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DDS - Die Deutsche Schule: 3/2023

Was kann die Einzelschule gegen Bildungsungleichheit ausrichten?

Die DDS – Die Deutsche Schule, die wissenschaftliche Zeitschrift der GEW, setzt sich in der Ausgabe 3/2023 kritisch mit Prämissen, Ansätzen und Praktiken der Schulentwicklung(sforschung) auseinander.

Können Einzelschulen Bildungsungleichheiten abbauen, begrenzen sie deren Entwicklung oder machen sie es vielleicht sogar schlimmer? (Foto: Pixabay/CC0)

Ein die Autonomie der Einzelschule betonender Reformansatz steht sei einigen Jahren wieder hoch im Kurs: Schulen in sozial schwieriger Lage sollen befähigt werden, Unterricht, Personal, Schulkultur, organisatorische Abläufe und Kooperationsbeziehungen so weiterzuentwickeln, dass soziokulturell benachteiligte Schülerinnen und Schüler bessere Bildungschancen erhalten und soziale Ungleichheiten abgebaut werden. Dabei ist das Thema Schulautonomie auf der bildungspolitischen Agenda der Länder, aber auch des Bundes, zentral.

Schulentwicklung lautet das Schlagwort für eine dezentralisierte Reformstrategie, die an den konkreten Problemen vor Ort ansetzen soll: Schulleitungen, Lehrkräfte und andere Akteurinnen und Akteure vor Ort sind demnach am ehesten in der Lage, Strategien und Maßnahmen zu entwickeln, mit denen sich die Qualität der Bildungsprozesse für die eigenen Schülerinnen und Schüler verbessern lässt. 

In diesem Sinne entstanden in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Landesprogrammen sowie die Bund-Länder-Initiative „SchuMaS“ („Schule macht stark“). Auch das „Startchancen“-Programm geht in Richtung Bekräftigung der Einzelschulentwicklung.

Doch inwieweit ist die Erwartung, dass die einzelne Schule sozial unterschiedliche Startvoraussetzungen wirksam ausgleichen kann, gerechtfertigt? Die empirischen Befunde, die aus der Begleitforschung einschlägiger Schulentwicklungsprogramme bislang vorliegen, geben Grund zur Skepsis. 

Offene Fragen und Stand der Forschung

Wissenschaftlich bleibt unklar, inwieweit welche Merkmale ursächlich für gute Bildungsergebnisse von Schülerinnen und Schüler an Schulen in sozial benachteiligter Lage sind. Zudem können Schulen Herkunftseffekte allenfalls zu einem gewissen Grad kompensieren. Drittens tragen Schulen und die sie umgebenden Institutionen selbst zu einer Verschärfung oder zumindest einer Reproduktion sozialer (Bildungs-)Ungleichheiten bei.

Was also folgt daraus: Können (Einzel-)Schulen soziale (Bildungs-)Ungleichheiten aktiv abbauen, begrenzen sie deren Entwicklung oder machen sie es vielleicht sogar schlimmer? Wie kann die Arbeit in und von Schule zum Abbau von Ungleichheiten im Bildungserwerb (weiter-)entwickelt werden und welche (empirisch belastbaren) Hinweise zu vielversprechenden Ansätzen liegen im In- und Ausland bereits vor? Wie kann bzw. sollte die Prozess- und Ergebnisqualität (besser) evaluiert werden? Welche Forschungsansätze sind dafür geeignet?

Die Ausgabe 3/2023 setzt an diesen Fragen an. Es reflektiert den Stand der empirischen Forschung und Theoriebildung, präsentiert Ansätze und Erfahrungen aus Schulentwicklungsprojekten und macht auf blinde Flecken in der bildungspolitischen und vor allem wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem ungleichheitsreduzierenden Potenzial der Einzelschule aufmerksam.

  • Im ersten Beitrag umreißen Alexandra Marx und Kai Maaz relevante Zieldimensionen der Schulentwicklung(sforschung) und geben einen Überblick über den derzeitigen Forschungsstand zu Merkmalen erfolgreicher Schulen in sozial benachteiligter Lage sowie den Wirkungen von für sie etablierten Schulentwicklungsprogrammen und -maßnahmen. Das Ergebnis ihrer Analyse erläutert Prof. Maaz auch im E&W-Interview.
  • Im darauf folgenden Beitrag befasst sich Marcus Emmerich mit der grundlegenden Frage, wie soziale Bildungsungleichheit als Gegenstand der Schulentwicklungsforschung theoretisch konzeptualisiert wird.

Berichte zu ausgewählten Schulentwicklungsprojekten und -programmen

  • Eunji Lee, Susanne Böse, Marko Neumann, Therese Gesswein und Kai Maaz. In ihrem Bericht stellen sie sowohl das Berliner „Bonus“-Programm als auch ausgewählte Ergebnisse ihrer das Programm evaluierenden BONUS-Studie vor.
  • Bericht von Isabell van Ackeren-Mindl, Nina Bremm und Heinz Günter Holtappels zum Projekt „Potenziale entwickeln  – Schulen stärken“ (PeSs).
  • Julia Vaccaro umreißt in ihrem Bericht das Programm „23+ Starke Schulen“ in Hamburg, das seit nunmehr zehn Jahren Schulen in sozial benachteiligten Lagen adressiert.
  • Einblicke in das Programm „Ein Quadratkilometer Bildung“, das als einziges der im Heft vorgestellten Schulentwicklungsprogramme nicht (primär) in staatlicher Verantwortung liegt, gibt Silke Lock in ihrem Bericht.

Diskussionsbeiträge zur Weiterentwicklung der deutschen Schulentwicklungsforschung und -praxis

  • Melinda Erdmann, Marcel Helbig und Irena Pietrzyk mahnen in ihrem Diskussionsbeitrag für zukünftige Schulentwicklungsprogramme in Ergänzung zu den gegenwärtig dominierenden Prozessevaluationen systematische, methodisch abgesicherte Wirkungsanalysen an. 
  • Nils Berkemeyer und Björn Hermstein argumentieren in ihrem Diskussionsbeitrag für eine kritische Schulsystementwicklungsforschung, deren Fokus sich den Autoren zufolge nicht auf die Ebene der Einzelschule beschränken darf. 

Weitere Beiträge zum Schwerpunktthema

  • In einem Bericht legt Max Nachbauer den Fokus auf die Ebene der Unterrichtsentwicklung, die in diesem Heft ansonsten nicht im Vordergrund steht. 
  • Ein bereits online-first veröffentlichter Diskussionsbeitrag von Wilhelm Kelber-Bretz unterstreicht aus schulpraktischer Perspektive Nachbauers Empfehlung, rein schüler*innenzentrierte Unterrichtsmethoden zugunsten von ausgewogenen Unterrichtsmethoden mit stärker lehrkraftzentrierten Anteilen zurückzustellen.
  • Den Abschluss des Heftes bildet eine von Sören Torrau verfasste Rezension des 2022 erschienenen Handbuchs Demokratiepädagogik, das er als ein Dokumentationsvorhaben charakterisiert, das die verschiedenen Lesarten und Bausteine der Demokratiepädagogik miteinander ins Gespräch zu bringen sucht und dabei praxis- wie forschungsaffine Leser*innen gleichermaßen anzusprechen vermöge.

Über die DDS

Die Deutsche Schule (DDS) ist eine seit 1908 erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift, die eine Verbindung herstellt zwischen Bildungsforschung, Bildungspraxis, Bildungspolitik und Bildungsadministration. Ziel und Anspruch der DDS ist der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die relevanten Diskurse zur Förderung der demokratischen Entwicklung und Qualität der Bildungseinrichtungen und -prozesse sowie zur Weiterentwicklung der pädagogischen Professionen. Sie richtet sich an Lehrkräfte und Schulleitungen ebenso wie an Wissenschaftler:innen und Entscheidungsträger:innen auf allen Ebenen des Bildungssystems.

Die DDS wird von der GEW herausgegeben und ist den Grundsätzen der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit verpflichtet. Sie wird von einer interdisziplinären Redaktion geleitet und von einem Beirat mit Expert*innen aus Wissenschaft, Administration, Politik und Praxis begleitet. Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich.

Einen Überblick aller Ausgaben gibt es hier.