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Integrationskurse

„600 Stunden sind zu wenig“

Seit 2005 bekommen Zugewanderte in Integrationskursen Deutsch und eine Einführung in die Gesellschaft vermittelt. Qualität wie Ausstattung der Kurse geraten immer wieder in die Kritik. Eine Lehrerin und ein Schüler schildern ihre Erfahrungen.

Hedwig Schule / Foto: Dirk Krüll
  • Hedwig Schulte, 64, Integrationslehrerin, Düsseldorf:

„Ich unterrichte seit 2006 in Integrationskursen. Damals kamen vor allem Russlanddeutsche und Polen. Inzwischen sind die Stunden mit 35 Euro – abzüglich Renten- und Krankenversicherung – im Vergleich zur Anfangszeit einigermaßen gut bezahlt. Trotzdem muss ich, um davon leben zu können, im Jahr 1.300 bis 1.700 Stunden geben, pro Woche meist 35 Stunden. Weil ich einen Kurs fünf Stunden am Stück unterrichte, ist die Vorbereitungszeit zum Glück nicht allzu zeitaufwendig.

Was mir fehlt? Ein regelmäßiger Austausch mit Kollegen und eine vernünftige Phonetikausbildung. Viele Kursteilnehmer können sich nur mühsam verständlich machen. Weil die Herkunftssprachen andere Laute verwenden, fällt es vielen zum Beispiel schwer, ein ‚langes A‘ zu bilden. ‚Straße‘ klingt dann wie ‚Strasse‘, aus ‚haben‘ wird ‚habben‘, oft sind die Menschen kaum zu verstehen. Das führt zu Frust. Es gibt für die Aussprache hervorragende Fortbildungen bei Schauspiellehrkräften oder Logopäden. Nur sie werden uns nicht bezahlt.

Insgesamt sind die Lehrbücher zu grammatiklastig. Viele finden das sogar gut, denn daran können sie sich festhalten. Doch dieser Zugang funktioniert nur für jene, die sich in ihrer Muttersprache schon mit der Sprachstruktur auseinandersetzt haben. Das größte Problem: Vielen fällt es schwer, auf Menschen zuzugehen und einfach drauflos zu sprechen. Dazu braucht es eine innere Bereitschaft. Bei mir im Unterricht üben sie deshalb so häufig wie möglich Dialoge. Letztlich kommt es doch auf die Alltagsverständigung an. Ich bin nach einem Integrationskurs zufrieden, wenn die Teilnehmenden sorglos mit Einheimischen ins Gespräch kommen, vielleicht einen einfachen Job annehmen können und eine Perspektive sehen, irgendwann in ihrem Beruf zu arbeiten.“

Matiullah Nasri (24), Integrationskursschüler aus Kabul, Afghanistan, jetzt in Falkensee, Brandenburg. Foto: Kay Herschelmann
  • Matiullah Nasri, 24, Integrationskursschüler aus Kabul, Afghanistan, jetzt in Falkensee, Brandenburg:

„Zwei Monate nach meiner Ankunft in Deutschland Ende 2015 musste ich ins Krankenhaus. Ich verstand die Ärzte nicht, sie verstanden mich nicht. Damals entschied ich: Du musst sofort Deutsch lernen. Mit YouTube-Videos ging das ganz gut. Wo immer möglich, sprach ich mit Leuten, irgendwie. Und freute mich, wenn sie mich korrigierten.

Bis zum Integrationskurs musste ich lange warten. Im Spätsommer 2016 bekam ich endlich meine Aufenthaltserlaubnis, Anfang 2017 ging es mit dem Kurs los. Ich konnte gleich bei A2 einsteigen und bekam den besten Lehrer der Welt. Wenn wir ein Wort nicht verstanden, erklärte Wilfred Dominic Josue es nicht einfach, sondern gab uns mindestens drei Beispiele. Und wir mussten so viel wie möglich sprechen; kleine Dialoge zu Themen wie einem Wochenendfest: ‚Hallo, mein Freund, was brauchen wir, wer kauft ein, wer zahlt‘ – und so weiter. Das hat mir mehr geholfen als Grammatik.

Wir bekamen auch jede Menge Hausaufgaben. Ein, zwei Stunden am Tag habe ich gelernt, dreimal die Woche gaben uns Ehrenamtliche im Wohnheim kostenlos Nachhilfe. Das hat super geholfen, weil ich dadurch alles besser verstanden habe. Trotzdem sind 600 Stunden bis zum B2-Zertifikat wirklich wenig.

Begeistert hat mich der Orientierungskurs. Geschichte habe ich schon in Afghanistan geliebt. Dass die Menschen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in so kurzer Zeit ihr zerstörtes Land wieder so reich machen konnten, finde ich unglaublich. Wir haben auch eine Fahrt nach Brüssel gemacht und viel über die Europäische Union erfahren.

Inzwischen kann ich mich ganz gut verständigen. Schwer fällt mir noch das Schriftliche. Zurzeit sitze ich im B2-Kurs. Da müssen wir Bewerbungen schreiben. Das ist schwierig. Mitte Dezember ist Prüfung. Danach möchte ich studieren und einen Sprachkurs C1 (fortgeschrittenes Sprachniveau – Anm. d. Red.) machen. Wenn ich einen Studienplatz bekomme, bietet die Uni dafür einen Vorbereitungskurs an.“