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3.06 Learning Analytics, Algorithmen und Big Data in Bildung und Wissenschaft

Die GEW begleitet technologische Entwicklungen wie Learning Analytics mit skeptischem Blick.

  • Die GEW bewertet die Digitalisierung und ihre Erscheinungsformen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich anhand ihrer zentralen Prinzipien und Grundwerte. Zu diesen gehören:
    • Inklusion, Vielfalt, Chancengleichheit und Gerechtigkeit,
    • Nachhaltigkeit,
    • gute Lern- und Arbeitsbedingungen,
    • Demokratie und Transparenz,
    • Mitbestimmung und Beteiligung,
    • Qualität von Bildung, Wissenschaft und Forschung,
    • Erhalt und Ausbau der öffentlichen Bildung und Wissenschaft,
    • Sicherheit und Wohlbefinden von Lernenden und Lehrenden sowie
    • die (persönlichen) pädagogischen Beziehungen.
  • Die GEW lehnt technologiebasierte Trends, die diese Prinzipien konterkarieren oder verdrängen, ebenso ab wie bildungs- oder finanzpolitische Bestrebungen, wissenschaftliches, pädagogisches und erzieherisches Personal über den Weg der Technologisierung abzubauen.
  • Digitalisierung, Datafizierung und Algorithmen im Bildungswesen müssen nachhaltig, demokratisch, diskriminierungskritisch, transparent und auf der Basis von Werten und Grundrechten gestaltet werden. Die GEW wird sich an der Diskussion über die Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft einbringen, indem sie Prüfsteine für „pädagogisch wertvolle“ technologiebasierte Lernprogramme und -settings sowie für eine datenpolitisch integre Wissenschaft entwickelt. Zu diesen Prüfsteinen gehören neben den zuvor genannten Prinzipien die Orientierung an der Lebenswelt und den Interessen der Lernenden, die Freiheit pädagogischer und wissenschaftlicher Entscheidungen, die Förderung von Handlungs- und Gestaltungskompetenz auf der Seite von Lehrenden, Lernenden und Forschenden, die Ermöglichung von kritischer Reflexion sowie von kreativ-produktiven Lern- und Forschungsprozessen.
  • Die GEW fordert bei allen behördlich eingeführten technologischen Systemen, die pädagogische Prozesse, Lernsettings, Diagnostik, Forschung und personenbezogene Auswertungen algorithmisch steuern, eine transparente und verständliche Offenlegung der Grundlage der Algorithmen wie auch der algorithmisch basierten Prozesse und Ergebnisse.
  • Für die GEW stehen nicht das technische Werkzeug oder die technische Infrastruktur im Vordergrund, sondern pädagogische und wissenschaftliche Fragen sowie das Lernen, Arbeiten und Forschen in kollegialer und solidarischer Gemeinschaft. Sie misst alle informations- und kommunikationstechnologischen Anwendungen und Verfahren im Bildungsbereich daran, ob sie von Bildungsexpert*innen und unter pädagogischen und wissenschaftlich ausgewogenen Prämissen (mit)entwickelt worden sind.
  • Die GEW fordert eine politische Technikfolgenabschätzung im Bildungswesen, und zwar möglichst VOR der Einführung digitaler Technologien, wie etwa Learning Analytics. Die GEW lehnt insbesondere eine automatisierte Verhaltens- und Leistungskontrolle von Lernenden und Lehrenden ab. Sie setzt sich zudem für den Erhalt und Ausbau „unbeobachteter“ sowie pädagogisch und wissenschaftlich geschützter Räume ein. Sie unterstützt ihre Mitglieder und Interessenvertretungen bei der aktiven Inanspruchnahme von Mitbestimmungs-, Datenschutz- und Persönlichkeitsrechten. Eine Kontrolle des persönlichen Verhaltens oder eine bildbasierte Emotionserkennung zu Zwecken der Erfolgs- oder Leistungsprognose – ob in Klassenzimmern oder Hörsälen – lehnt die GEW ab.
  • Die GEW fordert die verstärkte – vor allem öffentlich verantwortete – Forschung zu Digitalisierung und Datafizierung im Bildungswesen. Eine Zielperspektive hierbei ist, potenzielle Risiken kontinuierlich beurteilen und kontrollieren zu können. Die GEW fordert die Kultus-, Wissenschafts-, Jugend- und Familienministerien und deren Bundesgremien (KMK, WMK, JFMK) auf, datenpolitische Expertise im Hinblick auf Künstliche Intelligenz, Algorithmen-Steuerung und Big Data in der Bildung (Wissenschaft und Forschung) zu entwickeln und einen Transfer für Lehrende und Lernende herzustellen. Eine weitere Zielperspektive dabei ist, die Möglichkeiten der Digitalisierung für Inklusion – sprich: die Teilhabe und Förderung von benachteiligten oder ausgegrenzten Menschen – zu entwickeln und umzusetzen.
  • Die GEW fordert eine datenpolitische Bildung für Lernende und Lehrende im Hinblick auf algorithmisch basierte Lern- und Arbeitsprozesse. Sie fordert die Kultus-, Wissenschafts-, Jugend, Sozial- und Familienministerien und deren Bundesgremien (KMK, WMK, ASMK und JFMK) auf, entsprechende Fortbildungsangebote für die Beschäftigten im Bildungs- und Erziehungswesen bereitzustellen und entsprechende Inhalte in der Ausbildung von Pädagog*innen und Lehrenden zu implementieren. Eine solche datenpolitische Bildung hat als Perspektive, dass sich Lehrende wie Lernende (selbst-)bewusst mit digitalen Technologien auseinandersetzen und sowohl Chancen als auch Risiken der Nutzung abschätzen und kritische Fragen zu den Technologien stellen können, etwa nach technologischen Strukturen, ökonomischen Interessen und den Funktionsweisen von Algorithmen.
  • Aus Sicht der GEW besteht eine zentrale Aufgabe von Medienpädagogik und informatischer Grundbildung darin, die technischen, wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Dimensionen der Datafizierung in eine verständliche, zielgruppen- und altersangemessene Darstellung sowie in eine aktive und kritische Arbeit mit Medien und Technologien zu übersetzen. Zentrale Zielperspektiven dabei sind, digitale Lebens- und Lernwelten sowie die eigene Bildungsbiografie mitgestalten, eigene Schutzbedarfe, Wünsche und Forderungen artikulieren und in die Prozesse der demokratischen Willensbildung und Teilhabe, in die Etablierung nutzer*innengerechter Kontrollinstanzen und nicht zuletzt in die Entwicklung digitaler Anwendungen einbringen zu können.
  • Die GEW sieht die bereits jetzt in den Bundesländern existierenden Schüler*innendatenbanken sehr kritisch und lehnt eine bundesweite Speicherung in Form eines zentralen „Bildungsregisters“, wie es im Rahmen der Digitalstrategie der Bundesregierung geplant ist, ab. Auch die von den Ländern und der KMK angekündigte Umstellung der Schulstatistik auf bundesweite „Individualdatenerhebungen und den Kerndatensatz“ wird die GEW sehr kritisch verfolgen. Schüler*innen und deren Familien wie auch Lehrkräfte haben das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Datensparsamkeit. Dies ist insbesondere in einem ausleseorientierten Bildungssystem zentral, da die persönlichen Bildungsdaten umso mehr auch nachteilig oder diskriminierend genutzt werden könnten. Für die Bildungsplanung sind aus Sicht der GEW auch in Zukunft anonymisierte Stichproben ausreichend.
  • Die GEW fordert die bildungs- und wissenschaftspolitischen Verantwortungsträger auf, mehr Verantwortung in der Entwicklung von datafizierten und algorithmisierten Lehr-, Lern- und Forschungsprozessen zu übernehmen, etwa durch eine stärkere Regulierung des Einflusses von EdTech-Unternehmen auf Bildung und Forschung oder auch durch eine Förderung öffentlich, demokratisch, pädagogisch und wissenschaftlich verantworteter Aktivitäten und Steuerungsprozesse.