Puppen, lächelnd und mit knopfgroßen Augen, Märchenfiguren oder Zauberpferde – im dritten Stock der Berliner Galeria Kaufhof werden Kinderträume wahr. Und Geschichten einer sicheren Welt gesponnen. Etwa mit dem Feuerwehrmann „Sam“, Held der Trickfilmserie und Retter in der Not, der samt Löschwagen im Kaufhausregal steht. Im Rettungsset für 9,99 Euro finden Kinder auch einen Mini-Schutzhelm, Mini-Feuerlöscher und Mini-Verbandskasten aus Plastik.
Eher einem Albtraum hingegen gleichen die Bedingungen, unter denen Spielzeug oft hergestellt wird. Das zeigt der „Toys Report 2018“ der Menschenrechtsorganisationen „China Labor Watch“ (CLW) und „Christliche Initiative Romero“ (CIR) in China. Auf besonders massive Verletzungen von Arbeitsrechten sowie auf Arbeiterinnen und Arbeiter, denen in Fabriken vor Erschöpfung die Augen zufallen, stieß CLW während einer Recherche bei Zulieferern von Disney, Hasbro & Co. – aber auch von deutschen Firmen wie Ravensburger, Schleich und Simba Dickie, dem Lizenznehmer von „Sam“.
Die Arbeitsbedingungen in der Spielzeugproduktion sind laut „Toys Report 2018“ sogar schlechter als jene in der Textil- und IT-Branche. Die Arbeiterinnen und Arbeiter schuften von morgens um acht bis abends um zehn Uhr; bei den meisten Zulieferern seien zwischen 80 und 140 Überstunden im Monat üblich. Die Beschäftigten hantieren auch mit giftigen Chemikalien. Schutzhelm oder Feuerlöscher wie bei der Spielzeugfigur „Sam“ sucht man in manchen Fabriken vergebens. Die Folge: Viele Beschäftigte sind ständig erschöpft und krank.
„Beim Essen achten viele Eltern auf bio oder fair – beim Spielzeug aber sind ihnen Inhaltsstoffe und Arbeitsrechte oft egal.“ (Maik Pflaum)
Und schlecht bezahlt. Vom Erlös einer Barbiepuppe finden die Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter nur einen Bruchteil in ihren Lohntüten. Das Grundgehalt liegt laut Studie im Schnitt bei umgerechnet 220 Euro im Monat – zum Vergleich: Pro Kind und Jahr werden in Deutschland 287 Euro für Spielzeug ausgegeben. Nur mit extremen Überstunden kämen die Arbeiterinnen und Arbeiter auf 570 Euro Monatsgehalt, so der „Toys Report“. Und obwohl die Branche seit Jahren Umsatzrekorde von mehr als drei Milliarden Euro jährlich allein in Deutschland verzeichnet, werden den Beschäftigten in den Zulieferfabriken oft die Lohnzuschläge vorenthalten, Sozialversicherungen nicht korrekt angeboten, Schutzanzüge nicht gestellt.
Für das Gros der Konsumenten ist die Ausbeutung kein Thema. „Beim Essen achten viele Eltern auf bio oder fair – beim Spielzeug aber sind ihnen Inhaltsstoffe und Arbeitsrechte oft egal“, wundert sich Maik Pflaum von der CIR. Die Folge: „Andere Branchen sind bei der Kontrolle von Zulieferern aus Ländern wie China viel weiter – in der Spielzeugbranche hingegen herrscht Tiefschlaf.“
Aus diesem sind einige Hersteller durch den „Toys Report“ nun allerdings wohl aufgewacht: Die Schleich Gruppe und Ravensburger erklärten auf Anfrage, den „Sachverhalt“ klären zu wollen. Der Konzern Simba Dickie hingegen lehnt eine Stellungnahme zu den jüngsten CLW-Vorwürfen ab.
„Bislang haben Eltern, die Spielzeug ohne Ausbeutung kaufen wollen, zumindest im konventionellen Spielzeughandel keine verlässliche Alternative.“
Dem Weltverband der Spielzeugindustrie (International Council of Toy Industries, ICTI) sind die Rechtsverletzungen bekannt. Bereits 2001 erarbeitete er den Verhaltenskodex „ICTI Care“. Der Kodex – inzwischen in „ICTI Ethical Toy Program“ umbenannt – sieht zwar Mindeststandards in Sachen Menschen- und Arbeitsrechte für China vor. Doch er ist freiwillig. Bislang weigern sich die meisten Mitglieder, die Selbstverpflichtung einzugehen und nur noch bei zertifizierten Zulieferern einzukaufen. Ulrich Brobeil, Chef des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie, bedauert das: „Leider verschließen noch immer viele unserer Mitglieder Augen und Ohren vor den Missständen in den Zulieferfirmen“ – darunter auch Unternehmen, die auf ihren Webseiten mit sozialem Engagement werben.
Auch die Simba Dickie Group betont auf ihrer Homepage, „soziale Gleichheit“ sowie „faire und sichere Arbeitsbedingungen“ zu fördern. Das Ethical Toy Program gebe keine existenzsichernden Löhne vor, sondern orientiert sich lediglich an den gesetzlich festgelegten Mindestlöhnen im Land, von denen kein Mensch leben könne, kritisiert auch die Nichtregierungsorganisation (NGO) Weed. Die Kontrollen des ICTI seien zudem „sehr anfällig für Betrug“. Alle Fabriken, in denen CLW in den zurückliegenden Jahren auf Missstände stieß, konnten das ICTI-Siegel vorweisen – das zeige, wie wenig wirksam der Standard ist. Pflaum: „Wer sich allein auf solche Zertifikate verlässt, trägt Mitschuld an der Ausbeutung der Arbeiter.“
Einige engagierte Hersteller sind nun ernsthaft um den Ruf der Branche besorgt. „Werden Einzelne schlecht bewertet, trifft das alle“, so Branchensprecher Brobeil. Deswegen entwickeln sein Verband, einige Vorreiterunternehmen, die Christliche Initiative Romero und das Nürnberger Bündnis Fair Toys derzeit einen Standard für ein verlässliches „Fair Toy“-Gütezeichen. Mit diesem könnten Kunden im Spielzeugladen dann erstmals gezielt nach sozialen Kriterien einkaufen, sagt CIR-Mann Pflaum. „Bislang haben Eltern, die Spielzeug ohne Ausbeutung kaufen wollen, zumindest im konventionellen Spielzeughandel keine verlässliche Alternative.“ Dass einige Hersteller China den Rücken gekehrt haben und Teddys oder Mini-Autos nun in Tunesien oder Osteuropa produzieren, sei keine Lösung. Dort, so Pflaum, „sind die Löhne mitunter noch niedriger als in Fernost“.
Kauftipps: Spielzeug ohne Kinderarbeit und Ausbeutung gibt es u. a. im Weltladen, bei der Gepa, Colombo3, El Puente oder WeltPartner. Überwiegend in Deutschland produzieren nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Weed u. a. Senger Tierpuppen, Ökonorm, Spielstabil, SINA, Bibabox, Hess Spielzeug, TicToys, Playmobil, Fagus Holzspielzeug und Ravensburger. Das Label „Made in Germany“ sagt hingegen nichts aus – um das zu bekommen, genügt die Endmontage hierzulande. |