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Frieden durch Dialog: Tunesien als Vorbild?

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte den Lehrer, Gewerkschafter und designierten Friedensnobelpreisträger Houcine Abassi nach Berlin eingeladen, um über die Rolle der Zivilgesellschaft beim Übergang zur Demokratie in Tunesien zu diskutieren.

Der Titel der Podiumsdiskussion, zu der die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) am 20. November 2015 nach Berlin eingeladen hatte, war schon eine Herausforderung. Erst die Feststellung, dann das Fragezeichen. Der Lehrer und designierte Friedensnobelpreisträger Houcine Abassi, erklärte den sehr aufmerksamen, erfreulich vielen jüngeren Zuhörer_innen den Weg der demokratischen Entwicklung in Tunesien. Schon in seiner Arbeit in der Schule lernte er, dass sich Probleme nur im Dialog mit den Beteiligten lösen lassen. Abassi trat als Lehrer 1973 der UGTT (Union Générale Tunisienne du Travail), dem Dachverband der tunesischen Gewerkschaften bei, zu deren Generalsekretär er in der Folge der tunesischen Revolution 2011 gewählt wurde.

Grundlagen für den demokratischen Prozess

In der nachrevolutionären Zeit, wo Tunesien in ein Chaos zu stürzen drohte, gelang es Abassi Bündnispartner zu finden in der Tunesischen Liga für Menschenrechte (LTDH) , dem Arbeitgeberverband (UTICA) und der Anwaltskammer, die bei allen Unterschieden, das Ziel einte, die Stabilität und den Zusammenhalt in der Gesellschaft wiederherzustellen. So entstand das 'Quartett für den nationalen Dialog'. Die UGTT war im Land die einzige zivilgesellschaftliche Organisation, die Erfahrung im Dialog hatte und weit über die Gewerkschaften hinaus Anerkennung und Unterstützung in der Bevölkerung fand. In langen, zähen Verhandlungen erreichten die Bündnispartner einen Konsens, der zu Gesetzesvorlagen führte, die Grundlagen für den demokratischen Prozess in Tunesien wurden.

Dialog mit dem politischen Islam

Michael Sommer, auch in seiner neuen Aufgabe als stellvertretender Vorsitzender der FES immer noch Vollblutgewerkschafter, hob hervor, dass sich die internationale Gewerkschaftsbewegung stets als Teil einer demokratischen Zivilgesellschaft verstanden habe. Die UGTT habe in der Dekolonisierungsbewegung sehr an Statur gewonnen und wurde hierbei vom Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) begleitet und unterstützt. Aber auch die FES habe durch ihre Hilfe zum Dialog mit Fachleuten unterstützend zur Seite gestanden. Abassi unterstrich, dass es im Dialog mit dem politischen Islam in Tunesien, anders als in Ägypten mit seiner schwachen Zivilgesellschaft, gelungen ist, dass der Islam eine moderne Zivilgesellschaft und ihre 'rules of the game' akzeptiert und sich so einem säkularen, demokratischen Staatsgebilde unterordnet. Dies war aber auch nur möglich, weil die UGTT als vom Staat unabhängige, fest in der Zivilgesellschaft verankerte Organisation akzeptiert wurde.

Bewährungsprobe für die junge Demokratie in Tunesien

Durch die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Einbrüche in der Wirtschaft und Destabilisierungsversuche durch terroristische Attentate wird der Zivilgesellschaft viel Mut und Durchhaltevermögen abverlangt. Die UGTT sieht dies jedoch nicht als Rückschläge, sondern als Bewährungsprobe des eingeschlagenen Demokratisierungs- und Friedensprozesses an. Michael Sommer betonte mit Stolz, dass die Verleihung des Friedensnobelpreises an den 'Vater des nationalen Dialogs', den Vorsitzenden der UGTT Houcine Abassi und das Tunesische Quartett, auch ein Preis stellvertretend für viele Gewerkschaften auf der Welt sei. Houcine Abassi wies in aller Bescheidenheit den Titel des 'Vaters' des Dialogs zurück und wollte lieber 'Initiator' des Dialogs genannt werden.

Nobelpreise als Würdigung für Dialog und Bildung

Als Bildungsgewerkschaft erfüllt es die GEW mit besonderer Freude, dass 2015 mit Houcine Abassi ein Lehrer, der an der Gewerkschaftsspitze seines Landes steht, ausgezeichnet wird, nachdem das Nobelpreiskommittee bereits im Vorjahr mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Inder und Aktivisten gegen Kinderarbeit, Kailash Satyarthy und die Pakistanerin und mutige Vorkämpferin für die Bildung von Mädchen, Malala Yousafzai, die Bedeutung von Bildung für den Frieden auf dieser Welt hervorhebt und würdigt.