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GEW-Jugendtagung

1968: Was war da nochmal los?

Die Frauen warfen mit Tomaten um sich, Rudi Dutschke erschoss den iranischen Schah, die Maoisten und Stalinisten verprügelten sich, um dann in WGs gegen Israel zu ziehen? Was wirklich 1968 los war und welche Bedeutung von den Ereignissen ausging.

GEW-Jugendtagung "50 Jahre 68 — zwischen Utopie und Zwang" vom 12. bis 14. Oktober in Walsrode (Foto: Lisa Lewien).

Auch wenn Mao kein Vorbild für die Jugend ist und der Blick eher ein zynischer ist auf den Wunsch nach der Weltrevolution, beschäftigt sich die Junge GEW von heute weiterhin mit Fragen der antiautoritären Erziehung, mit dem Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus, mit der Emanzipation vom Patriarchat, sowie mit der Sehnsucht nach einer solidarischen Gesellschaft. 1968 – dieses bedeutsame Jahr hat auch heute noch einen Einfluss auf junge Menschen.

„Wenn man weiß, was aus Joschka Fischer wurde, ist man heute etwas zynischer, wenn revolutionäre Theorien und Persönlichkeiten sich groß aufspielen.“ (Oleg Gussew)

In großer Runde hatten junge Gewerkschafter*innen vom 12. bis 14. Oktober in Walsrode unter dem Motto „50 Jahre `68 — zwischen Utopie und Zwang“ Fragen rund um 1968 und seine Auswirkungen auf die pädagogische und gewerkschaftliche Arbeit diskutiert. Der Freiburger Historiker Jens Benicke führte die Tagung in die theoretischen Hintergründe der Studierendenbewegung von den frühen sechziger Jahren bis in die späten Siebziger ein. Damit legte er eine wichtige Basis für die Diskussionen der Jugendtagung dazu, was sich mit 1968 veränderte hat und wie dies linke Politik noch heute beeinflusst. Dabei waren die jungen Gerkschafter*innen auf kritisch: „Wenn man weiß, was aus Joschka Fischer wurde, ist man heute etwas zynischer, wenn revolutionäre Theorien und Persönlichkeiten sich groß aufspielen“, sagte Oleg Gussew am Rande der GEW-Jugendtagung.

Archivdokumente und biographische Interviews verdeutlichten im Workshop von Friederike Thole, wie sich unter dem Stichwort Antiautoritarismus pädagogische Beziehungen in Institutionen, beispielsweise in Kitas und Jugendheimen, veränderten. Katja Krolzik-Matthei spannte den Bogen von der sexuellen Revolution hin bis zur Sexualpädagogik und diskutierte mit Teilnehmenden kritisch über Projekte der 68er, bei denen die Grenzen des Einverständnisses im Sexuellen ausgetestet wurden. Veronika Kracher und Daniel Degeest erarbeiteten mit ihrer Workshopgruppe ein Verständnis davon, welche antisemitischen Tendenzen es in der deutschen Linken nach 1968 gegeben hat, während der Workshop von Constanze Stutz feministische Herausforderungen historisch verständlich machte.

„Uns ist klar geworden, wie der linke Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung mit einer für uns erstaunlichen Naivität einherging, was Diktatoren, Personenkulte, und ideologischen Dogmatismus angeht.“ (Ryan Plocher)

Ein Gallery-Walk über die Workshop-Themen und ihre Auswirkungen auf die pädagogische und gewerkschaftliche Praxis heute unterstützte den, für die Zeit wohl typischen, Austausch im Plenum am Abend. Deutlich wurde an vielen Punkten der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis ebenso wie die Herausforderung der autoritären Tendenzen der damaligen Bundesrepublik. „Uns ist klar geworden“, fasste Ryan Plocher zusammen, „wie der linke Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung mit einer für uns erstaunlichen Naivität einherging, was Diktatoren, Personenkulte, und ideologischen Dogmatismus angeht. Diktatoren und Massenmörder wie Mao oder Hoxha sind für uns selbstredend keine Vorbilder.“

Ewald Leppin und Lore Albrecht zeigten den Teilnehmenden der Jugendkonferenz beispielhaft und mit vielen persönlichen Eindrücken auf, wie es – auch in Reaktion auf 1968 – zum sogenannten „Radikalenerlasses“ von 1972 kam, der zum Berufsverbot auch vieler Lehrkräfte führte. „Hiermit wurde deutlich, dass politische Repression und Bespitzelung nicht nur zum Alltag in der DDR gehörten, sondern auch in der BRD,“ sagte Franzi Hense dazu. „Das ist heute weder west- noch ostsozialisierten jungen Menschen bekannt.“

Mit einem verbesserten Verständnis dafür, wie die Bewegungen um und nach 1968 vieles im Alltag – von der Wohngemeinschaft bis zum kritischen Umgang mit pädagogischer Autorität – maßgeblich veränderten, gingen die jungen Menschen mit vielen Impulsen zurück in ihren Landesverbänden, auch in der Sicherheit, dass die feministischen, antidiskriminatorischen und emanzipatorischen Projekten der 68er noch tagesaktuell sind.