von meinem Radar verschwunden - höchste Zeit also, das zu ändern. Meine wichtigsten Bedingungen waren sowieso erfüllt: Hauptsache wärmer als Deutschland und ein Meer gab es da ja auch irgendwo. Auf diese etwas blauäugige Weise begannen also die vier bislang interessantesten und besten Schuljahre meines Lebens als ADLK und Fachleiterin DFU an der Deutschen Schule Guatemala.  

Anarchistisches Verkehrssystem
Bestens betreut von wirklich sehr hilfsbereiten und offenen Kollegen lernte ich erst mal die Grundlagen: Die wichtigsten Kontakte in der Schule, Unterkunft und erste Orientierung. Die Wege in die Schule, zum Supermarkt, zu den Kollegen und raus aus der Stadt. ÖPNV und das Gehen zu Fuß bewegen sich zwischen abenteuerlich und lebensgefährlich. Die Stadt erschließt sich durch ein (jedenfalls in deutschen Augen) anarchistisches Verkehrssystem, in dem ich einige Nachmittage damit verbracht habe, wieder nach Hause zu finden. Im Dauerstau einer lateinamerikanischen Großstadt rächen sich auch kleine Fehlentscheidungen: Das Grundprinzip sind Einbahnstraßen ohne Wendemöglichkeiten, die gerne mal die Richtung wechseln, die Kunst ist zu wissen, zu welchen Zeiten. Ich lernte, in welche Stadtteile man sich auf keinen Fall verirren sollte, wie man auch ohne Spanisch ein Konto eröffnet und einen Internet-Anschluss kriegt und dass das normal ist, wenn immer mal wieder das Bett und die Wände wackeln. Man lebt zwischen Karibischer Platte und Cocos-Platte und da gibt es ordentlich Bewegung im Untergrund. Vor allem aber lernte ich von den Guatemalteken, wie man sehr hilfsbereit, freundlich-bestimmt, geduldig und gelassen mit Fremden umgeht, die weder der Landessprache mächtig sind, noch die Regeln kennen.

Nur wenige Schüler sprechen zu Hause Deutsch
Die deutsche Schule Guatemala ist eine Begegnungsschule, die Schüler machen deutsches Abitur und den nationalen Abschluss. Sie wird von etwa 1.000 Kindern im Kindergarten, der Grundschule und der Mittel- und Oberstufe besucht. Nur ein sehr geringer Teil der Schüler spricht von Haus aus Deutsch, die meisten lernen es als Fremdsprache seit dem Kindergarten. Spätestens in der Oberstufe sind die Schüler fließend dreisprachig. Entsprechend intensiv ist die Förderung der Deutschkompetenzen, nicht nur im Deutschunterricht, sondern vor allem auch im deutschsprachigen Fachunterricht. Bis auf die Sprachen, Musik und Erdkunde/SoWi werden alle Fächer auf Deutsch unterrichtet. Für viele Lehrer aus Deutschland erst mal eine Herausforderung, plötzlich Kinder in Mathe oder Biologie zu unterrichten, die noch sehr wenig Deutsch können.

Interkulturelles Training „on the job“
Es gibt einen deutschen und einen guatemaltekischen Schulleiter und es gilt grundsätzlich guatemaltekisches Recht neben dem deutschen Recht. Solche Gemengelagen gibt es in vielen Deutschen Auslandsschulen, aber sie bergen natürlich Konfliktpotenzial, wenn die Rechtsauffassungen sehr weit auseinander liegen. Nicht selten braucht es Standfestigkeit und sehr viel Fingerspitzengefühl der jeweiligen Schulleiter, um zum Beispiel Leistungs- und Bewertungskriterien oder eine demokratische Schulverfassung des deutschen Schulsystems auch im Ausland sicher zu stellen. In diesem Sinne habe ich meinen Auslandsaufenthalt als großartiges interkulturelles Training „on the job“ erfahren. Kein Schultag, an dem ich nicht wieder was dazu gelernt hätte!

Strenge Sicherheitsmaßnahmen
Die Gebäude der Schule verteilen sich über ein sehr schönes Gelände mit großen Freiflächen, Sportplatz und Schwimmbad. Aus den Klassenräumen geht der Blick ins Grüne, zur tropischen Vegetation in den Innenhöfen und manchmal sogar bis zu den Vulkanen im Stadtumland. Nach außen ist die Anlage – landestypisch - sehr stark gesichert. Stacheldraht, Überwachungskameras und bewaffnete Sicherheitsleute sind erst mal gewöhnungsbedürftig. Schulbusse holen die Kinder zu Hause ab und bringen sie direkt in die Schule. Die Schulwege sind teilweise enorm lang, viele Kinder fahren morgens um sechs Uhr schon los, um zwischen vier und fünf Uhr endlich wieder zu Hause zu sein.

Koloniale Kultur und traumhaft schöne Landschaften
Nach den ersten Wochen und dem üblichen Anfangsstress kam ich nach und nach an den Wochenenden auch endlich raus aus der Stadt. Eine Stunde fährt man bis Antigua, UNESCO-Weltkulturerbe und beim Erdbeben im Jahr 1773 eingestürzte historische Kolonialstadt. Heute das kulturelle Zentrum des Landes, voller Sprachschulen, Backpacker-Hostels, Kneipen, Restaurants und Läden. Hier trifft man sich am Wochenende zum Feiern, Bummeln, Shoppen und Entspannen. Alle genießen die grandiosen Kulisse der alten Kolonialstadt, die teilweise völlig verfallen ist, teilweise (in der Regel privat) sehr schön restauriert. Guatemala ist traumhaft schön! Großartige Landschaften wechseln auf engem Raum, auf dem Weg von der auf 1500 Metern gelegenen Stadt bis runter ans Meer fährt man durch mehrere Vegetationszonen, bis hinein in die tropische Hitze der Küstenebene mit ihren riesigen Zuckerrohrplantagen. Auf anderen Wegen gelangt man bis ins karge, kühle Hochland oder in die (leider nicht mehr so) großen Wälder des Petén. In gut zwei Stunden ist man am Atitlansee, berechtigterweise gerühmt als der schönste See Mittelamerikas.

Vulkanaschefegen hat was von Schneeschippen
Im Tiefland gibt es den Izabal, der es größenmäßig mit dem Bodensee aufnehmen kann und zahlreiche weitere großartige Naturschönheiten, die man nicht ganz so leicht erreichen kann.Alles wird gekrönt von einer Kette der schönsten Vulkane Mittelamerikas, von denen einige sehr aktiv sind. Pacaya und Fuego zum Beispiel - in Sichtweite zur Hauptstadt gelegen - versauen die Gegend gerne mal mit einem kräftigen Ascheregen, oder liefern im Dunkeln sehr schöne Lavalichtspiele an ihrem Gipfel. Aschefegen hat was von Schneeschippen, aber man kann es nachmittags nach der Schule machen. Die kulturelle Vielfalt Guatemalas ist legendär und tatsächlich absolut faszinierend. Rund 130 Sprachen, kunstvollste Textilien, Handwerk und traditionelle Anbaumethoden bekommen erst ganz langsam wieder einen höheren Stellenwert im Bewusstsein der Menschen. Einer forcierten touristischen Inwertsetzung dieser Schätze stehen vor allem die mangelnde Infrastruktur und die schwierige Sicherheitslage entgegen. Angesichts einschlägiger Erfahrungen an anderen Orten finde ich das eigentlich nicht wirklich tragisch.

Soziale Spaltung und marode öffentliche Infrastruktur
Guatemala hat leider immer noch alle Merkmale von bad governance und (als Folge dessen) auch alle Eigenschaften eines Entwicklungslands. Einer kleinen reichen Oberschicht steht – insbesondere auf dem Land – eine völlig verarmte Bevölkerung entgegen. Ein einigermaßen abgesicherter Mittelstand entsteht nur sehr langsam. Staatliche Schulen sind extrem schlecht und werden oft nur von ausländischen Hilfsorganisationen am Leben gehalten. Die öffentliche Gesundheitsversorgung krankt an Korruption, in den privaten Kliniken ist die Versorgung dagegen sehr gut, mit einer gut gefüllten Kreditkarte muss man sich kaum Sorgen um die Gesundheit machen. Die Infrastruktur ist nicht belastbar, wer es sich leisten kann, brettert mit gepanzerten SUV’s mit schwarzen Scheiben durch die Gegend, um sich sicher fühlen zu können. Die uralten Dieselmotoren der Busse und LKW’s erzeugen Rauchwolken, die jede Feinstaubdiskussion in Europa lächerlich erscheinen lassen. Der Flughafen liegt so zentral wie Berlin-Tempelhof und ist rund um die Uhr im Betrieb.

Keinen Tag bereut
Auch ansonsten ist Guatemala Stadt keine Schönheit, aber gut auszuhalten, weil es mit etwa 4 Millionen Einwohnern eine kleine noch relativ gut belüftete Stadt ist. Guatemala ist in jeder Hinsicht in die USA orientiert: Öffentliches Leben, Kultur oder technische Standards sind an Nordamerika angeglichen. Die deutschen Lehrer wohnen deshalb (wie die meisten Ausländer) oft in sehr schönen, gut gesicherten Gated Communities in den besten Vierteln der Stadt. Es ist aber durchaus möglich, auch ganz normal in einfacheren Vierteln zusammen mit den Guatemalteken zu leben. Zu dieser Orientierung in die USA gehört allerdings auch das US-amerikanische Verhältnis zu Waffen, was bei sehr hoher Kriminalität und angesichts der hoffnungslosen Lebenslage breiter Bevölkerungsschichten eine brisante Mischung ergibt. Guatemala ist – wie seine Nachbarländer – in diesem Sinne tatsächlich nicht ganz ungefährlich, aber ich selber habe keinen einzigen Tag meiner Zeit dort bereut.