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Faire Hochschulzulassung: Berlin ist gefragt

Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Numerus Clausus auf den Prüfstand gestellt hat, fordert die GEW weitere Schritte: Die neue Bundesregierung müsse zügig die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen schaffen, um den NC zu überwinden.

Vor 45 Jahren fällte das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil: Das Grundrecht auf freie Berufswahl schließt ein Recht auf Hochschulzulassung ein – so steht es in der Numerus-clausus-Entscheidung von 1972. Die Karlsruher Richter kritisierten den Numerus clausus (NC) als „am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren“ und machten strenge Vorgaben für Zulassungsbeschränkungen. Die Länder schlossen daraufhin einen Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen ab und richteten die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund ein.

Fast ein halbes Jahrhundert später stehen Studienberechtigte trotzdem vor einem Problem. In vielen Studiengängen gibt es weit weniger Studienplätze als Bewerberinnen und Bewerber, viele Studiengänge haben deshalb einen NC. Denn die Länder haben sich schrittweise aus ihrer Verantwortung für die Hochschulzulassung zurückgezogen. Die ZVS wurde in die Stiftung für Hochschulzulassung umgewandelt und ist nur noch für vier Studiengänge zuständig: Medizin, Pharmazie, Zahnmedizin und Tiermedizin. Für alle anderen Fächer soll ein „dialogorientiertes Serviceverfahren“ die Vermittlung von Studienplätzen koordinieren. Das Problem: Nicht alle Hochschulen beteiligen sich – und wenn, dann nur mit einigen Studiengängen. Die Folge ist ein Zulassungschaos.

Dabei brauchen wir nicht weniger, sondern deutlich mehr akademisch qualifizierte Fachkräfte. So haben wir es inzwischen mit einem massiven Lehrkräftemangel zu tun: In einigen Regionen, sowie für mehrere Schularten und Fächerkombinationen ist der Arbeitsmarkt leer gefegt. An zahlreichen Schulen bleiben Stellen unbesetzt; in ihrer Not stellen die Länder Quer- und Seiteneinsteiger ohne einschlägige Ausbildung ein. Umso unverständlicher ist, dass gerade viele Lehramtsstudiengänge von hohen NCs betroffen sind. Häufig ist ein Studienplatz selbst mit überdurchschnittlichen Abiturnoten erst nach langen Wartezeiten zu bekommen.

„Der Bund darf NC-Hürden und Zulassungschaos nicht länger tatenlos zusehen.“

Anfang Oktober hat sich das Bundesverfassungsgericht in mündlicher Verhandlung mit zwei Richtervorlagen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen zum Thema NC auseinandergesetzt. Geprüft wird die Frage, ob die Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei. Die GEW erwartet ein neues Grundsatzurteil, das für die Hochschulzulassung insgesamt Bedeutung hat. Einerseits besteht die Hoffnung, dass Karlsruhe auf faire Zulassungschancen für alle pocht. Andererseits droht die Gefahr, dass das Gericht ausgerechnet das verbliebene Zulassungsrecht zu Fall bringt. Eine weitere Deregulierung ließe zwar viele Uni-Präsidentinnen und -Rektoren frohlocken, die auf exzellente Spitzenforschung statt soziale Öffnung der Hochschulen setzen. Doch die Folge wären unweigerlich noch weniger Studienplätze und noch höhere NCs.

Letztlich ist also nicht Karlsruhe, sondern Berlin gefragt. Der Bund darf NC-Hürden und Zulassungschaos nicht länger tatenlos zusehen. Die neue Bundesregierung muss schnellstmöglich die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen schaffen, um den NC zu überwinden. Zum einen sollte der Bund endlich seine Kompetenz nutzen und die Zulassung bundesgesetzlich regeln: Bevor Bewerberinnen und Bewerber abgewiesen werden, müssen freie Studienplätze besetzt werden. Alle Studienberechtigten müssen eine faire Chance auf ein Studium bekommen – nicht nur jene mit einem Einser-Abi oder reichen Eltern, die sich ein teures Studium im Ausland oder eine Zulassungsklage leisten können. Das gilt auch für den Übergang vom Bachelor- zum Masterstudium, bei dem immer höhere NC-Hürden zu überwinden sind.

Zum anderen muss der Bund mit den Ländern für einen bedarfsgerechten Ausbau der Studienplätze sorgen, ohne die Ausbildungsqualität zu gefährden. Wir brauchen sowohl größere Ausbildungskapazitäten durch deutlich mehr Studienplätze als auch eine bessere Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden. Der Bund muss die Länder endlich bei der Grundfinanzierung der Hochschulen unterstützen und mit einer Entfristungsoffensive für mehr Dauerstellen für Dozentinnen und Dozenten sorgen.