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Steinbacher Appell: Gute Arbeit am Goethe-Institut

Im April 2014 trafen sich auf Einladung der GEW rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Steinbach am Taunus, um über die „zukünftige Arbeitswelt am Goethe-Institut weltweit“ zu diskutieren. Aus den Ergebnissen der Tagung hat der Arbeitsgruppenvorstand der GEW beim Goethe-Institut den folgenden Appell entwickelt, der in neun Thesen die Anforderungen der Beschäftigten an die zukünftige Arbeitswelt auf den Punkt bringt. Die darin formulierten Ziele dienen seither als Richtschnur für die Arbeit der AG Goethe in der GEW.

Präambel

Das Goethe-Institut hat einen klangvollen Namen und genießt völlig zu Recht einen guten Ruf als Kultur- und Bildungsträger in einem weltweiten Netzwerk. Es nimmt für sich in Anspruch, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. In der Zielvereinbarung 2015 bis 2018 zwischen dem Auswärtigem Amt und dem Goethe-Institut ist die soziale Verantwortung des Goethe-Instituts gegenüber seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich festgehalten.

Zugleich macht aber die Umgestaltung der Arbeitswelt auch vor dem Goethe-Institut nicht halt. Die Beschäftigten sehen sich mit neuen Aufgaben und stetig wachsenden Anforderungen konfrontiert, ohne dass dem durch angemessene Arbeitsbedingungen Rechnung getragen würde. In allen Arbeitsbereichen schreitet die Digitalisierung voran, kommen neue Medien und neue Software zum Einsatz. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse werden ausgeweitet, während unbefristete Festanstellungen zum Ausnahmefall werden. Die Folge ist eine zunehmende Entgrenzung und Verdichtung der Arbeit.

Die Beschäftigten schätzen das Goethe-Institut als unabhängige Mittlerorganisation der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Gerade weil sich viele Beschäftigte mit dem Goethe-Institut und den Inhalten der Arbeit stark identifizieren, ist die Bereitschaft zur Selbstausbeutung groß.
 
Wir sind der Meinung, dass gute Arbeit, wie sie die Beschäftigten des Goethe-Instituts leisten, auch gute Arbeitsbedingungen benötigt. In dieser Hinsicht hat das Goethe-Institut einen erheblichen Nachholbedarf. Die folgenden Thesen skizzieren Elemente einer zukünftigen Arbeitswelt, die aus Sicht der Beschäftigten zentrale Bedeutung dafür haben, dass das Goethe-Institut seinem Anspruch als attraktiver Arbeitgeber gerecht wird.

1. Planbare Berufsperspektiven schaffen

Beschäftigte haben – unabhängig vom Arbeitsort – einen Anspruch auf ein Gehalt, von dem man leben kann, und eine umfassende soziale Absicherung durch den Arbeitgeber. Stabile Beschäftigungsbedingungen mit unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnissen sollten daher die Regel sein, nicht e Ausnahme.

Dieser Grundsatz soll für alle Standorte des Goethe-Instituts und für alle Beschäftigtengruppen gelten. Beschäftigte „1. Klasse und 2. Klasse“ darf es ebensowenig geben wie Niedriglöhne oder den Missbrauch von Befristungsmöglichkeiten. Teilzeit und Freie Mitarbeit sind nur dann akzeptable Beschäftigungsformen, wenn sie mit den Wünschen und der Lebensplanung der so beschäftigten Menschen übereinstimmen. Damit sie frei sind, sich gegen diese Beschäftigungsform zu entscheiden, müssen ihnen Angebote auf eine Festanstellung oder Aufstockung auf Vollzeit gemacht werden.

2. Aufgabengerechte Personalstruktur gewährleisten

Die Linienaufgaben des Goethe-Instituts definieren die Kernbereiche seiner Arbeit. Diese müssen mit festen Stellen ausgestattet sein. Dies gilt für die Sprach- und Programmarbeit ebenso wie für die Bibliothek und die Verwaltung. Viele Kolleg/innen übernehmen Aufgaben und Verantwortlichkeiten, für die sie weder angemessen qualifiziert noch bezahlt werden.

Grundlage für eine aufgabengerechte Personalstruktur ist eine vorausschauende Personal- und Personalbedarfsplanung, so dass anstehende Aufgaben ohne zusätzliche Arbeitsbelastung durch das vorhandene Personal bewältigt werden können. Dazu gehört eine angemessene Vertretungsreserve, um Mehrarbeit im Rahmen wiederkehrender Ereignisse (Urlaub, Krankheit, Sommerspitze, etc.) abfangen zu können, ohne auf atypische Beschäftigungsverhältnisse zurückgreifen zu müssen. Die Mehrzahl der Arbeitsaufgaben sollte durch Festangestellte geleistet werden. Befristete Verträge sollen die Ausnahme sein.

Eine aufgabengerechte Personalstruktur setzt voraus, dass die Beschäftigten ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt und bezahlt werden. Die Praxis, Hilfskräfte und Praktikant/innen in Linienaufgaben einzusetzen, darf so nicht fortgesetzt werden.

3. Arbeitsverdichtung und Entgrenzung entgegenwirken

Die Arbeit im Goethe-Institut wird zunehmend verdichtet, zugleich wird die tatsächliche Arbeitszeit immer mehr entgrenzt. Dies geschieht nicht nur durch den Abbau von Stellen bei gleichzeitiger Erweiterung der Arbeitsaufgaben wie z.B. Drittmittelakquise, Evaluationen oder die Kommunikation über soziale Medien. Auch der Einsatz neuer Software führt zu weiteren Erschwernissen, da ihre Einführung oft nur unzureichend vorbereitet wird bzw. die Programme nicht ihre versprochene Funktion erfüllen. Mobile Kommunikationsgeräte ermöglichen die fortwährende Erreichbarkeit, die sukzessive zur Pflicht wird. Mitarbeiter/innen auf allen Ebenen spüren den Druck, sich permanent selbst optimieren und kontrollieren zu müssen.

Der Verdichtung und Entgrenzung kann und muss auf vielen Ebenen entgegengewirkt werden. Das Goethe-Institut muss zu einer Arbeitskultur gelangen, die den Wert von freier Zeit und Freizeit für eine ausgeglichene Arbeits- und Lebenszeit aller Mitarbeiter/innen anerkennt. Neben einer aufgabengerechten Personalstruktur sind klare Regelungen zu Pausenzeiten, Erholung, Gesundheitsförderung sowie eine strikte Grenzziehung zwischen Arbeit und Freizeit dringend geboten. Mehrarbeit muss die Ausnahme sein. Sie muss auf allen Ebenen der Beschäftigung bezahlt oder durch zeitlichen Ausgleich zeitnah kompensiert werden.

4. Honorarlehrkräfte angemessen bezahlen und sozial absichern

Ein großer Teil des regulären Unterrichtsbetriebs an Goethe-Instituten im In- und Ausland wird durch befristet oder auf Honorarbasis Beschäftige geleistet, vor allem in den Klassenräumen und in den Verwaltungen. Dort, wo diese Beschäftigten dauerhaft Lehr-, Prüfungs- und Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, müssen sie sozialversichert beschäftigt werden. Dort, wo der Arbeitgeber auf atypische Beschäftigungsverhältnisse zurückgreift, sollen auch für diese sozialversicherungsrelevante Regelungen vereinbart werden, z.B. durch einen Tarifvertrag, der Zuschüsse für die Sozialversicherung und eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Auftraggeber festschreibt.

5. Partizipation der Mitarbeiter*innen ausbauen

Gute Arbeitsbedingungen können nur mit einer starken Interessenvertretung für alle Beschäftigtengruppen dauerhaft gesichert werden. Das Goethe-Institut hat eine gute Kultur der betrieblichen und gewerkschaftlichen Vertretung von Arbeitnehmerinteressen. Diese gilt es weiter auszubauen.

Strukturell muss die Vertretung der Beschäftigten auch auf diejenigen ausgeweitet werden, die als Freie Mitarbeiter/innen und Ortskräfte durch die vorhandenen Arbeitnehmervertretungen bisher nur eingeschränkt repräsentiert werden. Die Interessensvertretung aller Arbeitnehmer/innen ist ein Grund- und Menschenrecht, das nicht statusbezogen eingeschränkt werden darf.

In der praktischen Umsetzung muss die Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen verbessert werden, z.B. im Bereich der Personalplanung oder bei der Einführung neuer Technologien. Nur durch eine frühzeitige Information und Beteiligung können Implementierungs- und Anwendungsprozesse so gestaltet werden, dass die neuen Technologien von den Beschäftigten getragen und akzeptiert werden. Die Erfahrung zeigt auch: Es sind die Arbeitnehmervertretungen, die frühzeitig auf erhöhten Personal- und Fortbildungsbedarf hinweisen.

6. Hohe Qualität der Arbeit sichern, Karrierewege öffnen

Eine hohe Qualität der Arbeit lässt sich nur als dauerhafter Prozess sichern, in dem alle Beschäftigten einen regelmäßigen Anspruch auf tätigkeitsbezogene Fortbildungen haben. Die Fortbildungen müssen üblicherweise in der Arbeitszeit stattfinden und vom Arbeitgeber bezahlt werden. Auch Honorarlehrkräfte haben einen Anspruch auf vom Arbeitgeber finanzierte Fortbildungen. Digitale Fortbildungen am eigenen Arbeitsplatz bedeuten eine Mehrbelastung für die Beschäftigten und erhöhen Zeitdruck und Arbeitshetze. Die Rahmenbedingungen für Online-Schulungen müssen so ausgestaltet werden, dass daraus keine zusätzlichen Belastungen für die Teilnehmer/innen entstehen. Bei fachlich-inhaltlichen Schulungen, die nicht nur in neue Arbeitsinstrumente einführen, sollten Präsenzfortbildungen Vorrang haben. Sie bieten andere didaktische Möglichkeiten und dienen zusätzlich dem Kontakt und Austausch der Teilnehmer/innen.

Laufbahnen, Nachwuchs- und Qualifizierungsprogramme müssen allen Beschäftigten des Goethe-Instituts offenstehen, unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus. Auswahlentscheidungen sind transparent zu treffen und zu begründen. Neue Aufgaben und Arbeitsanforderungen sollen sich in einer angemessenen (Höher-)Bewertung der Tätigkeit niederschlagen.

Die Einführung neuer Technologien (Software, neue Medien im Unterricht) ist durch umfangreiche Schulungsmaßnahmen zu begleiten.

7. Arbeitsbedingungen umfassend tariflich regeln

Gute Arbeit lässt sich vor allem durch kollektiv ausgehandelte Normen gestalten. Nur Tarifverträge, die die Arbeitsbedingungen aller Beschäftigtengruppen an allen Standorten umfassen, können tatsächlich faire und gleiche Verhältnisse garantieren. Sofern die Beschäftigungsbedingungen nach Landesrecht ausgestaltet und verhandelt werden, muss das Goethe-Institut sich an den eigenen gehobenen Standards orientieren. Tariffreie Zonen darf es am Goethe-Institut in Zukunft nicht mehr geben, weder für Freie Mitarbeiter/innen noch für Ortskräfte oder Leiharbeitnehmer/innen.

In vielen Fällen wird gleiche Arbeit beim Goethe-Institut unterschiedlich bezahlt – zum Beispiel abhängig vom Beschäftigungsstatus, vom Arbeitsort oder von der Finanzierungsquelle. Um diese Absurditäten zu beenden, sind die Regelungen in den verschiedenen Tarifverträgen so weit wie möglich aneinander anzugleichen.

8. Vereinbarkeit der Arbeit mit allen Lebenslagen verbessern

Gute Arbeit soll grundsätzlich allen Menschen in allen denkbaren Lebenslagen zugänglich sein. Das umfasst neben der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Gleichstellung von Frauen und Männern auch die Weiterentwicklung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM), der Schwerbehindertenvertretung und alternsgerechter Arbeitsbedingungen.

Die vorhandenen gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind auszubauen. Sie erreichen nicht alle Beschäftigtengruppen gleichermaßen und müssen insbesondere für Freie Mitarbeiter/innen, Teilzeitbeschäftigte und befristet Beschäftigte noch deutlich verbessert werden. Die Vereinbarkeit der Arbeit mit allen Lebenslagen wird auch durch die zunehmende Entgrenzung und Verdichtung der Arbeit erschwert. Liegt die Dienststelle im Ausland, haben mitreisende Lebenspartner/innen oft nur eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten. Hier soll das Goethe-Institut stärker aktiv werden, um qualifizierten Partner/innen erfolgreich Arbeitsmöglichkeiten zu vermitteln und ggf. fehlende Beitragsjahre in der Rentenversicherung zu kompensieren.

9. Kulturaustausch als unabhängiges Ziel verteidigen

Die Arbeit des Goethe-Instituts soll in erster Linie dem Kulturaustausch und der Vermittlung der deutschen Sprache sowie eines aktuellen und realitätsnahen Deutschlandbildes dienen. Für die Beschäftigten ist die Unabhängigkeit des Goethe-Instituts ein hoher Wert. Die Steuerung über eine zunehmend zweckgebundene Mittelvergabe für vom Zuwendungsgeber gewünschte Einzelprojekte wirkt sich negativ auf die Arbeitsbedingungen aus, weil dadurch befristete und atypische Beschäftigungsverhältnisse befördert werden. Die Tendenz, die institutionellen Grundmittel des Goethe-Instituts sukzessive durch Projektmittel zu ersetzen, muss umgekehrt werden.