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LesePeter Mai 2023

Kinderbuch „Reißaus mit Krabbenbrötchen“ prämiert

Der Lesepeter Mai 2023 geht an das Kinderbuch „Reißaus mit Krabbenbrötchen“ von Silke Schlichtmann. Der Kinderroman nehme sich voller Sensibilität dem Thema Demenz an, urteilte die Jury.

Ausgezeichnet als "Kinderbuch des Monats" von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur (Cover: Hanser Verlag)

Mama will Opa Peter ins Altersheim bringen? Bloß, weil er 23 Gläser Senf im Vorratsschrank hat und sein Handy im Kühlschrank aufbewahrt? Enkelin Jonte startet zusammen mit ihrem besten Freund und ihren Geschwistern eine ausgefeilte Opa-Peter-Rettungsaktion mit Demenz-Checkliste, Hochzeitsplänen und super Wohnideen. Tempo- und einfallsreich, witzig und doch bewegend, erzählt Autorin Silke Schlichtmann von den Gefühlen und Wünschen dreier Generationen.

Die AJuM zeichnete das Kinderbuch „Reißaus mit Krabbenbrötchen“ dafür mit dem LesePeter für den Monat Mai 2023 aus.

Silke Schlichtmann gelingt mit „Reißaus mit Krabbenbrötchen“ ein ganz besonderer Kinderroman, der sich voller Sensibilität dem uns alle betreffenden Thema Demenz annimmt. Die Erzählung kommt ganz ohne moralisch erhobenen Zeigefinger aus, was daran liegt, dass sich die Erzählhaltung konsequent an die kindliche Ich-Erzählerin und Protagonistin Jonte bindet. Jontes Blick ist teilweise naiv, denn sie sieht lange Zeit nicht ein, dass ihre Mutter dem Großvater helfen will, wenn sie die einsetzende Demenz benennt und nach einem Altenheim für ihn sucht.

Weil die Enkelin ihren Opa liebt und mit ihm wunderbare Momente der Nähe in dessen Garten auf der Hollywoodschaukel verbringt, ignoriert sie die Zeichen der Zeit und will die beginnende Demenz von Opa Peter nicht wahrhaben. Dabei wundert auch sie sich, dass er 23 Gläser Senf gekauft hat und sein Handy in den Kühlschrank legt. So avanciert in ihrer kindlichen Sicht die Mutter zur Antagonistin, weil sie den Großvater in ein Heim ‚abschieben‘ will. Sie zieht ihre älteren Geschwister Henrik und Ditte ins Vertrauen, die dann aber zu Jontes Entsetzen dazu tendieren, dem Verdacht der Mutter zuzustimmen.

Erst zum Schluss erkennt Jonte die liebevollen Beweggründe der Mutter und begreift, dass die Suche nach einem Heimplatz für den Großvater auf Sorge und Verantwortungsgefühlen beruhen. Indem sie sich für das Ausreißen mit dem Großvater entscheidet, gewinnt die Handlung an Dynamik – und reanimiert ein klassisches Motiv der Kinderliteratur neu, das wir in vielen Texten finden (man denke nur eine populäre Ausreißerin wie Pippi Langstrumpf). Das Ausreißen fusioniert mit dem Motiv der Nähe zwischen Großeltern und Kindern bzw. dem Generationenverständnis. Gerahmt sind diese von der Raumsemantik und dem Lokalkolorit, den die Schauplätze im Alten Land und an der Nordsee ausmachen. Jonte und ihr Freund Schippo nehmen den Großvater nach Husum mit, das er liebt und wo er einst mit seiner Frau den 50. Hochzeitstag verbringen wollte. In diesen Kontext gehören auch die titelgebenden Krabbenbrötchen, die sowohl Großvater als auch Kinder lieben. Ein Rezept für die Zubereitung findet sich auf der letzten Seite.

Zudem enthält der Kinderroman Spuren gewitzter Intertextualität, die durch die Lesebegeisterung von Jontes bestem Freund Schippo getragen werden, der die Flucht mit dem Großvater an die Nordsee zum Beispiel mit Bastians Rettung der kindlichen Kaiserin in Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ vergleicht. Und Jontes Ich-Erzählerinnen-Sprache ist voller Witz und Reflexionen über die Welt und die Sprache. Prägend für die gesamte Geschichte aber ist vor allem der familiäre Zusammenhalt, in dem Jonte mit ihren Geschwistern aufwächst, und der ihr den Mut gibt, mit dem Großvater einfach nach Husum abzuhauen, in dem Vertrauen, dass alles gut wird. Die Familie geht schlussendlich in den Dialog miteinander, und sie beraten über mögliche Wohnkonzepte für den Großvater. Wie es weitergeht, bleibt offen und lässt gerade darum Raum für alle – Figuren und Leserinnen und Leser.

Ein wunderbarer Kinderroman, der generationenübergreifend ansprechend und daher für Jung und Alt empfehlenswert ist – und eine herzerwärmende Sommer-Lektüre sowie ein berührendes Plädoyer für den Zusammenhalt der Generationen. Ebendiese Stimmung fangen die Illustrationen von Jens Rasmus gekonnt ein. Mit sanften Strichen legen sie den Fokus vor allem auf die Stimmungen der Figuren und deren Gesichtsausdrücke.

Die Autorin

Silke Schlichtmann wurde 1967 in Stade geboren und ist promovierte Literaturwissenschaftlerin sowie Lektorin. Sie lebt mit ihrer Familie in München. Seit vielen Jahren schreibt sie Kinderbücher. Für „Bluma und das Gummischlangengeheimnis“ wurde sie im Jahr 2018 für den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Kinderbuch nominiert.

Die AJuM vergibt den LesePeter monatlich abwechselnd in den Sparten Kinderbuch, Jugendbuch, Sachbuch und Bilderbuch.

Silke Schlichtmann, Reißaus mit Krabbenbrötchen, illustriert von Jens Rassmus, 2022, ab acht Jahren, 272 Seiten, Hanser Verlag, ISBN 978-3-446-27428-0, 15 Euro.