3.09 Die Digitale Welt braucht Gestaltungskompetenz und Souveränität
Aus Sicht der GEW machen die Veränderungen der Welt strukturelle und pädagogische Reformen notwendig.
Präambel
Wer in der mediatisierten oder digitalen Gesellschaft souverän leben und politische Teilhabe realisieren will, muss über das Fähigkeitsbündel, das die Schlüsselqualifikation Medienkompetenz ausmacht, verfügen und es fortwährend ausbauen. Dieses Fähigkeitsbündel umfasst
- instrumentelles, analytisches, strukturelles und informatisches Wissen zu mit der Digitalisierung verbundenen Prozessen und Akteuren,
- kritische Reflexion (selbstbezogen, medienbezogen und gesellschaftsbezogen),
- kommunikatives und partizipatives Handeln mit Medien und bezogen auf Medien.
Es ist unbestritten, dass Datensouveränität, Teilhabe und Mitgestaltung in einer digitalisierten Welt nur gelingen können, wenn auch informatische Kompetenz als selbstverständlicher Bestandteil der Förderung von Medienkompetenz berücksichtigt wird. Aus Sicht der GEW machen die komplexen Veränderungen der Welt (neben der zunehmenden Digitalisierung auch ökologische und soziale Krisen und tiefgreifende Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt) grundlegende strukturelle und pädagogische Reformen notwendig.
Forderungen
- Digitalisierung als Gegenstand in allen Bildungsbereichen:
Die GEW fordert von Bildungspolitik und Bildungsverwaltung (Kultusministerkonferenz, Kultusministerien der Länder, Jugend- und Familienministerkonferenz und weitere verantwortliche Behörden) die Digitalisierung in diesem Sinne zum Gegenstand in allen Bildungsbereichen zu machen (Lehren und Lernen mit und über Medien) und hierfür ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das dem jeweiligen Alter sowie den unterschiedlichen Lernorten angemessene Formen der Vermittlung und entsprechend ausgewählte thematische Aspekte umfasst. Dieses Gesamtkonzept muss über die bisher vorliegenden Konzepte wie z. B. die digitale Strategie der Kultusministerkonferenz hinausgehen, auf eine umfassende Medienkompetenz zielen und letztendlich das Erkennen von Zusammenhängen, Orientierung und Handeln in der digitalen Welt ermöglichen. Die GEW fordert in diesem Sinne eine Aktualisierung und Evaluierung der KMK-Strategie „Bildung in der Digitalen Welt“. Die jeweiligen Bildungsbereiche sind bei der Konzeptentwicklung durch Fortbildungen und Zeitkontingente zu unterstützen. Alle Bildungsangebote sind inklusiv und barrierefrei zu gestalten. - Die GEW fordert die Verankerung informatischer Grundlagen in allen Bildungsbereichen:
Informatische Bildung wird als wichtiger Teil eines umfassenden medienpädagogischen Konzepts in den Fachunterricht, den Wahlpflichtbereichen und in Formen des Epochen- und Projektunterrichts strukturell verankert. Informatische Bildung sollte im Sinne des Dagstuhl-Dreiecks in eine technologische, anwendungsorientierte und gesellschaftlich-kulturelle sowie geschlechtersensible Perspektive eingebettet sein und sich nicht auf die rein anwendungsorientierte Perspektive erstrecken. - Verankerung von Medienbildung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung:
Zur Vermittlung von Medienkompetenz einschließlich informatischer Bildung sollen an den Hochschulen entsprechende (Erweiterungs-)Studiengänge mit diesen Schwerpunkten eingerichtet werden. Medienpädagogik im umfassenden Sinne unter Einschluss informatischer Bildung soll als (Wahl-)Pflichtmodul aller Lehramtsstudiengänge etabliert werden. Außerdem sollten Fachdidaktiken die Nutzung von digitalen Medien für Lehr- und Lernsettings fachspezifisch prüfen und entsprechende Kompetenzziele in den Modulen verankern. Allen pädagogischen Beschäftigten im Bildungsbereich sind entsprechende Fort- und Weiterbildungen anzubieten. - Chancen der Digitalisierung für Teilhabe nutzen
Um digitale Mittel souverän nutzen zu können, ist eine gute analoge Grundbildung notwendig. Deshalb fordert die GEW eine Offensive in der Grundbildung. Die Grundschulen müssen personell gut ausgestattet sein und die Möglichkeit der Förderung in Kleingruppen erhalten, um Problemen beim Schrifterwerb frühzeitig begegnen zu können. Inklusive Bildung hilft Probleme fehlender Grundbildung abzumildern. Die GEW fordert, neuen Bildungsungerechtigkeiten und sozialen Gaps, die durch Digitalisierung entstehen, entgegenzutreten. Um die Partizipationschancen der Digitalisierung zu nutzen, müssen die unterschiedlichen Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen zum produktiven und souveränen Medienhandeln – vorwiegend in den Familien – berücksichtigt werden. Personalisierte, kooperative und offene Lernformen sind deshalb offensiv zu fördern – bei Gewährleistung des Datenschutzes. Die technische Ausstattung und die Voraussetzung zur Teilhabe an Projekten sind allen jungen Menschen (ggf. durch Sozialhilfe, Zuschüsse oder Bereitstellung von Endgeräten bzw. ausgestatteten Arbeitsräumen) zu ermöglichen. Die Chancen der Digitalisierung für die Umsetzung einer inklusiven (Hoch-)Schul- und Unterrichtsgestaltung müssen genutzt werden. Digitale Medien ermöglichen eine Methodenvielfalt und erleichtern Individualisierung und Differenzierung von Lernzugängen. - Verankerung von Medienbildung in der außerschulischen Jugend- und in der Erwachsenenbildung
Die GEW fordert einen verstärkten Ausbau allgemeiner, kultureller und politischer Bildung für Jugendliche und Erwachsene, um deren Medienkompetenz zu fördern und im Sinne lebenslangen Lernens weiterzuentwickeln. Da die Teilnahme an entsprechenden Bildungsmaßnahmen freiwillig ist, müssen diese der jeweiligen Zielgruppe angemessen gestaltet und kostenfrei sein. - Bildung für ältere Menschen
Digitale Techniken eröffnen älteren Menschen neue Chancen der gesellschaftlichen Teilhabe und der Kommunikation untereinander und über Generationen hinweg. Ob sie diese nutzen wollen, muss ihrer souveränen Entscheidung obliegen.
Für diejenigen, die digitale Medien nutzen wollen, müssen barrierefreie und passgenaue, zum Teil auch kleinschrittige Bildungsangebote kostenfrei bereitgestellt werden, in denen sie die Nutzung der digitalen Technik lernen und sich über die Chancen und Risiken der Digitalisierung informieren können. Insbesondere in ländlichen Regionen bzw. Kommunen müssen derartige Angebote eingerichtet und gefördert werden:
Erforderlich sind Bildungsangebote von öffentlichen bzw. kommunalen Bildungsträgern (z. B. Volkshochschulen), die fachlich und finanziell mit sachlichen und personellen Ressourcen unterstützt werden und in denen Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit ebenso wie die des digitalen Nachlasses in den Bildungsangeboten behandelt werden.
Darüber hinaus sind Beratungsstrukturen aufzubauen, die beim Umgang mit digitalen Medien jederzeit in Anspruch genommen werden können. Für die älteren Menschen, die sich gegen die Nutzung digitaler Medien entscheiden, dürfen keine Nachteile in Bezug auf gesellschaftliche Handlungs- und Partizipationsmöglichkeiten entstehen. Entsprechende analoge Möglichkeiten dazu müssen bestehen bleiben bzw. geschaffen werden, um beispielsweise den Umgang mit Banken selbstbestimmt erledigen zu können.