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„Das Soziale ist der blinde Fleck der Hochschulpolitik“

Das Deutsche Studentenwerk fordert seit langem, flankierend zu den Hochschulpakten, einen Hochschulsozialpakt für die Studenten- beziehungsweise Studierendenwerke – vor allem für den Neubau und die Sanierung von Studierendenwohnheimen.

Neben der individuellen Begabung benötigen Studierende für ein erfolgreiches Studium einige strukturelle Bedingungen: bezahlbaren Wohnraum, eine gesicherte Studienfinanzierung, mitunter ein psychosoziales Beratungsangebot ohne lange Wartezeiten, ein gutes Betreuungsangebot für ihre Kinder – und BAföG-Sätze, die ihren jeweiligen Lebensbedingungen im Studium gerecht werden. Bezahlbarer Wohnraum für Studentinnen und Studenten wird immer knapper. Das ist ein bundesweites Problem.

Wir haben ein Rekordhoch von Studierenden: 2,8 Millionen. Und wir haben geradezu explodierende Mieten in vielen Hochschulstädten. Es rächt sich bitter, dass die vorherrschende Meinung der vergangenen Jahrzehnte in einem geradezu naiven Glauben annahm, der Markt würde es schon richten. Der Markt hat es gerichtet, allerdings nur für Vermieter und zahlungskräftige Mieter – für Studentinnen und Studenten hat er überhaupt nichts gerichtet. Die Studierenden von heute müssen für dieses Marktversagen teuer bezahlen.

Neben Marktversagen haben wir auch Politikversagen. Der Ausbau der staatlich geförderten Studienplätze über die Bund-Länder-Hochschulpakte ging nicht einher mit einem Ausbau der sozialen Infrastruktur, die die 58 Studenten- und Studierendenwerke bereitstellen. Die Zahl der staatlich geförderten Studienplätze ist seit 2008 um gut 42 Prozent gestiegen, die Zahl der staatlich geförderten Wohnheimplätze nur um rund 5 Prozent. Es ist ein strukturelles Defizit der Bund-Länder-Förderpolitik für Wissenschaft und Hochschule, dass das Soziale – von bescheidenen Investitionen in die soziale Infrastruktur in einigen Bundesländern abgesehen – so gut wie ausgeklammert blieb.

Das Soziale ist der blinde Fleck der deutschen Hochschulpolitik. Das Deutsche Studentenwerk fordert deshalb seit langem, flankierend zu den Hochschulpakten, einen Hochschulsozialpakt für die Studenten- beziehungsweise Studierendenwerke – vor allem für den Neubau und die Sanierung von Studierendenwohnheimen. Unsere politische Kernforderung auch an eine künftige Bundesregierung lautet: Der Bund muss bei der Wohnraumförderung für Studierende angesichts seiner Finanzkraft dringend mit ins Boot; die Bundesländer stemmen das allein nicht. Es darf nicht so weit kommen, dass der Geldbeutel der Eltern über die Wahl des Studienorts entscheidet! Das wäre das Gegenteil von Bildungsgerechtigkeit.

„Der Anteil der BAföG-geförderten Studierenden ist auf einem historischen Tiefstand angelangt.“

Unsere jüngste Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden hat gezeigt: Der Kostendruck auf die Studierenden nimmt zu, dabei ist die Miete mit Abstand der größte Ausgabenposten. Studentinnen und Studenten jobben noch mehr neben dem Studium als in früheren Jahren, fast 70 Prozent von ihnen sind mittlerweile erwerbstätig. Das ist für den Studienerfolg nicht unbedingt förderlich.

Was mich sehr besorgt: Der Anteil der BAföG-geförderten Studierenden ist auf einem historischen Tiefstand angelangt. Weil die BAföG-Sätze nicht ausreichen, kompensieren die Studierenden dies mit vermehrter Erwerbstätigkeit – was könnten sie auch sonst tun? Darüber hinaus müssen die Eltern ihre Kinder während der Hochschulausbildung stärker unterstützen. Eine BAföG-Erhöhung pro Legislaturperiode reicht nicht, die Fördersätze müssen kontinuierlich angehoben werden. Wir brauchen einen Regelmechanismus beim BAföG, damit es mit der Entwicklung der Preise und Einkommen mitwachsen kann. Dies muss eine neue Bundesregierung, gleich welcher Couleur, sehr rasch angehen!

Fazit: Die soziale Dimension des deutschen Hochschulsystems muss grundlegend und nachhaltig gestärkt werden. Materiell, aber auch ideell, etwa beim Hochschulzugang für Studierende aus Nichtakademikerfamilien oder zum Erreichen der Mobilitätsziele im Bologna-Prozess. Denn das Soziale ist für Systemergebnisse mitentscheidend – auch in der Wissenschaft.

DSW-Präsident Dieter Timmermann / Foto: Kay Herschelmann.