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Arbeitszeiterfassung an Schulen

Jede Stunde zählt!

Längst ist klar, dass alle Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit zu erfassen, um die Beschäftigten vor gesundheitsgefährdenden Arbeitszeiten zu schützen – auch an Schulen. Doch die Länder spielen auf Zeit.

(Foto: Shutterstock/GEW)

Die neueste Meldung stammt aus Bremen: Dort kündigte die Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp (SPD) Mitte Februar in einer Pressemitteilung an, das Land wolle – gemeinsam mit anderen Bundesländern – eine Pilotstudie zur Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften durchführen, begleitet von der Telekom-Stiftung. Begründet wird das Projekt mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung. Erreicht werden soll die Umsetzung des Urteils laut Aulepp durch „moderne Arbeitszeitmodelle, die gerecht und flexibel sind“. Und da das Bundesarbeitsgericht (BAG) schon vor fast anderthalb Jahren klargestellt hat, dass das „wie“ einer Arbeitszeiterfassung mitbestimmungspflichtig ist, schiebt die Bremer Bildungssenatorin hinterher, sie sei bereits „mit den Interessenvertretungen im Gespräch“.

Arbeitszeiterfassung funktioniert bei jedem Arbeitszeitmodell

Die Ankündigung aus Bremen ist typisch für die Diskussion über Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften. Dabei werden zwei Fragen vermischt, die zunächst einmal unabhängig voneinander sind:

  • Wie plant der Dienstherr oder Arbeitgeber die Arbeitszeit und den Einsatz von Lehrkräften? Das ist der „ex-ante“-Blick auf Arbeitszeit. Traditionell geschieht das in Deutschland über Deputate (Pflichtstunden, Regelstundenmaße). In Hamburg wird dafür seit über 20 Jahren ein sogenanntes Jahresarbeitszeitmodell verwendet, in dem verschiedenen Aufgaben verschiedene Zeitkontingente zugewiesen werden.
  • Wie wird erfasst, wie viel und wann Lehrkräfte gearbeitet haben? Das ist der ex-post-Blick auf Arbeitszeit. Diesen Blick gibt es bislang nur im Rahmen ausgewählter wissenschaftlicher Studien, aber nicht flächendeckend und nicht durch den Arbeitgeber.

Natürlich hat das eine mit dem anderen zu tun. Falls der Arbeitgeber die Arbeitszeit erfasst und er dabei feststellen sollte, dass die erfasste Arbeitszeit gesundheitsgefährdend ist, so müsste er für die Zukunft die Arbeit anders planen. Aber zunächst ist die Arbeitszeiterfassung, also das schlichte Messen von Stunden und Minuten („Anfang, Ende und Pausen“), mit jedem Arbeitszeitmodell kompatibel. Auch wenn – wie heute in 15 von 16 Bundesländern – nur die Unterrichtsverpflichtung durch den Dienstherrn und Arbeitgeber vorgegeben ist, spricht nichts dagegen, täglich festzuhalten, wann und wie viel jede Lehrkraft gearbeitet hat.

GEW: Arbeitszeiterfassung ist kein Instrument der Leistungs- und Verhaltenskontrolle.

Der Gewerkschaftstag der GEW hatte sich 2022 klar für die Erfassung der Arbeitszeit an Schulen ausgesprochen. Im November 2023 formulierte der Hauptvorstand der GEW Anforderungen an die Umsetzung dieses Beschlusses:

  • Die vom Arbeitgeber zu verantwortende Erfassung der geleisteten Arbeitszeit muss datensparsam erfolgen – es wird nur erfasst, was gesetzlich erforderlich ist: Anfang, Ende und Pausen. Die Beschäftigten sowie die zur Vertraulichkeit verpflichteten Personalvertretungen haben jederzeit Zugriff auf die gespeicherten Daten.
  • Die Erfassung sollte zeitnah durch die Beschäftigten mit einem einfach zu handhabenden, manipulationssicheren elektronischen System erfolgen. Sie ist dadurch unabhängig von Zeit und Ort der Erbringung der Arbeitszeit und schränkt die Lehrkräfte nicht in ihrer pädagogischen Freiheit ein. Das Zeiterfassungssystem sollte ebenso für andere Beschäftigte an den Schulen eingesetzt werden.
  • Die Arbeitszeiterfassung ist kein Instrument der Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Maßnahmen zur Durchsetzung von Arbeitsschutznormen sind gemeinsam mit den Personalräten zu entwickeln und müssen die Arbeits- und Lebensrealität der Lehrkräfte berücksichtigen.

Eine einfache Zeiterfassung reicht vollkommen aus.

Den Anforderungen des EuGH-Urteils ist mit einer einfachen Erfassung in Stunden und Minuten Genüge getan. Auch in anderen Branchen sind Fragen der Arbeitszeit und der Arbeitsinhalte zwei separate Themen. Zugleich hat die differenzierte Erfassung verschiedener Tätigkeitencluster in den wissenschaftlichen Studien zur Lehrkräftearbeitszeit bei vielen Beschäftigten die Erwartung geweckt, dass dies auch dann der Fall sein würde, wenn der Dienstherr und Arbeitgeber die Arbeitszeit erfasst. Auch hierzu hat der Hauptvorstand der GEW sich klar positioniert:

  • Um die einzelnen Lehrerinnen und Lehrer bei der Planung und Steuerung ihrer eigenen Arbeit zu unterstützen, kann eine differenziertere Erfassung verschiedener Tätigkeitencluster hilfreich sein. Diese Informationen dürfen nur der einzelnen Lehrkraft zur Verfügung stehen, nicht den Dienstvorgesetzten.
  • Um die Handlungsbedarfe aufgrund zeitlicher Überlastung zu identifizieren, ist es sinnvoll, die Daten in einem aggregierbaren Format zu erfassen und zu speichern. Weitergehende Informationen, zum Beispiel über Tätigkeitencluster, dürfen nur in anonymisierter Form aggregiert und verarbeitet werden. Dann aber können sie wertvolle Informationen zur Weiterentwicklung der Schulentwicklung und der Personalbedarfsplanung liefern.

Die GEW räumt mit Vorurteilen auf

Nein, erfasst werden müssen nur Anfang, Ende und gegebenenfalls Pausen - das geht mit einem einfachen Klick!

Empirische Studien zu Arbeitszeit von Lehrkräften zeigen, dass das Verhältnis von Unterricht zu nicht-unterrichtlichen Aufgaben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zu Lasten des Unterrichts verschoben hat – bei in etwa gleichbleibender Unterrichtsverpflichtung. Dies entspricht auch der individuellen Wahrnehmung der meisten Lehrkräfte. So kann es nicht weitergehen. Solange Lehrkräfte ihre Arbeitszeit nicht nachweisen können, wird es nie gelingen, die Unterrichtsverpflichtung zu senken und immer neue Aufgaben abzuwehren.

Dieses Verständnis von pädagogischer Freiheit ist nicht ganz korrekt. Eine Lehrkraft hat die pädagogische Freiheit, den vorgegebenen Bildungsplan mit dieser oder jener Methode zu erarbeiten oder bei der Notengebung Besonderheiten zu berücksichtigen oder nicht. Die pädagogische Freiheit findet ihren Grund und ihre Rechtfertigung in der Erziehungsaufgabe der Lehrkraft, sie ist also nicht eine personale Freiheit, sondern auf die Bildungsinteressen der Schüler bezogen.

Diese Freiheit wird ausgehöhlt, weil den Lehrkräften immer neue Aufgaben aufgebürdet werden, die sie nicht ablehnen können. Faktisch schaffen es viele Lehrkräfte dadurch gar nicht, so viel Zeit und Kraft in die Unterrichtsvorbereitung zu investieren, wie sie gerne investieren würden und wie sie es für pädagogisch sinnvoll halten. Dass den Lehrkräften immer neue Aufgaben aufgebürdet werden können, liegt daran, dass die Arbeitszeit jenseits des Unterrichts nicht erfasst wird. So erscheint sie dem Arbeitgeber „kostenlos“. Im Ergebnis ist es gerade die fehlende Arbeitszeiterfassung, die die pädagogische Freiheit bedroht.

Bei hochqualifizierten Tätigkeiten kann ein Arbeitgeber/Dienstherr immer nur Ziele formulieren, jedoch niemals steuern, wie seine Beschäftigten diese im Einzelnen erreichen. Dies steht auch in anderen Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes einer Erfassung der Arbeitszeit nicht entgegen. Warum sollte bei Lehrkräften etwas anderes gelten?

Auch jetzt schreibt der Arbeitgeber vor, was Lehrkräfte tun müssen, es werden immer mehr Aufgaben. Wenn die Arbeitszeit, die Lehrkräfte für zusätzliche Aufgaben aufwenden, nicht mehr unsichtbar, also scheinbar kostenlos ist, muss der Arbeitgeber sich endlich auch fragen (lassen), was die Lehrkräfte dafür weglassen sollen. Dann wird er vielleicht sogar feststellen, dass vieles von dem, was Lehrkräfte heute tun müssen, von anderen Beschäftigten „billiger“ gemacht werden kann. Das würde die Lehrkräfte entlasten.

Als Planungsgröße wird es weiterhin Deputate (Pflichtstunden, Regelstundenmaße etc.) geben müssen. Aber wenn die Gesamtarbeitszeit erfasst wird, kann der Arbeitgeber/Dienstherr nicht mehr so tun, als ginge ihn der Rest nichts an. Wenn dauerhaft und systematisch zu viel gearbeitet wird, muss der Arbeitgeber/Dienstherr entweder die Aufgaben reduzieren oder das Personal aufstocken.

Heute sind Lehrkräfte gewohnt, dass zusätzliche Aufgaben, auch Leitungsfunktionen oder Personalratstätigkeiten, über Beförderungen (mehr Geld) oder Ermäßigungsstunden (Abminderungsstunden) ein „Preisschild“ erhalten - wobei niemand überprüft, ob diese auch ausreichend und angemessen sind.

Viele Aufgaben bringen weder Beförderung noch Stundenreduzierung. Wird die komplette Arbeitszeit erfasst, kann jede*r sicher sein, dass zusätzlich übernommene Aufgaben auch gesehen und gewertet werden. Der Arbeitgeber/Dienstherr muss sich, bevor er den Lehrkräften weitere Aufgaben überträgt, überlegen, was dafür wegfallen soll.

Der öffentliche Arbeitgeber/Dienstherr ist rechtlich verpflichtet, die Rechtsprechung des EuGH umzusetzen – selbst dann, wenn kein einziges Gesetz geändert wurde. Der EuGH hat 2019 entschieden, dass alle Arbeitgeber verpflichtet sind, ein transparentes, zugängliches System der Arbeitszeiterfassung einzuführen. Dem werden sich die Arbeitgeber/Dienstherren der Lehrkräfte auf Dauer nicht entziehen können.

Nicht die GEW hat die Einführung der Arbeitszeiterfassung gefordert, sondern der EuGH zum Schutze aller Beschäftigten. Es geht nicht mehr darum ob Arbeitszeit erfasst wird, sondern wie das geschieht und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Daher müssen wir unseren Arbeitgebern VOR einer Einführung deutlich machen, welche Forderungen die GEW damit verbindet und wie man zu einer Entlastung kommen könnte.

Dass die Kultusministerien Angst vor der Erfassung haben, weil sie die Konsequenzen fürchten, die aus der umfangreichen Mehrarbeit an den Schulen folgen, ist nicht zu übersehen. Die Lehrkräfte selbst haben von einer Erfassung nichts zu befürchten und viel zu gewinnen. Wer sich einmal klargemacht hat, was anderswo selbstverständlich zur Arbeitszeit zählt - jede Minute im Schulhaus, auch Schulpausen, Kollegen-, Schüler- und Elterngespräche, Wegezeiten, Warten am Kopierer, Bücher oder Bleistifte kaufen, den Schreibtisch abwischen, Computer- und Netzprobleme lösen und vieles mehr – wird sich keine Angst mehr machen lassen.

In der Tat, die tägliche Ruhepause von elf Stunden am Stück würde bei einem Unterrichtsbeginn um 8 Uhr in der Regel erfordern, spätestens um 21 Uhr Feierabend zu machen. Dass viele Lehrkräfte dies nicht machen, ist Teil des Problems, ihnen fehlt nämlich die Pause, die arbeitsmedizinisch erwiesenermaßen notwendig ist.

In Ausnahmesituationen hingegen kennt auch das Arbeitszeitrecht genügend Flexibilität – immer vorausgesetzt, dass auf anderem Wege ein „vergleichbarer Schutz“ gewährleistet wird, sprich ein angemessener Ausgleich gewährt wird.

Das ist formal auch heute schon so! In der Praxis arbeiten sehr viele Lehrkräfte an Wochenenden und in den kleinen Ferien so viel, dass sie de facto nicht auf sechs Wochen „richtigen“ Urlaub kommen. Denn der Urlaubsanspruch gilt als mit den Schulferien abgegolten, weshalb Lehrkräfte in der Regel keinen Urlaubsantrag stellen müssen. Das kann auch so bleiben.

Konkret hängt das davon ab, wie eine Dienstvereinbarung oder ein Tarifvertrag zur Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften ausgestaltet ist. Wenn dort nur die Jahresarbeitszeit festgelegt wird und die Verteilung über das Jahr im Rahmen der durch den Schuljahresablauf vorgegebenen Sachzwänge und unter Berücksichtigung der vorgeschriebenen Ruhezeiten durch die Lehrkräfte selbst bestimmt wird, muss sich - außer der Erfassung selbst - in der Praxis gar nicht viel ändern.

Das ist ein typischer „Angstmache-Einwand“! Spätestens durch Corona ist selbst den Ministerialbeamt*innen klargeworden, dass Arbeiten auch zu Hause geht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte schon 2019 in seinem Arbeitszeiterfassungs-Urteil klargestellt, dass mobiles Arbeiten einer Erfassung der Arbeitszeit nicht entgegensteht, und der Arbeitgeber die Erfassung auch an die Beschäftigten delegieren kann.

Unabhängig davon wäre es natürlich wünschenswert, wenn an den Schulen auch mehr echte Arbeitsplätze für Lehrkräfte vorhanden wären, damit diese die Wahl haben, ob sie zu Hause oder an der Schule ihren Unterricht vorbereiten oder ihre Klausuren korrigieren.

Natürlich kann eine Lehrkraft nicht einfach den Freitag frei machen, weil sie Donnerstag Abend schon ihre Sollarbeitszeit erreicht hat. Das ist aber in anderen Berufen mit Verantwortung genauso! Weder wird ein Arzt nach acht Stunden seine Operation beenden noch eine Erzieherin ihre Gruppe alleine lassen. Viele Polizisten schieben über Jahre hunderte von Überstunden vor sich her. Trotzdem käme dort niemand auf die Idee, deshalb die Arbeitszeit gar nicht erst aufzuschreiben.

Wie die Sollarbeitszeit bei Lehrkräften formuliert wird, ist Sache einer konkreten Dienstvereinbarung oder tariflichen Regelung. Es spricht vieles dafür, hier zwischen Schulwochen und Schulferien zu unterscheiden und ein Jahresarbeitszeitkonto einzurichten.

Die gesetzliche Regelung schreibt vor, spätestens nach sechs Stunden Arbeit eine Pause zu machen - aber eine echte Pause! Schulpausen sind keine Pausen: In den Schulpausen führen Lehrkräfte Gespräche mit Schüler*innen oder Kolleg*innen, schauen in ihr Fach, rennen zum Kopierer, wechseln den Klassenraum, schlichten Streit oder führen Aufsicht.

Aus Sicht der GEW fängt die Arbeitszeit mit dem Betreten des Schulgebäudes an zu laufen und endet, wenn dieses wieder verlassen wird. Auch hier gibt es keinen Grund, warum dies bei Lehrkräften anders sein sollte als bei Krankenpfleger*innen oder bei Finanzbeamt*innen.

Das ist ein Missverständnis! Das Hamburger Arbeitszeitmodell ist das genaue Gegenteil einer Arbeitszeiterfassung.

Dort werden verschiedenen Aufgaben vorab definierte Zeitkontingente zugewiesen und diese werden dann auf die Köpfe im Kollegium verteilt. Es ist also ein reines Planungsmodell. Ob die Zeitkontingente ausreichen, um die Aufgabe zu erledigen, wurde vom Dienstherrn und Arbeitgeber seit 2003 nicht mehr überprüft. Deshalb hat die GEW Hamburg jetzt auch eine eigene Arbeitszeitstudie in Auftrag gegeben.