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DDS – Die Deutsche Schule

„Achtsamkeitstrainings reichen nicht“

In der wissenschaftlichen Zeitschrift der GEW beschäftigt sich Professorin Uta Klusmann mit der Frage, welche Maßnahmen es braucht, um das berufliche Wohlbefinden der Lehrkräfte nachhaltig zu fördern*. E&W sprach mit der Autorin.

  • E&W: Ein erheblicher Teil der Lehrkräfte ist durch die Arbeit erschöpft und fällt krankheitsbedingt aus. Viele Gegenmaßnahmen konzentrieren sich auf sogenannte Achtsamkeitstrainings oder ähnliche Angebote zur Förderung der individuellen Gesundheit, wie sie beispielsweise auch die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) empfiehlt. Reicht das?

Prof. Uta Klusmann: Die von der Psychologie entwickelten Achtsamkeits- und Stressmanagementtrainings haben durchaus eine positive Wirkung. Sie können Erschöpfungssymptome und das Stresserleben reduzieren. Die Effekte, die wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachten, sind häufig aber nur kurzfristig. Zudem erreichen diese Angebote nicht alle Lehrerinnen und Lehrer.

  • E&W: Woran liegt das?

Klusmann: Das kann ich nur vermuten, da es hier zu wenig verlässliche Daten gibt. Möglicherweise erreichen solche Angebote nicht die besonders belasteten Personen. Es deutet sich in unseren Studien an, dass solche individuellen Angebote vor allem von jenen wahrgenommen werden, die noch relativ gut mit den Belastungen umgehen können und präventiv eigene Maßnahmen ergreifen.

  • E&W: Sie unterscheiden in Ihrem DDS-Beitrag zwischen verhältnisbezogenen und verhaltensbezogenen Maßnahmen. Zu Letzteren zählen Sie die Achtsamkeitstrainings beziehungsweise andere Angebote zur Förderung der individuellen Stressbewältigung. Verhältnisbezogene Maßnahmen setzen beim System Schule an. Welche Maßnahmen fallen darunter?

Klusmann: Das sind Ansätze, die auf Veränderungen im beruflichen Umfeld der Lehrkräfte abzielen. Beispiele dafür sind eine bessere Organisation der Arbeitsabläufe, die zu den Bedürfnissen der Lehrerinnen und Lehrer passen, zeitliche Entlastungen oder eine andere Kooperation im Kollegium, um Aufgaben besser zu verteilen. Aber auch Maßnahmen, die zu einem besseren Schulklima führen, gehören dazu.

  • E&W: Können solche lokalen Maßnahmen angesichts der mangelhaften personellen und finanziellen Ausstattung der Schulen nachhaltig wirksam sein?

Klusmann: Können sie, aber sie reichen nicht aus. Notwendig sind zusätzlich mehr Investitionen und mehr Personal in den Schulen. Die Lehrerinnen und Lehrer selbst empfinden vor allem den Lehrkräftemangel als besonders belastend. Wenn Personen durch Krankheit ausfallen oder ganz fehlen, müssen Kolleginnen und Kollegen das kompensieren. Das belastet nicht nur zeitlich, sondern auch emotional-motivational. Die Lehrkräfte können nicht das im Unterricht umsetzen, was sie sich eigentlich vorgenommen haben, müssen pädagogisch Wichtiges hintenanstellen, um die „Basisversorgung“ zu gewährleisten. Das widerspricht ihrem pädagogischen Ethos und führt zu einem Teufelskreis aus Überlastung und dem Gefühl, zu wenig zu leisten.

  • E&W: Wer müssen die Hauptakteure bei der Umsetzung der Maßnahmen sein, die das berufliche Wohlbefinden der Lehrkräfte verbessern?

Klusmann: Eine wichtige Rolle hat die Schulleitung. Sie trägt in der Schule maßgeblich zum Klima, der Organisation der beruflichen Abläufe, aber auch der Wertschätzung und Anerkennungskultur bei. Diese Faktoren haben einen Effekt auf das berufliche Wohlbefinden der Lehrkräfte. Die Schulen und auch deren Leitungen brauchen wiederum Unterstützung bei der Schulentwicklung. Hier sind Landesinstitute und Ministerien gefragt. Verhaltensbezogene Maßnahmen werden allein nur geringe Effekte haben, wenn Lehrkräfte anschließend wieder in ein dysfunktionales System zurückkehren.

  • E&W: Was braucht es noch?

Klusmann: Lehrkräfte könnten zusätzlich durch niederschwellige Beratungsangebote entlastet werden, zum Beispiel durch eine in das System Schule implementierte Supervision, wie es sie in anderen pädagogischen Professionen gibt. 

*„Berufliches Wohlbefinden von Lehrkräften nachhaltig fördern – Warum wir mehr als Achtsamkeitstrainings brauchen“, DDS – Die deutsche Schule, Heft 4/2024