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Lehrstuhlprinzip überwinden, Arbeitsbedingungen verbessern

Gemeinsam haben das Netzwerk "Gute Arbeit in der Wissenschaft" (NGAWiss) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) über eine aufgabengerechte Personalstruktur für die Hochschulen der Zukunft debattiert.

Foto: GEW
Foto: GEW

Rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren auf Einladung der GEW und des NGAWiss in die Technische Universität Berlin gekommen, um über Forderungen für eine neue Personalpolitik in der Wissenschaft zu debattieren. „Das Interesse an einer Veränderung der Hochschulen ist offenbar groß“, stellte Peter Ullrich (NGAWiss) in seiner Begrüßung der Tagungsgäste fest. Heute stehen wenigen Professorinnen und Professoren Scharen an wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber, die in der Regel in Abhängigkeit gehalten und mit Kurzzeitverträgen abgespeist werden. Das darf nicht so bleiben – darin waren sich alle Rednerinnen und Redner der Tagung einig.

„Der Löwenanteil der Forschung und Lehre an den Universitäten wird schon heute von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ohne Lehrstuhl geleistet“, machte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller deutlich. Die Tagung sollte deshalb auch das Signal senden, dass auch wissenschaftspolitische Akteure wie die Hochschulrektorenkonferenz an dieser Erkenntnis nicht vorbei kommen – und dass das Thema Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft auch von der neuen Bundesregierung nicht ignoriert werden darf.

Sonderbefristungsrecht reformieren – oder abschaffen?

„Immer wieder stößt man auf die Behauptung, nach einer Entfristung ihrer Stelle würden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler faul“, berichtete Stefanie Graefe (NGAWiss); aus eigener Erfahrung aber könne sie sagen, dass das Gegenteil der Fall ist: Der Übergang auf einen akzeptierten Status im Wissenschaftssystem wirke sich im Allgemeinen positiv auf die Motivation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus. Kontroverse Debatten gab es darüber, ob die Wissenschaft ein reformiertes Sonderbefristungsrecht braucht oder ob das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ersatzlos abgeschafft werden sollte. Für die Promotion, so argumentierten viele, ist die Verankerung einer besonderen Befristungsmöglichkeit durchaus vernünftig.

Wer im Anschluss an die Promotion weiter in der Wissenschaft beschäftigt ist, sollte allerdings eine berechenbare und langfristige Perspektive haben. Für einige der Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer ist für diese Phase eine zunächst befristete Beschäftigung akzeptabel, sofern sie mit einem Tenure Track verknüpft ist, also Aussicht auf ein transparentes Verfahren zur Entfristung bietet; andere halten Sonderbefristungsmöglichkeiten für die Postdoc-Phase grundsätzlich für unangemessen. Insgesamt aber hielt etwa Thomas Hoffmann (GEW) fest: „Die Gemeinsamkeiten der Konzepte von NGAWiss und GEW sind groß.“

Viele gemeinsame Ziele

Adäquate Stellen für Doktorandinnen und Doktoranden sowie für studentische Beschäftigte, eine angemessene Vergütung von Lehraufträgen und Titellehre, die Abschaffung des Lehrstuhlprinzips sowie eine deutliche Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen – für diese Ziele treten GEW und NGAWiss gemeinsam ein. Anneliese Niehoff von der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen lud die GEW ein, die Kategorien Gender und Diversity noch konsequenter in ihre Analysen einzubeziehen. Diesen Ball griff Anne Krüger aus der GEW-Projektgruppe „Wege zum Traumjob Wissenschaft“ auf und schlug vor, intensiver über Auswahlmechanismen für Stellen, Stipendien und Professuren in der Wissenschaft zu sprechen – an dieser Stelle könnten die Konzepte und Forderungen der GEW wie des NGAWiss noch weiterentwickelt werden.

Torsten Bultmann, Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), betonte, dass die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft eng mit wissenschaftspolitischen Paradigmenwechseln, insbesondere mit der zunehmenden Drittmittelfinanzierung der Hochschulen, verknüpft ist: Es mache deshalb keinen Sinn, über die Exzellenzinitiative zu jubeln und gleichzeitig über die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu klagen.

Dicke Bretter bohren

Über Finanzierungsstrukturen in der Wissenschaft wurde auch mit den Vertretern der Parteien debattiert. Matthias Trenczek (SPD), Christian Schaft (LINKE) und Martin Scheuch (Bündnis 90/Die Grünen) machten deutlich, wie schwierig eine Abkehr etwa von der Exzellenzinitiative politisch durch- und umzusetzen wäre – gleichermaßen betonten Vertreterinnen und Vertreter von NGAWiss und GEW, wie dringend notwendig sie trotzdem ist.

Auch die konkreten Forderungen der beiden Veranstalter zu einer Verbesserung der Arbeitsverhältnisse bedeuten offenbar das Bohren dicker Bretter. „Unsere Forderungen klingen utopisch, dabei geht es im Grunde um die Forderung nach Normalität“, verdeutlichte Tilman Reitz (NGAWiss). Verlässliche Arbeitsverhältnisse seien keine Revolution, aber gemessen an den Strukturen des Universitätssystems eine ziemlich radikale Forderung. „Wir haben einen langen Weg vor uns“, konstatierte auch Ulrike Stamm (NGA) in ihren Schlussbemerkungen, und Andreas Keller bestätigte: „Das ist erst der Auftakt für unsere Zusammenarbeit.“

Aus Anlass der Tagung stellte die GEW ihren Reformvorschlag für eine Personal- und Karrierestruktur an Universitäten vor, den der Gewerkschaftstag der Bildungsgewerkschaft verabschiedet hat. Ziel der GEW ist die Aufwertung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern neben der Professur: mehr Eigenverantwortung in Lehre und Forschung, Dauerstellen für Daueraufgaben sowie berechenbare Karrierewege.

Foto: GEW
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