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Besuch in Berliner Kita: Sprachförderung ist großes Thema

Berliner Erzieherinnen und Erzieher bekommen so wenig Geld wie sonst nirgends in der Republik. Statt nach TVöD werden sie nach TVL bezahlt. Auf ihrer "GEW in Bildung unterwegs"-Tour hat die Vorsitzende Marlis Tepe eine Hauptstadt-Kita besucht.

Marlis Tepe mit Doreen Siebernik im Rahmen der Tour 'GEW in Bildung unterwegs' in einer KiTa in Berlin (Foto: Kay Herschelmann)

Der Sommerwind zerrt an den Bäumen in der Freienwalder Straße, vom Ende der Stichstraße klingt fröhliches Kindergeschrei herüber. Hastig zieht eine junge Mutter ihr Kopftuch enger und schiebt den Kinderwagen durch das Tor zur Hausnummer 19 c. In der Kita ist Pausenzeit. Gülcan*, Anas, Saner und ihre Kameraden toben auf dem großen Holzkrokodil im Garten, zwei Erzieherinnen tanken ein paar Momente Sonne auf einer Bank.

Im Büro hat Kitaleiterin Petra Tobolt Brötchen, Kaffee und Saft auf dem Tisch arrangiert. Es hat sich wichtiger Besuch angekündigt. Auf ihrer Sommertour durch die Republik macht die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe kurz vor Ferienbeginn Station im Berliner Brennpunktviertel Wedding: Was läuft, wo klemmt es im Alltag in der Kita Freienwalder Straße? "Diese Chance lasse ich mir nicht entgehen", sagt Tobolt. Ihre Kita hat mehr als 100 Kinder, 80 sind von 9 bis 16 Uhr in der Einrichtung, viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. "Wir haben viel zu erzählen."

"Rot-rot-grün hat versprochen, die strukturellen Defizite des TVL auszugleichen."

 

Die Schwerpunkte des Austausches stehen fest: Qualitätsstandards in der pädagogischen Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung der Berliner Erzieherinnen und Erzieher. Denn sie bekommen so wenig Geld wie sonst nirgends in der Republik. Statt nach TVöD werden sie nach TVL, dem Tarifvertrag der Länder bezahlt. Gut, dass zwei Berliner Personalräte und die Berliner GEW-Vorsitzende Doreen Siebernik bei der Stippvisite in der Freienwalder Straße dabei sind.

Siebernik kennt sich aus mit der Lage vor Ort und stellt von Beginn an klar: "Es ist nicht gerecht, dass die Erzieherinnen in Berliner Kitas deutlich weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern." Der Senat müsse endlich für ein faires und konkurrenzfähiges Gehalt sorgen. "Rot-rot-grün hat versprochen, die strukturellen Defizite des TVL auszugleichen." Ansonsten suchten sich die Fachkräfte lieber einen Job im Brandenburger Speckgürtel. Schon jetzt nehmen manche lieber den Weg nach Oranienburg, Potsdam oder Falkensee in Kauf als das niedrigere Gehalt in Berlin zu beziehen.

Weniger Kinder bedeutet auch weniger Gehalt

Tobolt nickt. Das Leben mit permanentem Personalmangel gehört längst zu ihrem Alltag. Es fehlen Fachkräfte, Vollzeit will ohnehin fast niemand mehr arbeiten. Oft weiß sie am Anfang des Kitajahres nicht, wie viele Kräfte sie vor Ort hat. Im zweiten Jahr hintereinander musste sie sicherheitshalber die Zahl der aufgenommenen Kinder zurückfahren. Statt 115 sind derzeit 104 in der Einrichtung. Für Tobolt selbst bedeutet das: weniger Gehalt. "Mein Gehalt als Leitung hängt von der Kinderzahl ab und weil ich eine Zeitlang ein Kind zu wenig für meine Eingruppierung (E10, Stufe 4) hatte, wurde ich runtergestuft auf E9", sagt die Pädagogin. Besonders absurd: Weil der TVL es so will, kann sie bei steigender Kinderzahl nicht wieder auf ihre alte Gehaltsstufe zurück, sondern muss weiter unten einsteigen: E10, Stufe 3. Marlis Tepe schüttelt den Kopf. "Unmöglich, das muss sich dringend ändern."

Zumal die Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen immer problematischer würden, berichtet Tobolt. Längst türmen sich die Aufgaben für die Fachkräfte zu einem kaum noch zu bewältigenden Berg: Dokumentation und Sprachlerntagebücher, intensive Vor- und Nachbereitung und Elternarbeit, eine wachsende Zahl von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf und der Anspruch auf gelingende Inklusion ohne mehr Personal. Allein im landeseigenen Kitaeigenbetrieb City in den Bezirken Mitte und Friedrichshain/Kreuzberg sind bei 56 Einrichtungen 80 Stellen unbesetzt.

Seit Frühjahr sollen die Erzieherinnen und Erzieher zudem sogenannte Sozialassistenten anlernen. Diese sollen nach einem vierwöchigen Crashkurs berufsbegleitend für die Kitaarbeit fit gemacht werden, um den drängendsten Personalmangel abzufedern. Erst nach zwei Jahren Arbeit in der Kita müssen sie die Erzieher-Ausbildung beginnen. Tobolt betont: "Wenn wir das in größerem Umfang machen müssen, brechen die Fachkräfte hier zusammen." Und wie soll hohe Qualität in der Bildung ohne pädagogisch qualifizierte Fachkräfte gewährleistet werden?

Die Bundesvorsitzende Tepe macht sich deshalb für ein Kita-Qualitätsgesetz stark, auf das sich die Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder geeinigt hat. "Gute Bildung ist nicht zum Spartarif zu haben. Der Geburtsort eines Kindes darf nicht über seinen Bildungsweg entscheiden", sagt Tepe. "Für das Kita-Qualitätsgesetz muss der Bund in den kommenden Jahren fünf Milliarden Euro bereitstellen." Geld, das für einen besseren Personalschlüssel, die mittelbare pädagogische Arbeit und fachliche Beratung dringend gebraucht wird. Zum Beispiel, wenn es um Sprachförderung in der Kita geht.

In der Kita Freienwalder Straße duftet es derweil nach Nudeln mit Tomatensauce. Die Kleinen essen schon, bei den Großen ist Morgenrunde. 11.30 Uhr in Raum 022: Rund 20 Vorschulkinder sitzen im Stuhlkreis beisammen. Auf einem orangefarbenen Chiffontuch in der Mitte hat die Erzieherin Schultüte, Mäppchen, Wasserflasche, Brotbox, Springseil, Bücher und einen Stiftehalter ausgebreitet, reichlich Stoff für eine Diskussion über die bevorstehende Lebensphase der Kitaabgänger: Schule - wie ist das eigentlich? Was passiert da? "Wir lernen lesen", sagt Gülcan. "Und rechnen", ruft Eres. Dann heißt es gemeinsam bis 20 zählen. "In den Pausen isst man und spielt Fußball." Tepe hat in der zweiten Reihe Platz genommen und meldet sich. "Ward ihr denn schon mal in eurer zukünftigen Schule und habt die Lehrer und Räume kennengelernt?" "Jaaaaa", rufen 20 Kinder.

Unterstützung durch Sprachexpertinnen

In der Diskussion mit Erzieherinnen und Erziehern wird klar: Gerade Sprachförderung ist ein großes Thema in einer Kita, in der viele Kinder mit Migrationshintergrund lernen. Zum Glück schicken mittlerweile auch viele junge Eltern aus dem bürgerlichen Nachbarbezirk Pankow ihre Kinder in die Freienwalder Straße, die Mischung ist besser als in vielen anderen Kitas im Bezirk. Tepe sagt: "Schon auf den ersten Eindruck merkt man: Das Sprachniveau ist insgesamt recht gut, aber bei manchen Kindern grammatikalisch noch nicht optimal." Umso mehr erinnert Kitaleiterin Tobolt die Eltern mit Migrationshintergrund immer wieder daran, wie wichtig es sei, mit ihrem Kind ihre Muttersprache zu reden statt gebrochen deutsch. Tobolt betont: "Dann kommt die Kompetenz in der Zweitsprache von ganz alleine."

Den Fachkräften im Kitaalltag helfe es, dass die Einrichtung seit 2012 am Bundesprogramm "Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration" teilnehme und Unterstützung von Sprachexpertinnen bekomme. "Durch sie haben wir viele Tools für die alltagsintegrierte Sprachbildung kennengelernt, die uns heute noch nützlich sind." Wie die Foto-Lern-Dialoge in verschiedenen Sprachen, die in den langen Gängen hängen und gern von den Kindern angeschaut werden. Oder die Sprachlerntagebücher, in denen die sprachlichen Fortschritte jedes Kindes "in wertschätzender Beobachtung dokumentiert werden". Allerdings: Derzeit ist keine Sprachexpertin an Bord, die Fluktuation ist groß.

"Die kostenfreie Kitabildung in Berlin darf nicht auf Kosten der Qualitätsstandards gehen."

 

Für Tepe ist in der Kita Freienwalder Straße einmal mehr deutlich geworden: Die GEW-Initiative "Bildung. Weiter denken!" ist dringend notwendig. Wo das Geld fehlt, in Personal zu investieren und Fachkräfte angemessen zu bezahlen, ist eine hohe Qualität der pädagogischen Arbeit nur mit äußerster Anstrengung durchzuhalten. Tepe sagt: "Deshalb müssen wir jetzt vor der Bundestagswahl Bildung zum Thema Nummer eins machen und den Druck auf die Politik erhöhen, mehr Mittel für die Bildung zur Verfügung zu stellen." Siebernik ergänzt: "Die kostenfreie Kitabildung in Berlin darf nicht auf Kosten der Qualitätsstandards gehen."

Und was würde Tobolt auf die Agenda setzen, wenn sie drei Wünsche frei hätte, will die GEW-Bundesvorsitzende wissen. Klarer Fall: eine einheitliche, bessere Bezahlung für die Erzieherinnen und Erzieher. Ein besserer ErzieherInnen-Kind-Schlüssel. Und mehr fachlich qualifizierte Fachkräfte für Inklusion. Mit diesen Wünschen im Gepäck wird Tepe in die nächsten Gesprächsrunden gehen - mit Arbeitgebern und Politik.

* Alle Kindernamen geändert.

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