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Neues Messinstrument für faire Entlohnung

Gemessen an Anforderungen und Belastungen ist die Arbeit von Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen gleichwertig mit der von Elektrotechnikingenieuren. Diese bekommen für ihren Job jedoch rund 40 Prozent mehr Geld – wie ein neuer Index belegt.

Die  Soziologin Sarah Lillemeier hat gemeinsam mit Ute Klammer vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen und Christina Klenner vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung den sogenannten Comparable-Worth-Index entwickelt, der verschiedene Aspekte von Arbeit geschlechtsneutral abbildet und inhaltlich unterschiedliche Berufe vergleichbar macht. Die GEW-Onlineredaktion sprach mit Lillemeier über die Ergebnisse des Projektes, die bei der Abschlusstagung am 16. März vorgestellt werden sowie über daraus abzuleitende politische Handlungsansätze.

Sarah Lillemeier: Der CW-Index ist ein Messinstrument, das berufliche Anforderungen und Belastungen per Statistik geschlechtsneutral sichtbar macht. Wir schauen uns dabei in Anlehnung an ein geschlechtsneutrales Arbeitsbewertungsverfahren vier Dimensionen an: Welche Anforderungen stellt die jeweilige Tätigkeit hinsichtlich Wissen und Können, hinsichtlich psychosozialer Belastungen, hinsichtlich physischer Belastungen, hinsichtlich Verantwortung? Diese vier Dimensionen betrachten wir, vergeben Punktwerte für das jeweilige Ausmaß der Anforderungen und Belastungen und addieren diese zu einer Gesamtsumme. Im CW-Index gibt es dann 18 Indexgruppen, in denen jeweils Berufe mit gleicher Punktzahl zusammengefasst sind, die also gleiche oder gleichwertige Anforderungen und Belastungen aufweisen. Das sind Berufe, die im Sinne einer geschlechtsneutralen Leistungsgerechtigkeit auch gleich entlohnt werden sollten.

  • E&W: Auf welche Beispiele sind Sie gestoßen, bei denen dies indes nicht der Fall ist?

Lillemeier: Da lassen sich etwa die Sorgeberufe nennen. Das sind Tätigkeiten, die häufiger von Frauen ausgeübt werden. Lehrerinnen oder Altenpflegerinnen und Krankenpflegerinnen punkten im Index zwar sehr hoch, weisen also sehr hohe Anforderungen und Belastungen auf, sind aber mit Blick auf den Verdienst am unteren Ende ihrer jeweiligen Gruppe anzusiedeln. Fachkräfte im Primar- und Vorschulbereich, Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen, haben einen CW-Index von 27 Punkten – das sind drei Punkte über dem Durchschnitt aller Berufe. Die Anforderungen und Belastungen in diesem Bereich sind also recht hoch. Der Durchschnittsstundenlohn liegt dort bei 17,78 Euro brutto, der Frauenanteil bei 94 Prozent. Einen CW-Index von 27 Punkten haben auch Ingenieure in der Elektrotechnik, Elektronik und Telekommunikation. Dort liegt der Frauenanteil jedoch bei acht Prozent - und der Durchschnittsverdienst bei 30,13 Euro pro Stunde.

  • E&W: Lässt sich daraus eine grundsätzliche Schlussfolgerung für den Bildungsbereich ziehen?

Lillemeier: Die sogenannte Devaluationshypothese geht davon aus, dass Anforderungen und Belastungen in weiblich dominierten Berufen grundsätzlich geringer bewertet werden als in klassisch männlichen Berufen. Das führt letztlich dazu, dass sogenannte Frauenberufe auch deshalb schlechter  entlohnt werden, weil sie hauptsächlich von Frauen ausgeübt werden. Diese theoretische Annahme haben wir mithilfe unseres Indexes statistisch überprüft – und gesehen, dass sie in diesem Bereich zutreffend ist. Gesellschaftlich glauben wir zwar daran, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt leistungsgerecht entlohnt werde, allerdings zeigen unsere Analysen mit dem CW-Index erstmals statistisch, dass die Arbeitsleitung von Frauen im Durchschnitt geringer entlohnt wird als die von Männern. Unsere Studien zeigen außerdem, dass diese geschlechterdifferente Entlohnung von Anforderungen und Belastungen zu einem nicht unerheblichen Teil für den Gender Pay Gap mitverantwortlich ist.

  • E&W: Welche Forschungsergebnisse sollten in welche politischen Forderungen münden?

Lillemeier: Ganz zentral ist es, ins Feld zu führen, dass wir weit davon entfernt sind, Arbeit geschlechtsneutral zu bewerten. Dass das indes nichts mit bewusster Diskriminierung zu tun hat, sondern dass dabei tief verwurzelte Geschlechterstereotypen wirksam werden. Die Bewertung von Arbeit muss auf betrieblicher Ebene stärker auf diese Schieflagen überprüft werden – und zwar verpflichtend. Außerdem müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir etwas an den geringen Verdiensten in den Sorgeberufen ändern können, die hochgradig gesellschaftlich relevant sind. Gewerkschaften könnten in Tarifverhandlungen Aspekte der geschlechtsneutralen Bewertung von Arbeit nochmal stärker deutlich machen. Das ist das, was der CW-Index leisten kann: Argumente schaffen für die Notwendigkeit der Aufwertung weiblicher Erwerbsarbeit. Auch die GEW könnte diese Argumente möglicherweise im Zusammenhang mit der Forderung nach A13 für alle und einer fairen Entlohnung der Anforderungen und Belastungen von Grundschullehrerinnen nutzen.

Sarah Lillemeier von der Universität Duisburg-Essen entwickelte den CW-Index mit.