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4. Follow-up-Kongress: Gehe zurück auf Los…

Für den 18. April 2013 hatte der GEW-Vorstandsbereich Hochschule und Forschung erneut in den glanzvollen Saal des Kaiserin-Friedrich-Hauses nach Berlin eingeladen. Unter dem Motto „Gehe zurück auf Los ...“ stand die Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Qualifizierung im Mittelpunkt des 4. Follow-up-Kongresses der GEW zum Templiner Manifest.

Der Leiter des GEW-Vorstandsbereichs Dr. Andreas Keller skizzierte in seiner Einführung den Stand der von der GEW mit dem Templiner Manifest initiierten Kampagne für den „Traumjob Wissenschaft“. Keller griff auf einen Zeitungsartikel vom 7. März aus der „Zeit“ zurück: „Wollen die auch arbeiten?“ zeichnet das Bild einer „Generation Pippi“, inspiriert von der Kinderbuchheldin Pippi Langstrumpf, die die Welt nach ihren Vorstellungen umgestaltet, die „anders arbeiten, anders leben, anders sein“ will. Die „Generation Exzellenz“ an den deutschen Hochschulen stehe indes vor dem Dilemma, dass zwar exzellente Forschung und Lehre erwartet werde, aber die Berufsperspektiven und Beschäftigungsbedingungen dem bei weitem nicht entsprächen. Nicht zufällig sei die GEW daher mit dem inzwischen von fast 10.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern unterstützten Templiner Manifest und mit dem Herrschinger Kodex auf große Resonanz gestoßen. Keller verwies insbesondere auf die Ziffer 5 „Im Gleichgewicht lehren, forschen und leben“ des Templiner Manifests und auf Abschnitt 6 „Familienfreundliche Gestaltung von Karrierewegen“ des Herrschinger Kodex.

Im Anschluss übernahm die Moderatorin Kate Maleike vom Deutschlandfunk die Regie. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gebe es ganz ähnliche Probleme wie in der Wissenschaft. Unter ihrer Moderation stellten die Autorinnen und Autoren Svenja Bernstein-Derichs, Dr. Michael Frey, Dr. des. Anne Krüger und Anna Schütz den druckfrischen „GEW-Rechtsratgeber Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Qualifizierung – Mit einem Positionspapier der Doktorandinnen und Doktoranden in der GEW“ vor. Die Autorinnen und Autoren verdeutlichen an konkreten Fallbeispielen, wie groß die Probleme sind.

Dr. des. Anne Krüger, Universität Potsdam, merkte an, dass der Fokus des Ratgebers auf der Vereinbarkeit von Schwangerschaft und Kinderbetreuung mit wissenschaftlicher Qualifizierung und der Chancengleichheit von Frauen und Männern, Eltern und Nicht-Eltern und bei den finanziellen Rahmenbedingungen liege – wohl wissend, dass das Thema viel mehr Aspekte umfasse wie etwa die Pflege von Angehörigen. Je nachdem, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf einem sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag (Haushaltstelle), einem Zeitvertrag in einem Drittmittelprojekt oder im Rahmen eines Stipendiums arbeiten, stellt sich die Rechtslage unterschiedlich dar. Krüger stellt die rechtlichen Regelungen und Forderungen der GEW zur Elternzeit vor, Anna Schütz, Universität Bremen, behandelte die so genannte familienpolitische Komponente im Wissenschaftszeitvertragsgesetz und Svenja Bernstein-Derichs, Universität Potsdam, das Thema Mutterschutz. Dr. Michael Frey, Technische Hochschule Wildau, gab einen Überblick über die Rahmenbedingungen für Stipendiatinnen und Stipendiaten und wies auf die große Vielfalt bei den Stipendienregelungen hin.

Abschließend fasste Krüger die Kernforderungen der GEW zusammen: Die familienpolitische Komponente des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die eine Verlängerung von befristeten Beschäftigungsverhältnissen mit wissenschaftlichen Angestellten mit Kindern auch über die Höchstbefristungsdauer von sechs plus sechs Jahren hinaus zulässt, müsse zu einem Rechtanspruch werden. Bei einer Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit müsse eine Verlängerung der befristeten Beschäftigungsverhältnisse auch für Drittmittelbeschäftigte garantiert werden. Die Mittel für Mutterschutz- und Elternzeitvertretungen seien zu refinanzieren und in die Haushalte einzustellen. Auch bei Stipendien müsse es eine verbindliche Finanzierung von Elternzeit und Mutterschutz geben.

Nach der Mittagspause präsentierte Dr. Anke Burkhardt, Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, unter dem Überschrift „Vom Wagnis Wissenschaft zur Wissenschaft für Fortgeschrittene“ den zweiten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) vor. Die Projektleiterin des Bundesberichts war unmittelbar von der Pressekonferenz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Follow-up-Kongress der GEW geeilt – es handelt sich also um die erste Vorstellung des Berichts auf einer öffentlichen Veranstaltung.

Burkhardt stellte ausgewählte Daten und Befunde vor. Schwerpunktthema des BuWiN sind Berufsperspektiven und Karriereverlauf nach der Promotion, darüber hinaus gibt es umfassende Grundinformationen zu den Karrierewegen in der Wissenschaft insgesamt. Enthalten ist aber im Unterschied zum ersten Bericht auch eine Darstellung der bestehenden Informationsdefizite und Forschungsbedarfe. Erneut wurden die hohen und immer noch wachsenden Anteile von Befristungen, Teilzeit und Drittmittelfinanzierungen deutlich. Während bei den Inhalten der Tätigkeit die Zufriedenheit sehr hoch ist, ist sie etwa bei der Planbarkeit der Karriere viel zu gering. Zur Vorbereitung eines dritten Berichts, der stärker indikatorengestützt sein und eher in Richtung des Nationalen Bildungsberichts gehen soll, sei bis 2014 eine Arbeitsgruppe mit der Konzeption beauftragt. Der Bund, so Burkhardt, könne z. B. über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz oder die Verteilung von DFG-Mitteln durchaus eingreifen, es fehle aber am Willen dazu.

Gerade noch rechtzeitig zum Beginn der geplanten Podiumsdiskussion – im Plenum des Deutsches Bundestages hatte es zuvor die Abstimmung zur Frauenquote in Aufsichtsräten gegeben – trafen die Bundestagsabgeordneten Anette Hübinger, Mdb (CDU/CSU), Dr. Ernst-Dieter Rossmann, MdB (SPD), Prof. Dr.-Ing. Martin Neumann, MdB (FDP), Nicole Gohlke, MdB (Die Linke) und Krista Sager, MdB (Bündnis 90/Die Grünen) ein, um auch mit den Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmern u.a. über die Verantwortung des Bundes für die familienfreundliche Gestaltung von Karrierewegen in der Wissenschaft zu diskutieren.

Rossmann warb dafür, Familienfreundlichkeit für die Hochschulen „zu einem Wert“ zu machen. Alle Fraktionen hätten mittlerweile Anträge zur Thematik eingebracht bzw. vorbereitet, und die Bundestagsabgeordneten nutzten die Gelegenheit, für ihre Vorschläge zu werben. 
Das von CDU/CSU und FDP entworfene Kaskadenmodell zur Gleichstellung sieht auf jeder Karrierestufe die Einstellung von Frauen in dem Anteil vor, der auf der vorausgehenden Karrierestufe schon erreicht wurde. Frauen, so Hübinger, „brauchen eine ganz andere Ansprache als Männer“. Sie ist dafür, das Audit Familienfreundliche Hochschule auch auf Forschungseinrichtungen auszudehnen. Ein zweiter Antrag von Union und FDP befasst sich mit Vorschlägen zur Personalstruktur nach angloamerikanischem Vorbild.
Auf die Frage nach der (Nicht-)Anwendung der oben erwähnten familienpolitischen Komponente wandte sich Neumann gegen eine Überregulierung – die Hochschulfreiheit sei an dieser Stelle höher zu gewichten als die Familienfreundlichkeit. 
Gohlke befand die vorliegenden Zahlen alarmierend und stellte fest, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auch ohne Grundgesetzänderung novelliert werden könne.
Sager wies auf einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hin, den die Länder Nordrhein-Westfalen und Hamburg über den Bundesrat eingebracht haben. Dieser Gesetzentwurf greife Vorschläge der GEW auf und sehe u. a. eine Mindestvertragslaufzeit von Zeitverträgen vor. Man dürfe aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht besser stellen als die Beschäftigten in anderen Bereichen. 
Ein ähnlicher Antrag der SPD-Bundestagsfraktion wurde am selben Nachmittag im Plenum des Bundestages in erster Lesung beraten.

Auf Nachfrage bat Rossmann um weitere Hinweise, die belegen, dass die familienpolitische Komponente tatsächlich verbindlich ausgestaltet werden müsse. Sowohl der Antrag aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg als auch jener der SPD-Bundestagsfraktion sehen keinerlei Änderungen an den familienpolitischen Regelungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor. Rossmann stellte in Aussicht, die Forderung der GEW im Gesetzgebungsverfahren zu prüfen und ggf. aufzugreifen. Hübinger trat dafür ein, die Befristungsdauer grundsätzlich an die Projektlaufzeit zu binden, was einem GEW-Vorschlag entspricht. Der aufkommende Wahlkampf wurde u. a. bei gegenseitigen Schuldzuweisungen zum Thema Lockerung des Kooperationsverbotes im Grundgesetz spürbar.

Die Abgeordneten diskutierten die Forderung nach einer garantierten Verlängerung der Finanzierung bei Drittmitteln. Nicole Gohlke wies auf die Möglichkeiten von BMBF und Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) hin, bereits bei der Vergabe von Drittmitteln entsprechend zu steuern. Zugleich müsse aber über den enorm gestiegenen Drittmittelanteil kritisch nachgedacht werden. Anette Hübinger meinte, dass Drittmittelfinanzierung ja eigentlich erst dann zum Zuge kommen sollte, wenn man schon qualifiziert sei. Bei der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit müsse mit den Ländern gesprochen werden. Im Koalitionsantrag seien Wege zu unbefristeter Beschäftigung auch jenseits der W3-Professur enthalten. Für Krista Sager muss die Qualifizierungsbefristung Vorrang vor der Drittmittelbefristung haben.
Ein weiterer Diskussionspunkt waren auf Nachfrage aus dem Publikum die BMBF-Richtlinien für die Promotionsstipendien der Begabtenförderwerke. Auch dies sei, so Sager, ein Feld, auf dem der Bund sofort handeln könne. Für Gohlke sollen Promotionen vorrangig auf Vollzeitstellen erfolgen und Stipendien die Ausnahme sein. Mindestens zwei Drittel der Arbeitszeit müssten für die Qualifizierung zur Verfügung stehen.

Die Schlussfrage der Moderatorin war: „Was nehmen Sie aus der Diskussion mit?“ Krista Sager sah sich darin bestärkt, an der Thematik dran zu bleiben. Es gäbe viele Handlungsmöglichkeiten, und es sei unterschätzt worden, wie viel „Dampf im Kessel“ sei, und überschätzt, was die Betroffenen hinnehmen. Für Nicole Gohlke hat das Templiner Manifest viel „losgetreten“. Es gebe Handlungsbedarf bei Personalstruktur, bei Dauerstellen für Personalaufgaben und dem Verhältnis zwischen Grund- und Drittmitteln. Prof. Dr.-Ing. Martin Neumann appellierte an die „gesamtstaatliche Verantwortung“ in punkto Grundgesetzänderung. Dr. Ernst-Dieter Rossmann stellte fest, dass es die GEW geschafft habe, hinsichtlich der „Fallstricke“ des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes parteiübergreifend zu sensibilisieren und bat um Daten zur Anwendung der familienpolitischen Komponente. Das Gesetz könne „schon morgen“ geändert werden. Bei einer erneuten Einladung durch die GEW im nächsten Jahr werde man dann auch über eine Grundgesetzänderung reden können. Anette Hübinger sprach sich dafür aus, die Schnittmengen der Anträge von SPD und Grünen mit denen der Koalition aufzugreifen.

Das Fazit des Kongresses zog Dr. Andreas Keller. Die auf dem Kongress präsentierten Beispiele seien erschütternd und hätten den dringenden Handlungsbedarf deutlich gemacht. Da das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Sonderarbeitsrecht für die Wissenschaft darstelle, könne es durchaus auch im Sinne eines Nachteilausgleichs Sonderregelungen für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie die familienpolitische Komponente geben. Er würdigte, dass in den Bundestagsanträgen ein Teil der GEW-Forderungen aufgegriffen worden sei. Die GEW werde die nächste Anhörung des Bundestages nutzen, um weiter für ihre Positionen zu werben. Die Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes liege „in der Luft“ – so schnell wie möglich, spätestens nach der Bundestagswahl, müsse nun gehandelt werden. In einer ersten Pressemitteilung habe die GEW wichtige Aussagen des Bundesberichts kommentiert. Es sei ein Verdienst des BMBF, dass es mit dem BuWiN und der Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes belastbare Daten zur Lage der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt. Er warte, so Keller, gespannt auf die für Ende April angekündigten Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Zukunft der Hochschulfinanzierung. Die GEW habe vorgeschlagen, die Exzellenzinitiative in einen „Pakt für stabile Beschäftigung in der Wissenschaft“ umzuwandeln. Der Bund sei außerdem verpflichtet, bei der Finanzierung von Projekten darauf zu achten, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen verantwortungsbewusst mit dem Geld umgehen und stabile Beschäftigungsbedingungen schaffen. Schließlich sei der Bund auch Tarifpartner für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Bundeshochschulen. Hier gehe es darum es, die für den TV-L-Bereich erzielten Regelungen zur Anrechnung von Erfahrungszeiten beim Arbeitgeberwechsel zu übernehmen und Regelungen zur Eindämmung des Befristungswesens auszuhandeln. Er wünsche sich, dass es am Ende für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich auf eine Hochschul- oder Forschungslaufbahn einlassen, nicht mehr heißt: „Gehe zurück auf Los!“, sondern „Rücke vor bis auf Los – ziehe 4.000 Euro ein!“ Abschließend dankte Andreas Keller allen an Mitwirkenden der Veranstaltung.
Berichterstatter: Torsten Steidten

Alle Bilder: Kay Herschelmann